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Die Herausforderungen des deutschen Bildungssystems

Unterfinanziert und ungleich

Der neue IQB-Bildungstrend 2022 zeigt: Bildungsstandards werden von immer weniger Schülerinnen und Schülern erreicht. Das Bildungssystem in Deutschland hat ein Problem, es ist unterfinanziert und ungleich. Die GEW schlägt Alarm.

Die GEW hat in Reaktion auf die Ergebnisse des heute veröffentlichten „Bildungstrends 2022“ des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) eine alarmierende Situation im deutschen Bildungssystem festgestellt. Anja Bensinger-Stolze, Mitglied des GEW-Vorstands für Schule, äußerte sich besorgt über den abnehmenden Trend der Schülerleistungen und betonte: „Das ist kein Unfall, sondern ein Fehler im System.“

Der Bericht zeigt insbesondere einen enttäuschenden Rückgang der Schülerleistungen im Fach Deutsch. Noch weniger Schülerinnen und Schüler in der 9. Klasse als bei vorhergehenden Untersuchungen erreichen die Bildungsstandards. Bensinger-Stolze äußerte Besorgnis über die immer größer werdende Kluft und wachsende Ungleichheit bei den Schülerergebnissen in den Sekundarschulen.

Die GEW schlägt höhere finanzielle und personelle Ressourcen für Bildungseinrichtungen sowie eine Abkehr von der frühen Aufteilung der Schülerinnen und Schüler in verschiedene Schulformen vor. Gleichzeitig fordert sie eine kontinuierliche Leseförderung und Sprachentwicklung, die weder nach der Grundschule noch vor der Schultür endet. Bensinger-Stolze betont die Notwendigkeit von Mindeststandards, die ein Recht auf Bildung für alle gewährleisten und keine Hürden darstellen, an denen Kinder scheitern.

„Das deutsche Bildungssystem ist seit Jahrzehnten deutlich unterfinanziert.“ (Anja Bensinger-Stolze)

„Das deutsche Bildungssystem ist seit Jahrzehnten deutlich unterfinanziert. In allen Bildungsbereichen, insbesondere in Kitas und Schulen, herrscht ein enormer Fachkräftemangel“, sagte die GEW-Schulexpertin. Eine bedarfsgerechte Personalausstattung und bessere Unterstützung von Schulen in sozial schwierigen Lagen seien nur durch höhere staatliche Bildungsausgaben zu erreichen. Bensinger-Stolze kritisiert, dass das Startchancenprogramm der Bundesregierung dafür nicht ausreichend sei. Die Tatsache, dass wohlhabendere Bundesländer teilweise bessere Leistungsergebnisse in Deutsch aufweisen als ärmere, verdeutlicht zudem die soziale Spaltung in Deutschland. Die GEW bekräftigt daher den Vorschlag für ein 100-Milliarden-Euro-Programm zur Investition in die Bildung ein sowie für eine gerechtere Verteilung der Bundesmittel an die Länder.

Was sind die  IQB-Bildungstrends?

Die IQB-Bildungstrends sind Studien, die vom Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) in Deutschland durchgeführt werden. Diese Studien untersuchen die Bildungsstandards und die Kompetenzentwicklung der Schülerinnen und Schüler in verschiedenen Fächern, insbesondere Deutsch, Englisch und Mathematik. So wird regelmäßig überprüft, inwieweit Schülerinnen und Schüler in Deutschland die mit den Bildungsstandards der Kultusministerkonferenz (KMK) definierten Kompetenzziele erreichen. In den sprachlichen Fächern Deutsch, Englisch und Französisch werden diese Studien in der Sekundarstufe I am Ende der 9. Jahrgangsstufe durchgeführt.

Die IQB-Bildungstrends werden in regelmäßigen Abständen durchgeführt, um langfristige Entwicklungen im Bildungssystem zu erfassen und Empfehlungen für Bildungspolitik und Schulentwicklung abzuleiten. Dabei werden repräsentative Stichproben von Schülerinnen und Schüler aus verschiedenen Bundesländern einbezogen. Die Studien analysieren die Leistungen der Schülerinnen und Schüler anhand von standardisierten Tests und erheben Daten zu verschiedenen Aspekten, darunter auch die Auswirkungen von bildungspolitischen Maßnahmen oder äußeren Einflüssen wie der COVID-19-Pandemie.

Was sind zentrale Ergebnisse?

Die Ergebnisse der IQB-Bildungstrends liefern wichtige Informationen über die Qualität des Bildungssystems und dienen als Grundlage für bildungspolitische Entscheidungen und Maßnahmen zur Verbesserung der Bildungsqualität in Deutschland.

Die IQB-Bildungstrends 2022 beschäftigen sich mit in den Fächern Deutsch und Englisch. Der Anteil der Schülerinnen und Schüler, die die Mindeststandards in Deutsch nicht erreichen, ist stark gestiegen, während er in Englisch gesunken ist. Im Gegensatz dazu sind im Englischen die Anteile der Schülerinnen und Schüler, die die Regelstandards erreichen, deutlich gestiegen. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die pandemiebedingten Einschränkungen des Schulbetriebs den negativen Trend in Deutsch beeinflusst haben könnten. Im Fach Englisch zeigen sich positive Entwicklungen, die möglicherweise auf außerschulischem Lernen und der verstärkten Nutzung digitaler Medien beruhen. Das Interesse der Schülerinnen und Schüler am Englischunterricht scheinen höher als am Deutschunterricht. Die Trends und Ergebnisse sind in den verschiedenen Bundesländern ähnlich, wenn auch unterschiedlich ausgeprägt. Die Studie liefert Hinweise auf mögliche Ursachen, aber eine eindeutige Bestimmung ist schwierig. Der Fern- und Wechselunterricht hat wahrscheinlich sowohl im Deutsch- als auch im Englischunterricht Auswirkungen gehabt.

Einfache Erklärungen gibt es nicht

Bensinger-Stolze weist einfache Erklärungen für die Misere im Schulsystem zurück. Obwohl die Corona-Pandemie ihre Spuren hinterlassen und die soziale Spaltung verstärkt habe, seien diese Faktoren nur teilweise als Erklärung für die nachlassenden Leistungen der Schülerinnen und Schüler geeignet. Die Schulsysteme müssten ihre Fehler analysieren, anstatt immer wieder Alarm zu schlagen und das „Scheitern“ der Kinder und Jugendlichen zu beklagen, betont die Expertin. Sie unterstreicht stattdessen die Bedeutung einer ausgewogenen Ressourcenverteilung und kritisiert die frühe Selektion, die dazu führe, dass sich Probleme in bestimmten Schulen konzentrierten. Die zunehmende Abhängigkeit von Leistungen vom sozioökonomischen Hintergrund der Familien sei ein „Skandal“.

„Schulqualität misst sich auch an bedarfsgerechter Finanzierung, Personalausstattung sowie guten Lern- und Arbeitsbedingungen.“ (Anja Bensinger-Stolze)

„Bildungsmonitoring sollte sich nicht nur auf die Prüfung von Leistungsstandards beschränken. Schulqualität misst sich auch an bedarfsgerechter Finanzierung, Personalausstattung sowie guten Lern- und Arbeitsbedingungen. Gute Bildung und gute Arbeit sind für die GEW zwei Seiten einer Medaille“, betont Bensinger-Stolze. Besorgniserregend sei zudem der Rückgang der Motivation und des Interesses am Fach Deutsch sowie die vermehrten Berichte der befragten Jugendlichen über emotionale Probleme im Vergleich zu früheren Jahren. Lernfreude und Wohlbefinden seien ebenfalls Qualitätsmerkmale, die stärker verfolgt werden müssten. Die quantitative Forschung müsse durch qualitative Forschungsmethoden ergänzt werden. Statt sich ausschließlich auf standardisierte Leistungstests und -diagnosen zu verlassen, fordert die GEW-Expertin gut evaluierte Unterstützungsmaßnahmen bei Problemen.