Der Geschäftsführer der Menschenrechts- und Hilfsorganisation medico international, Thomas Gebauer, hat die europäische Flüchtlingspolitik scharf kritisiert. Das Engagement Europas konzentriere sich nicht darauf, Flucht zu verhindern und deren Ursachen zu bekämpfen. „Ziel ist ganz offenbar, die Grenzen klassischer Transitländer wie Niger oder Mali, aber auch Äthiopiens so zu sichern und aufzurüsten, dass niemand mehr nach Libyen durchkommt“, sagte Gebauer im „E&W“-Interview. „Die Menschen sollen das Mittelmeer erst gar nicht erreichen.“ Diese vorverlagerte Außengrenze werde etwa an der Grenze zwischen Sudan und Äthiopien durch bewaffnete Grenzschützer abgesichert, rekrutiert aus den Reihen ehemaliger Djandjawid-Milizen, die im Darfur-Krieg zahlreiche Menschenrechtsverletzungen und Massaker begingen. „Skandalös ist, dass für solche Grenzschutzprogramme auch Mittel aus dem Europäischen Entwicklungsfonds ausgegeben werden.“
Gebauer monierte weiter: „Die globale Krise, die mit der Ankunft der Flüchtlinge in Europa auch hierzulande sichtbar wurde, soll wieder unsichtbar gemacht werden. Das lässt sich politisch als Erfolg verkaufen.“ Die Bundesregierung könne so stolz verkünden, sie habe es geschafft, die Zahl der Flüchtlinge zu senken. Um die Freizügigkeit in Europa zu verteidigen, dränge die EU heute darauf, diese innerhalb Afrikas einzuschränken. Die Grenzen im westafrikanischen Raum, in dem lange bevor das in Europa der Fall war Freizügigkeit herrschte, seien immer schwieriger zu überwinden. „Dabei ist die Möglichkeit, sich frei zu bewegen, in Westafrika überlebenswichtig - etwa um mit den Auswirkungen ausbleibender Niederschläge zurechtzukommen, sind die Menschen regelmäßig in die Nachbarländer ausgewichen.“
Der Bundesregierung warf Gebauer vor, eine Politik zu betreiben, die letztlich die Situation in den Herkunftsländern verschärfe. „Wir wissen, dass allein in Afrika jährlich 18 Millionen Arbeitsplätze geschaffen werden müssten, damit junge Menschen, die auf die Arbeitsmärkte drängen, eine Chance haben. Wie aber soll das gelingen, wenn die Freihandelsabkommen, die Europa und Deutschland den Ländern Afrikas aufzwingt, einseitig den Norden privilegieren?“ Letztlich seien es handfeste Wirtschaftsinteressen, die in der deutschen Politik zum Ausdruck kämen. „Deutschland hat beim Zugang zu den afrikanischen Märkten im Vergleich zu China, Frankreich und den USA eingebüßt. Nun missbraucht es den öffentlichen Diskurs über Fluchtursachen, um deutsche Wirtschaftsinteressen in Afrika wieder verstärkt zur Geltung zu bringen.“
Das komplette Interview von Helga Haas-Rietschel, „E&W“-Redakteurin, ist in der Januarausgabe der „E&W“ nachzulesen.