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Mitte-Studie

„Prävention wirkt“

In der Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) fällt der drastische Anstieg rechtsextremer Einstellungen bei Jüngeren besonders auf. Eine Herausforderung für die politische Bildung. Fragen an den Studienleiter Prof. Andreas Zick.

Prof. Andreas Zick ist Direktor des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) an der Universität Bielefeld. (Foto: Universität Bielefeld)
  • E&W: Laut Mitte-Studie stimmen die 18- bis 34-Jährigen häufiger rechtsextremen Positionen zu als alle anderen Alterskohorten. Welche Fragen stellt das an Bildungsverantwortliche?  

Prof. Andreas Zick: Zahllose! Was mich am meisten beschäftigt: Wir messen seit 21 Jahren, dass Menschen mit weniger formaler Bildung stärker zu Menschenfeindlichkeit und Rassismus neigen als höher Gebildete. Wie sieht also eine politische, reflexive Bildung in Schulformen aus, die über die 10. Klasse nicht hinausgehen? Ich höre dazu keine Debatte. Stattdessen scheint Konsens zu sein, Bildungsschwächere für dumm zu erklären. Damit wird nicht nur ein strukturelles Bildungsdefizit ignoriert. Das ist undemokratisch. Demokratie zeichnet sich durch Teilhabe für alle Menschen aus.

  • E&W: Stattdessen steht die politische Bildung – von der Bundeszentrale für politische Bildung bis zu an Schulen tätigen Demokratieprojekten – vermutlich vor drastischen Einschnitten.

Zick: Das ist fatal. Ein Blick in die internationale Konfliktforschung zeigt: Länder, die weniger in soziale Unterstützung und Bildung investieren, bekommen in und nach Krisenzeiten größere Probleme als jene, die mehr investieren – auch was das Abgleiten in Populismus angeht. Frankreich ist ein Negativbeispiel mit massiven regionalen Unterschieden; ein positives sind die Niederlande. Das gilt übrigens mit Blick auf Bildungsausgaben generell – aber auch für Demokratiebildung.

  • E&W: In Deutschland gibt es mit „Demokratie Leben“ seit bald zehn Jahren ein Bundesprogramm, das so gut ausgestattet ist wie keines zuvor. Das muss doch inzwischen Wirkung zeigen.

Zick: Die Evaluationen zeigen: Es wirkt. Wenn in Prävention investiert wird, ist die Bindung an Demokratie stärker. Doch die gesellschaftlichen Herausforderungen sind immens; die schlichte Formel „Mehr Geld, mehr Demokratie“ wäre ein Fehlschluss. Zudem übernehmen viele zivilgesellschaftliche Projekte über die Bildungsarbeit hinaus soziale, familiäre und zahllose weitere Aufgaben, die sonst ebenfalls zu kurz kämen. Insbesondere in ländlichen Räumen sind sie oft allein auf weiter Flur und weitgehend sich selbst überlassen. Und wie in anderen Bildungsbereichen gilt: Angesichts von Inflation, Digitalisierung etc. brauchen die Projekte mehr, nicht weniger Geld.

  • E&W: In der Mitte-Studie fordern Sie eine „Demokratisierung von Schule, Arbeit, Ausbildung“. Was ist darunter zu verstehen?

Zick: Das sind drei zentrale Sozialisations-Instanzen: Hier wird eine Bindung an die demokratische Gemeinschaft geschaffen – oder eben nicht. Damit diese gelingt, muss dort Demokratie praktiziert und eingeübt werden.

  • E&W: Schulen sind keine demokratischen Orte?

Zick: Was ihre Werte, Normen, Inhalte angeht, schon. Blickt man auf die autoritären Erziehungsideale der AfD, kann man das angesichts der jüngsten Wahlergebnisse schon als gute Nachricht betrachten. Doch im Hinblick auf Entscheidungsstrukturen scheinen mir demokratische Grundwerte oft im Hintertreffen. Das ist ein Problem: Demokratiebildung ist nicht Lernen über Demokratie, sondern das Erleben der Selbstwirksamkeit in demokratischen Räumen. Das bedeutet nicht, dass sich nicht auch der viel zu geringe Anteil politischer Bildung in den Curricula negativ auswirkt. Doch auch die „Normalbildung“ muss mal aussetzen können, wenn Demokratie angegriffen oder gefährdet ist. Krieg, Pandemie – diese Ereignisse beschäftigen die Schülerinnen und Schüler. Es braucht Raum und Zeit in der Schule, um über diese Themen zu sprechen.

  • E&W: Viele Lehrkräfte sind stark gefordert, wenn gesellschaftliche Konflikte in ihrem Unterricht ausgetragen werden.

Zick: Ja, Schulen brauchen viel mehr Unterstützung. Ein wichtiger Aspekt ist, dass Bildungseinrichtungen auf all den Populismus und Extremismus, der bei ihnen ankommt – auch unter dem Lehr- und Verwaltungspersonal übrigens – nicht richtig vorbereitet sind. An unserem Institut bauen wir deswegen eine Konflikt-Akademie auf, die unter anderem Schulen gezielt in Konfliktmanagement stärken will. In wenigen Monaten soll es losgehen.