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Pisa und mehr

Die Bildungspolitik der OECD und die internationalen Beschlüsse des GEW-Gewerkschaftstags 2013 standen Ende November im Mittelpunkt der GEW Jahrestagung Internationales, an der rund vierzig Kolleginnen und Kollegen teilgenommen haben.

Fotos: Manfred Brinkmann

Am 29. und 30.11.2013 fand in der IG BAU Bildungsstätte in Steinbach / Taunus die traditionelle GEW-Jahrestagung Internationales statt. Wie immer trafen sich die Vertreter verschiedenster Initiativen der internationalen Gewerkschaftsarbeit der GEW und Mitglieder des Vorstands (Marlies Tepe, Ilka Hoffmann, Andreas Keller) um sich gegenseitig zu informieren und über die Perspektiven der internationalen Arbeit der GEW zu diskutieren. Stets aufs Neue beeindrucken die Breite der Themen und die Fülle der Projekte, die die internationale Arbeit der GEW ausmachen. Allein die Tätigkeitsberichte der GEW-Vorsitzenden Marlies Tepe und des Referenten für Internationales Manfred Brinkmann decken – kurz zusammengefasst - folgende Bereiche ab:

Europäische Bildungsgewerkschaften in der Krise

Bei Besuchen der Kongresse von Bildungsgewerkschaften in Spanien, Griechenland, Portugal und Dänemark wurde deutlich, wie stark die Euro–Krise auch die Lage der Beschäftigten im Erziehungsbereich bestimmt. In den südlichen Krisenländern werden nicht nur Gehälter und Sozialleistungen gekürzt, sondern es wird auch in grundlegende gewerkschaftliche Rechte und in die Arbeitsbedingungen der Gewerkschaftsorganisationen selbst eingegriffen. Das Beispiel Dänemark – weit entfernt von jeder Krise – zeigt, wie ganz unabhängig von der wirtschaftlichen Lage gegen die Gewerkschaften vorgegangen wird: Aussperrung durch öffentliche Arbeitgeber und Durchsetzung einer verlängerten Arbeitszeit durch Gesetz ohne Tarifvertrag. Die GEW ist gefordert und sollte nicht meinen, das alles betrifft uns nicht.

Israel und Palästina

Die Beziehungen zur israelischen Lehrergewerkschaft Histadrut Hamorim haben sich in Jahrzehnten entwickelt und stellen einen integralen Teil der internationalen Gewerkschaftsbeziehungen der GEW dar. Dies wird durch die regelmäßigen gegenseitigen Besuche, vor allem aber durch das alle zwei Jahre stattfindende Deutsch – Israelische Gewerkschaftsseminar dokumentiert, das in diesem Jahr zum 26. Mal in Berlin stattfand. Zugleich entwickeln sich die Beziehungen zur palästinensischen Lehrergewerkschaft ‚General Union of Palestinian Teachers‘ (GUPT), zu deren Kongress im Januar in Ramallah die GEW eingeladen war. Damit bewegt sich die GEW im Spannungsfeld des Konflikts zwischen Israel und Palästina, wozu eine Arbeitsgruppe auf der Jahrestagung gebildet wurde.

Internationale Gewerkschaftssolidarität

Solidarität ist die Grundlage gewerkschaftlichen Handelns - im Inland wie im Ausland. Die internationale gewerkschaftliche Solidarität der GEW dokumentiert sich

• durch die Teilnahme am Weltsozialforum, das in diesem Jahr in Tunis stattfand
• durch Mitwirkung an Eilaktionen gegen Verfolgung und Unterdrückung von Gewerkschaften z.B. in Südkorea und durch Teilnahme an internationalen Prozessbeobachtermissionen zur Unterstützung angeklagter und inhaftierter Gewerkschafter in der Türkei
• durch Förderung der Bildungs- und Frauenarbeit der GEW-Partnergewerkschaft F-SYNTER im westafrikanischen Burkina Faso

Kampf gegen Kinderarbeit

Im Rahmen der Initiative der Bildungsinternationale gegen Kinderarbeit und des GEW-Gewerkschaftstagsbeschlusses 1.5 engagiert sich die GEW mit ihrer Stiftung "Fair Childhood" für Bildung statt Kinderarbeit und unterstützt aktuell vier Projekte in Indien. Sie wird aber auch aktiv durch

• Mitwirkung an einem Seminar der türkischen Bildungsgewerkschaft Egitim Sen zur Kinderarbeit in der Türkei. Dort arbeiten nach offiziellen Zahlen etwa 800 000 Kinder.
• Teilnahme am dritten Weltkongress der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) gegen Kinderarbeit, der im Oktober in Brasilien stattgefunden hat.
• einen Ideenwettbewerb ‚Kinderarbeitsfreie Zonen‘, dessen Ergebnisse auf der didacta 2014 präsentiert werden sollen.

Internationale Organisationen

Die Bildungsinternationale, Dachverband von 400 Bildungsgewerkschaften mit 30 Millionen Mitgliedern weltweit, hat aus Anlass des WeltlehrerInnentag am 4.10.2013 am Sitz der UNESCO in Paris die weltweite Kampagne "Gemeinsam für gute Bildung" (Unite for qualitiy education – better education for a better world) gestartet. Sie veranstaltet darüber hinaus seit 2011 jedes Jahr einen Gipfel zum Lehrerberuf "International Summit on the teaching Profession" mit Bildungsministern und Gewerkschaftsvertretern aus OECD-Ländern. Der diesjährige Gipfel fand in Amsterdam statt. Im kommenden Jahr soll der Gipfel zum Lehrerberuf in der neuseeländischen Hauptstadt Wellington stattfinden. Dies geschieht in Kooperation mit der OECD und verweist auf deren gewachsene Rolle im Bildungssektor. Auch die Bedeutung EU nimmt zu. Insbesondere durch die Hintertür der Freihandelsabkommen, die die Marktöffnung für private Unternehmen im Dienstleistungs- und Bildungssektor beinhalten, geraten staatliche Bildungssysteme in Gefahr. Denn aus Sicht der Freihandelsbefürworter gelten diese als "nichttarifäre Handelshindernisse", die es zu überwinden gilt. Auch dies erfordert die Aktivität der GEW über die Europäische Bildungsgewerkschaft und ist Inhalt einer Arbeitsgruppe der Jahrestagung.

OECD-Bildungspolitik

Roland Schneider, langjähriger Mitarbeiter bei TUAC (Trade Union Advisary Committee), dem gewerkschaftlichen Beratungsgremium bei der OECD, informierte über den weltweit wachsenden Einfluss der OECD insbesondere in der Bildungspolitik. Die OECD entfaltet aufgrund ihrer wissenschaftlichen Studien und Publikationen zu Bildungsthemen, die einen Vergleich und ein Ranking von Staaten ermöglichen, einen erheblichen politischen Handlungsdruck auf die nationalen Bildungssysteme. Sie setzt damit Themen in der Art von "soft governance" durch

• Ideenproduktion
• Vergleich und Bewertung von politischen Vorgehensweisen der einzelnen Staaten
• Publikationen, z.B. "Education at a Glance"
• Untersuchungen wie die PISA - Studie

Damit verlagern sich informell politische Entscheidungen auf die Ebene internationaler Institutionen, die weitgehend ohne demokratische Kontrolle arbeiten. Die OECD wird so zum Akteur in der Bildungspolitik. Das Problem dabei ist die in der Institution OECD vorherrschende und institutionell und personell verankerte neoliberale - "marktwirtschaftliche" - Denkweise. So richtet sich die Einflussnahme der OECD auf "Entstaatlichung" der Bildungspolitik: Wettbewerb, private Finanzierung und Orientierung der zu vermittelnden Kompetenzen am Arbeitsmarkt werden zu zentralen Kriterien bei der Bewertung von Bildung. Die zahlreichen Tests eröffnen zudem den Weg zur Entstehung einer privaten "Testindustrie". Das ändert nichts daran, dass die Untersuchungen und Publikationen der OECD von großem Wert für die bildungspolitische Diskussion sind; die neoliberale Orientierung der Organisation lässt sich jedoch auch von gegenteiligen Untersuchungsergebnissen nicht beeinflussen.

TUAC

Das gewerkschaftliche Beratungsgremium bei der OECD wird gemeinsam finanziert von nationalen Gewerkschaftsbünden wie dem DGB und hat demgegenüber folgende Ziele:

• Information der Gewerkschaften über die Arbeit der OECD
• Einflussnahme auf die OECD im Sinne von Lobbyarbeit

Damit sollen die OECD und ihre Mitarbeiter auch mit von der neoliberalen Denkweise abweichenden Positionen insbesondere in den Themenfeldern Bildung, Ausbildung und Arbeitsmarktpolitik konfrontiert werden. Das Referat von Roland Schneider machte deutlich, dass hier ein wachsendes Aufgabenfeld für die internationale Gewerkschaftspolitik entstanden ist.

Arbeitsgruppen und Ergebnisse

In vier Arbeitsgruppen Bildung statt Kinderarbeit, Europa, Israel/Palästina und OECD ging es am Samstag früh weiter: Nach kurzer, aber intensiver Diskussion in den Arbeitsgruppen wurden die Ergebnisse im Plenum vorgestellt. So wurde die Arbeit der GEW-Stiftung „Fair Childhood“ mit ihren Projekten in Indien präsentiert, der Foto-/Design-Auftritt hinterfragt und über neue Projektpartner beraten. Im europäischen Kontext sollen die Solidaritätsarbeit mit den südeuropäischen Gewerkschaften fortgeführt und Gegen-Strategien zur Austeritäts- bzw. Kürzungspolitik der Europäischen Union weiter entwickelt und unterstützt werden. Nach einer erfolgreichen Neuausrichtung hin zu mehr Jugendaustausch mit der israelischen Histadrut Hamorim und bestehenden Projekten zur deutsch-israelisch-polnischen Erinnerungsarbeit zum Holocaust soll auch der Austausch mit der palästinensischen GUPT im Bildungsbereich weiter entwickelt werden, um einen kleinen Beitrag zu einer Annäherung der Gewerkschaften in der Region zu leisten. Mit der OECD will die GEW weiter im Gespräch bleiben und mit Hilfe der TUAC-Expertise OECD-Berichte wie PISA und PIAAC auch künftig kritisch begleiten und deren Ergebnisse dazu nutzen, in der öffentlichen Diskussion auf die strukturelle Diskriminierung und Bildungsungerechtigkeit in Deutschland hinzuweisen.

Perspektiven internationaler Arbeit der GEW

Abschließend stellten die GEW-Vorsitzende Marlis Tepe und Andreas Keller (stellvertretender GEW-Vorsitzender sowie Vizepräsident des europäischen Dachverbands ETUCE) die Arbeitsschwerpunkte für das Jahr 2014 vor. Marlis Tepe machte klar, dass die GEW sich auch 2014 weiter stark international einbringen will. So will sich die GEW wieder mehr in der Bildungsinternationale engagieren und im europäischen Dachverband ETUCE und in den Foren des Sozialen Dialogs auf europäischer Ebene für politische Alternativen zur Sparpolitik einsetzen. Die europäischen KollegInnen, die der Sparpolitik zum Opfer fallen – dies schließt ja selbst das reiche Dänemark ein - , sollen die Unterstützung der GEW finden. Solidaritätsprojekte mit Gewerkschaften aus dem Globalen Süden (Türkei, Kolumbien, Burkina Faso) sollen fortgeführt werden. Die GEW wird sich weiterhin für Bildung statt Kinderarbeit weltweit einsetzen. Aber sie bringt sich auch konkret in Deutschland in die Arbeit der Globalen Bildungskampagne ein. Handels- und wirtschaftspolitisch sensible Initiativen wie das geplant EU-US-Freihandelsabkommen TTIP werden auf ihre bildungspolitischen Implikationen kritisch überprüft und Gegenpositionen dazu entwickelt. Der Sozialforumsprozess soll bestärkt werden, damit auch auf europäischer Ebene wieder mehr Austausch in Gang kommt. Diskutiert wurde auch die internationale Anregung, gemäß der UN-Forderung an reiche Länder auch in Gewerkschaften 0,7% des Budgets für entwicklungspolitische Projekte und Programme zu verwenden.

Gefördert durch das Bildungs- und Förderungswerk der GEW im DGB e.V.