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Tarifrunde TV-L 2021

„Wir tragen eine enorme Verantwortung“

Bei den Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst der Länder geht es auch um Tausende Erzieherinnen und Erzieher an Kitas und Grundschulen in Berlin. Zwei Kollegen berichten, warum ein deutliches Gehaltsplus auch für sie notwendig ist.

Jochen Hoffert (Foto: Kay Herschelmann)

„Gemeinsam packen wir‘s“

Jochen Hoffert, 33, Erzieher an einer Grundschule in Berlin-Neukölln

„Die Ausbildung zum Erzieher habe ich berufsbegleitend gemacht, in einer privaten Kita in Marzahn-Hellersdorf. 60 Kinder, vier Tage Kita, ein Tag Berufsschule mit viel praxisnaher Reflexion und der nötigen Theorie. Für mich war das ein perfekter Mix, auch weil ich im berufsbegleitenden Modell mehr Geld verdient habe als in einer Kompaktausbildung. Nach der Ausbildung habe ich fünf Jahre lang in der Kita gearbeitet. Trotz meiner Erfahrungen wurde ich bei meinem nächsten Job wieder in die Grundstufe eingeordnet, weil im öffentlichen Dienst Zeiten bei einem privaten Träger nicht anerkannt werden. Als Erzieher an einer Neuköllner Grundschule bin ich nun Angestellter des Landes Berlin und verdiene 1.971 Euro netto im Monat. Ich finde das ungerecht. Ich bin doch kein Neuling mehr.

Ich bin extra in einen Brennpunktkiez gegangen, weil ich etwas für Kinder tun möchte, denen es nicht gut geht. Ich -unterstütze sie beim Lernen, kläre Konflikte, biete Arbeitsgemeinschaften zu Demokratiebildung oder Umwelt an. Vor allem aber merke ich im Alltag immer wieder, wie wichtig es gerade für Kinder aus schwierigen Verhältnissen ist, für sie da zu sein, ihnen Zutrauen zum Leben zu vermitteln. Aber wo bleibt die Anerkennung dafür?

Eine Einmalzahlung für unseren Einsatz in der Corona-Zeit ist ganz nett, aber verändert nichts. Wir brauchen dauerhaft mehr Geld im Portemonnaie. Es ist in Ordnung, sich für die Arbeit das Futter aus dem Jackett zu reißen, aber es darf nicht sein, dass wir dann jeden Cent umdrehen müssen. Ein Kinobesuch mit der Familie oder ein extra Kaffee muss doch mal drin sein. Meine Partnerin und ich bekommen in den nächsten Wochen das zweite Kind; wir brauchen daher eine größere Wohnung. Wovon sollen wir das bezahlen? 150 Euro mehr Gehalt im Monat wären eine große -Erleichterung.

Ich versuche jeden Tag, Kollegen und Kolleginnen für unseren Arbeitskampf zu gewinnen, verteile Flyer und hänge Plakate auf. Viele bekommen nicht mit, was die Gewerkschaften machen. Und leider ist die Skepsis groß. ,Bringt eh nichts‘, sagen die einen. ,Wir können den Unterricht nicht ausfallen lassen‘, argumentieren die anderen. Viele scheuen sich, selbstbewusst aufzutreten. Der persönliche Kontakt bringt am meisten, wenn der Funke überspringt, kommt etwas in Bewegung. Gemeinsam packen wir´s. Diesmal wollen vermutlich zehn bis 15 Leute an unserer Schule mitmachen, beim letzten Streik waren es vier.“

In der Tarifrunde öffentlicher Dienst der Länder fordern die Gewerkschaften 5 Prozent, mindestens jedoch 150 Euro mehr Gehalt für die Beschäftigten. Dazu zählen bei der GEW vor allem die angestellten Lehrerinnen und Lehrer an den Schulen in Deutschland, aber auch die Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst sowie an den Hochschulen.

Außerdem soll es 100 Euro monatlich mehr für alle in Ausbildung geben. Die GEW setzt sich weiter für die vollständige Paralleltabelle ein, die eine bessere Eingruppierung für viele angestellte Lehrerinnen und Lehrer unterhalb der Entgeltgruppe 13 und damit mehr Gehalt bringen würde. Zudem fordert die GEW, dass Verhandlungen für einen Tarifvertrag für studentische Beschäftigte aufgenommen werden.

Die TV-L Tarifrunde 2021 gilt als eine der schwierigsten der vergangenen 20 Jahre. Die öffentlichen Arbeitgeber geben sich bisher wenig verhandlungsbereit und verweisen unter anderem auf die Kosten der Coronapandemie. Die Gewerkschaften betonen die hohen Belastungen der Beschäftigten in dieser Zeit und wollen einen fairen Ausgleich.

Drei Verhandlungsrunden

Die erste Verhandlungsrunde zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften findet am 8. Oktober in Berlin statt, die zweite und dritte Runde sind für den 1./2. November und den 27./28. November jeweils in Potsdam geplant.

Die Forderung der Gewerkschaften bezieht sich auf eine Laufzeit des Tarifvertrags von einem Jahr.

In der Tarifrunde 2021 für den öffentlichen Dienst der Länder geht es um Gehaltserhöhungen für rund zwei Millionen Beschäftigte. Ver.di hat gegenüber der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) die Verhandlungsführerschaft für die DGB-Gewerkschaften GEW, GdP und IG BAU sowie die dbb tarifunion.

Ayodele Olowolafe (Foto: Kay Herschelmann)

„Mehr Anerkennung!“

Ayodele Olowolafe, 44, Erzieher im Eigenbetrieb Südwest, Berlin-Lichterfelde

„Ich suche gerade einen Standort für ein Streikcafé, spreche, wann immer möglich, Kolleginnen und Kollegen an, poste auf Social Media: Leute, macht mit, das sind unsere Forderungen. Es ist mein erster Arbeitskampf als Personalrat, seit Mai bin ich zuständig für die Kita Eigenbetriebe Südwest in Berlin. Ich merke, wie schwierig es ist, die Fachkräfte zu mobilisieren. ,Was bringt mir das?‘, sagen viele. Manche denken, naja, wenn die anderen streiken, reicht das ja vielleicht. Viele Fachkräfte sowie Kindheitspädagoginnen und -pädagogen fühlen sich alleingelassen: ,Neben den Lehrerinnen und Lehrern zählen wir doch nicht.‘

Ich arbeite seit 2018 als Erzieher. Vorher habe ich alles Mögliche gemacht. Konstruktionstechnik, Maschinenbau, Storemanager eines Klamottenlabels, später war ich in der Gastronomie. Wir hatten dort viele Familien zu Gast, und oft wurde mir gesagt: Sie können aber gut mit Kindern umgehen. So habe ich schließlich Kindheitspädagogik studiert. Danach bin ich in einen Eigenbetrieb gegangen, weil ich dort als Festangestellter mehr Sicherheit als bei einem privaten Träger habe. Ich liebe den Beruf, die Freiheit, gemeinsam mit den Kindern den Tag zu gestalten, ist fantastisch.

Es war immer mein Traum, in der Kita zu bleiben. Wir brauchen mehr Anerkennung. Trotz gegenteiliger Beteuerungen werden Kitas immer noch nicht als Bildungseinrichtungen wahrgenommen. Das merke ich in Elterngesprächen genauso wie in den Äußerungen der Politik. Der Output unserer Arbeit lässt sich eben nicht direkt messen, unsere Bildungspläne haben gerade mal Richtliniencharakter, weit entfernt von fest verankerten Lehrplänen an Schulen.

Dabei tragen wir enorme Verantwortung für die Kinder anderer Familien, und die Ansprüche an uns sind gewaltig. Aber keiner möchte uns unserer Leistung entsprechend bezahlen, wir werden nur artig beklatscht. Das macht mich sehr traurig. Selbst wenn wir es schaffen, die Gehaltsforderung von 5 Prozent durchzusetzen, ist das eigentlich zu wenig. Das Einstiegsgehalt liegt derzeit bei 2.889 Euro brutto. Ich habe einen Studienabschluss, aber das hilft mir in Berlin wenig. Ich werde hier als Erzieher anerkannt, nicht als Kindheitspädagoge. Solange wir nicht alle einen Hochschulabschluss vorweisen können, wird das Argument immer lauten: Euch fehlt die Qualifikation für eine bessere Bezahlung, eine höhere Eingruppierung in den Tarifvertrag.

Ich mache gerade nebenberuflich einen Master in Demokratiepädagogischer Schulentwicklung. Vielleicht gehe ich danach als Quereinsteiger an die Schule. Aber jetzt wünsche ich mir erstmal, dass wir streiken und damit Erfolg haben. Das ist ein Grundrecht in unserer Demokratie, und ich freue mich darauf.“