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Erfahrungsbericht

„Planen kann ich nichts“

Es gibt weder bundesweite Standards noch allgemeingültige Tarifverträge: Wer in der Weiterbildung arbeitet, bekommt häufig wenig Geld, kaum Rente und muss mit viel Unsicherheit leben. Helfen würde ein Bundesweiterbildungsgesetz.

Vergangenen Donnerstag saß wieder eine aufgelöste Kollegin in Kristin Gehrt-Bischs Beratungszimmer: „Wie soll ich das alles schaffen?“ Besuche in Praktikumsbetrieben und Schulen, Bewerbungstrainings und Berufsvorbereitung, Einzelgespräche und Unterrichtsplanung, Dokumentation und Verwaltung. Drei Berufseinstiegskurse, 45 Jugendliche, in 25 Stunden Teilzeitjob. Gehrt-Bisch schüttelte den Kopf und antwortete ihr: „Kollegin, das kann nicht gehen.“ Gehrt-Bisch ist Betriebsrätin bei den Beruflichen Fortbildungszentren der Bayerischen Wirtschaft (bfz), einem Weiterbildungsträger mit 3.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an 23 Standorten. Seit vier Jahren kümmert sich die Seminarleiterin Sozialpädagogik in der Niederlassung Ingolstadt um die Probleme von 265 Kolleginnen und Kollegen.

Es hakt an vielen Ecken. Die Arbeitsverdichtung wächst vielen über den Kopf, „manchmal ist ein Dozent für drei Klassen gleichzeitig zuständig“, die räumliche Ausstattung ist bescheiden, die Computertechnik veraltet, es fehlen Diensthandys, Personalräume, zuweilen Mitarbeitertoiletten. 30 Prozent der Beschäftigten arbeiten auf Honorarbasis, die meisten Festangestellten haben befristete Verträge. Und mit einem Gehalt zwischen 1.900 und 2.600 Euro brutto im Monat für einen Vollzeitjob wird es nicht nur heute knapp, sondern auch in Zukunft: Damit erwirtschaftet man nicht mal einen Rentenpunkt im Jahr, Altersarmut ist programmiert. „Wir haben hervorragende Fachkräfte, die richtig gute Maßnahmen machen“, sagt Gehrt-Bisch, „aber die Arbeitsbedingungen müssen sich dringend ändern.“

Diese stehen in krassem Gegensatz zu der Bedeutung der Branche. Seit Jahren ist Konsens: Lebenslanges Lernen ist unerlässlich, um auf Dauer in einer Gesellschaft bestehen zu können, die sich immer schneller wandelt. Schulabschlüsse nachholen, sich beruflich up to date halten, Migrantinnen und Migranten integrieren, wieder Anschluss an den Arbeitsmarkt finden – Weiterbildung leistet auch einen wichtigen Beitrag, um der gesellschaftlichen Spaltung entgegenzuwirken.

„Prekäre Beschäftigungsverhältnisse prägen einen großen Teil der Branche.“ (Rolf Dobischat)

Und: Die Bürgerinnen und Bürger nehmen die Angebote an. Laut dem vom Bundesbildungsministerium herausgegebenen „Adult Education Survey“ 2016* entscheiden sich 50 Prozent der Erwachsenen jedes Jahr für eine „Weiterbildungsaktivität“. 71 Prozent setzen auf eine betriebliche Weiterbildung, 10 auf individuelle berufsbezogene Bildungsangebote. Hinzu kommen staatlich organisierte Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung, finanziert aus öffentlichen Fördergeldern der Bundesagentur für Arbeit, des Europäischen Sozialfonds oder der Länder.

Wie viele Menschen in der Weiterbildungsbranche arbeiten, lässt sich nicht genau beziffern. Hochrechnungen der Wissenschaft gehen von rund 600.000 Beschäftigten aus, von denen knapp 30.000 in der beruflichen Weiterbildung nach Sozialgesetzbuch (SGB) II und III arbeiten. „Angesichts der vielen Herausforderungen ist die staatlich finanzierte Weiterbildung chronisch unterfinanziert“, sagt Rolf Dobischat, Bildungsforscher an der Universität Duisburg-Essen. Eine Folge: Bei den Festangestellten sind Fristverträge häufig, die Einkommen liegen im Vergleich zur privat finanzierten Weiterbildung erheblich niedriger. Viele hauptberufliche Freelancer verdienen nicht mehr als 1.750 Euro brutto. Dobischat betont: „Prekäre Beschäftigungsverhältnisse prägen einen großen Teil der Branche.“

Dabei ist klar: Wenn die Beschäftigten gute Arbeit leisten sollen, müssen die Rahmenbedingungen stimmen. Dazu gehören eine angemessene Bezahlung, sichere Beschäftigung und ein hohes Qualifikationsniveau der Lehrkräfte. Doch nach wie vor ist die Branche zersplittert, der Zugang zu den Berufen in der Weiterbildung ist weitgehend offen, es fehlen einheitliche Qualifikationsstandards und klare Kriterien für das, was professionelle Arbeit in der Weiterbildung kennzeichnet. Welchen Hochschulabschluss brauchen Weiterbildnerinnen und Weiterbildner, welche pädagogisch-didaktischen Kompetenzen, wie müssen sie sich im Laufe ihrer Berufstätigkeit fortbilden, um auf dem dynamischen Feld der beruflichen Bildung auf dem Laufenden zu bleiben? „Im Gegensatz zu Ärzten und Rechtsanwälten ist es in der Erwachsenenbildung bislang nicht gelungen, verbindliche Standards für die Profession festzulegen und umzusetzen“, sagt Dobischat.

Immerhin, in Punkto Lohn gibt es kleine Fortschritte – etwa den, dass es GEW und ver.di gelang, einen branchenspezifischen Mindestlohn für die öffentlich geförderte berufliche Weiterbildung nach SBG II/III zu erstreiten. Nur: Dieser liegt mit gut 15 Euro immer noch 20 Prozent unter der Bezahlung nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD). „In Krefeld bekommen Sie dafür gerade mal jemanden, der Ihre Wohnung saubermacht“, kritisiert Dobischat, „und 60 Prozent der Erwachsenenbildner haben sogar einen Hochschulabschluss.“ Überfällig sei ein branchenübergreifender allgemeingültiger Tarifvertrag, orientiert an der Entgeltordnung des TVöD, der für die ganze Aus- und Weiterbildungsbranche gilt. Für diesen macht sich auch die GEW in einem Beschluss von 2017 stark.

„Die Arbeit macht glücklich und gibt mir Sinn, die Kollegen sind wahnsinnig nett.“ (Susanne Galander)

Vermutlich hätte Susanne Galander – die ihren richtigen Namen nicht gedruckt sehen möchte – eine Festanstellung bei einem großen Weiterbildungsträger in Süddeutschland haben können. Sagt sie. Doch immer nur befristet? Nein. Lieber hat sich die 39-Jährige für die Freiberuflichkeit entschieden. Drei Tage die Woche unterstützt sie Jugendliche aus Förderschulen bei Berufsorientierung, Kommunikation, der Entwicklung sozialer Kompetenzen. Ihre Verträge laufen über drei Monate, kündbar mit einer Frist von 14 Tagen. „Planen kann ich nichts.“ Trotzdem passt es für sie. Nach Kinderpause und anschließendem Studium der Sozialen Arbeit will sich Galander langsam wieder ins Berufsleben einfädeln und dabei möglichst flexibel sein. Natürlich, das Honorar ist nicht üppig, Sozialabgaben muss sie selbst tragen. „Aber zum Glück muss ich nicht davon leben“, sagt Galander, ihr Mann verdient gut als Softwareentwickler. „Die Arbeit macht glücklich und gibt mir Sinn, die Kollegen sind wahnsinnig nett.“ Und um ihr Einkommen aufzubessern, arbeitet sie zusätzlich in einem Nachhilfeinstitut auf 450 Euro-Basis.

Damit liegt Galander im Trend: „Viele Beschäftigte in der Weiterbildung entscheiden sich heute bewusst für eine gewisse Unsicherheit“, beobachtet Bildungsforscher Dobischat. Die Arbeit ist flexibel, es gibt kaum formale Zugangsbeschränkungen, beides macht sie laut Personalmonitor Weiterbildung des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung (DIE) attraktiv: Für 66 Prozent der Befragten ist die Vereinbarkeit mit dem eigenen Lebensentwurf Grund für einen Job in der Weiterbildung.

Jens-Uwe Jordan hingegen ist nach seinem Diplom Anfang der Nullerjahre eher zufällig in der Weiterbildung gelandet. Damals waren feste Stellen für Sozialpädagogen schwer zu finden, Bildungsträger boten eine Alternative. Jordan arbeitete bei größeren und kleineren Trägern vom TÜV Rheinland bis zum Bildungs- und Beratungsinstitut (BBI) in Halle, fast immer war er festangestellt. Allerdings: Oft waren die Verträge befristet, Wechsel programmiert. „In den vergangenen Jahren ist der Markt noch schnelllebiger geworden“, sagt Jordan. 2020 läuft sein aktueller Vertrag beim BBI aus, ob er verlängert wird, entscheidet sich relativ kurzfristig.

Doch Jordan hat gelernt, „sich zu arrangieren“, mit dem bescheidenen Gehalt von etwa 2.600 Euro brutto, mit der Unsicherheit, die zu seinem Leben gehört und dem seiner Familie: Frau, drei Kinder, Einfamilienhaus. Sollte er Mitte 2020 keinen Anschlussvertrag bekommen, wird er sich anderswo etwas Neues suchen. Jordan weiß: Auch sein Träger kann nicht langfristig planen. „Die Vergaberichtlinien der Arbeitsagentur legen ihm oft Schraubzwingen an – vieles ist einfach nicht für das Geld machbar.“

„Zwar wird die Qualität jetzt stärker gewichtet, aber wer sein Konzept 20 Prozent billiger anbietet als die Konkurrenz, ist nach wie vor nicht zu schlagen.“ (Walter Würfel)

Dabei ist die Vergabeverordnung erst 2016 geändert worden. Grundlage ist die Europäische Vergabedienstleistungsrichtlinie von 2014, zwei Jahre später folgte die nationale Umsetzung. Sie verpflichtet die Arbeitsagentur, bei der Auftragsvergabe Qualität der Maßnahme und Erfahrung des Personals stärker zu berücksichtigen. Doch noch sei das mehr Theorie als Praxis, kritisiert Walter Würfel vom Bundesverband der Träger beruflicher Bildung (BBB). Denn zum einen seien die Vergabeverfahren nach wie vor „kafkaesk bürokratisiert“. Nach einem fein gefächerten Kriterienkatalog – von Personalausstattung über Infrastruktur bis zum Förderplan – wird das Angebot mit einem komplizierten Punkteschlüssel bewertet und dann mit dem Preisangebot des Trägers pro Teilnehmer verrechnet. „Zwar wird die Qualität jetzt stärker gewichtet, aber wer sein Konzept 20 Prozent billiger anbietet als die Konkurrenz, ist nach wie vor nicht zu schlagen“, sagt Würfel.

Zum anderen werden nur Durchführungsqualität und Output gemessen, nach Kennzahlen, zum Beispiel: Wie viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben die Maßnahme abschlossen? Die Qualifikation der Dozentinnen oder Dozenten oder die Qualität des Unterrichts bleiben unberücksichtigt. Würfel: „Und was ein Träger tatsächlich investieren muss, um eine Maßnahme erfolgreich durchzuführen, zeigt sich erst, wenn die Teilnehmer dann vor einem sitzen.“ Wie viele Bildungserfahrungen und Vorkenntnisse haben sie? Wie motiviert sind sie? „Deshalb müssten sich Träger und Arbeitsagentur nach Vergabe kontinuierlich abstimmen.“

Bisher geschieht das nicht. Die Folge: Das Geld reicht oft vorn und hinten nicht. Häufig wird die Umsetzung teurer als geplant. „Vielen Trägern bleibt nichts anderes übrig, als die SGB II/III-Maßnahmen mit anderen Dienstleistungen zu subventionieren oder Abstriche an der Qualität zu machen“, sagt Würfel. Etwa, indem sie Dozentinnen oder Dozenten beschäftigen, die für die Aufgabe nicht ausreichend ausgebildet sind. „Qualifiziertes Personal für einen Mindestlohn zu  bekommen, ist ohnehin schwieriger geworden“, beobachtet Würfel. Zum Beispiel, weil Dozenten als Quereinsteiger an die Berufsschulen abwandern – auch dort grassiert der Lehrkräftemangel; und es lässt sich mehr verdienen. „Wenn ein Träger nichts drauflegen kann, riskiert er also hohe Fluktuation.“ Sobald ein besseres Angebot kommt, brechen schlecht bezahlte Dozenten ab – vielleicht sogar mitten in der Maßnahme.

„Im Zweifelsfall signalisieren wir: Ihr müsst was für Qualifizierungen drauflegen.“ (Angelika Preiß)

Angelika Preiß, Geschäftsführerin der PEAG Transfer GmbH in Dortmund, bestätigt das: Auch bei vielen Bildungsträgern, bei denen sie Qualifizierungen für Menschen, denen sie zu neuen Jobs verhelfen soll, in Auftrag gibt, fehlt es an Personal. Für Grundqualifizierungen – etwa Gabelstaplerkurse oder EDV-Weiterbildungen – wird es für Bildungsträger besonders schwierig: „Die Sätze der Bundesanstalt sind hier niedrig.“ Dabei hat es Preiß vergleichsweise leicht: Die Unternehmen, die ehemalige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in eine Transfergesellschaft überführen, finanzieren die Beratung und Qualifizierung verhältnismäßig gut, damit ihr ehemaliges Personal wieder Fuß auf dem Arbeitsmarkt fassen kann – dazu haben sie sich im ausgehandelten Sozialplan verpflichtet.

„Im Zweifelsfall signalisieren wir: Ihr müsst was für Qualifizierungen drauflegen“, sagt Preiß. „Als Transfergesellschaft müssen wir im Gegensatz zu den meisten anderen freien Trägern nur kostendeckend arbeiten.“ Ihren festangestellten Beraterinnen und Beratern kann Preiß daher mehr bieten als den Mindestlohn: im Schnitt 3.500 Euro brutto. Voraussetzung: gute Praxiserfahrung und ein Hochschulabschluss im Feld Personalwesen oder Weiterbildung. „In Inhouse-Schulungen qualifizieren wir sie zudem regelmäßig weiter“, sagt Preiß, „die Qualität unserer Arbeit muss stimmen.“

Eine solche Qualitätsorientierung ist in der Branche noch lange nicht die Regel. Um diese in die Fläche zu tragen, bräuchte es eine bessere öffentliche Finanzierung der beruflichen Weiterbildung, mehr an die Berufspraxis angepasste Qualifizierungsangebote an den Hochschulen und nicht zuletzt endlich ein Bundesrahmengesetz für die gesamte Weiterbildung, das Grundsätze für Angebote, Zugang, Qualitätssicherung, Finanzierung und Professionalität des Personals festlegt. „Letztlich ist das eine Frage der Politik“, resümiert Bildungsforscher Dobischat. „Wir müssen den alten Streit aus den 1970er-Jahren endlich entscheiden: Wollen wir mehr Markt oder mehr staatliche Regulierung?“ Absehbar ist: Ohne letztere bleibt gute Qualität in der Weiterbildung eine Wackelpartie.