Zum Inhalt springen

Mehr Männer in Kitas - Modellprogramm mit Nebenwirkungen

Grundsätzlich ist das Ziel des neuen Modellprogramms von Familienministerin Schröder zu begrüßen. "Mehr Männer in die Kitas", das fordert auch die GEW. Doch der geplante Schnellkurs des Bundesministeriums bietet mehr Nebenwirkungen als echte Perspektiven.

Die Gleichstellung von Männern und Frauen in der Arbeitswelt ist seit langer Zeit ein Thema der Frauenpolitik. Das besondere Engagement gilt dem Zugang von Frauen zu Männerberufen. So sollen z. B. mit einem bundesweiten, jährlich stattfindenden „Girl’s Day“ Mädchen in klassische Männerberufe hineinschnuppern, um sich dann gegebenenfalls für eine Ausbildung als Informatiker, Elektriker oder Maurer zu interessieren. Ein weiteres wichtiges Thema ist auch, die Karriere von Frauen in Management und Spitzenfunktionen von Unternehmen und Verwaltungen zu fördern. Nicht zuletzt geht es um „equal pay“, also darum, die systematisch schlechtere Bezahlung von Frauen gegenüber Männern zu beseitigen. So verdienen z. B. Frauen mit einem Fachschulabschluss im Beruf der Erzieherin monatlich bis zu 900 Euro weniger als Männer im Fachschulberuf eines Technikers.

Bundesfrauenministerin Kristina Schröder hat nun ein neues Thema entdeckt: die Gleichstellung von Männern in typischen Frauenberufen. Hierzu zählen traditionell Berufe im Erziehungswesen, also Kinderpflegerinnen und Erzieherinnen. Frauen dominieren das Geschäft in Kindertagesstätten mit einem Anteil von 97,6 Prozent. Bereits im Jahr 1996 hat das EU-Netzwerk „Kinderbetreuung“ empfohlen, dass 20 Prozent des Personals in Kindertageseinrichtungen Männer sein sollten. Davon ist Deutschland um 17,6 Prozent entfernt. Gerade einmal 7.980 Erzieher stehen 330.317 Erzieherinnen gegenüber. Eine Erhöhung des Männeranteils auf 20 Prozent würde bedeuten, 66.000 Männer als Erzieher auszubilden, einzustellen und auf Dauer im Beruf zu halten.

Ein auf zwei Jahre angelegtes Modellprogramm soll Abhilfe schaffen. Mit Mitteln aus dem Europäischen Sozialfonds im Umfang von 12,5 Millionen Euro sollen etwa zehn kommunale oder freie Träger von Kindertagesstätten durch ein Bündel von Maßnahmen mehr Chancengleichheit für Männer erreichen. Dazu gehören gezielte Informationen für Schüler im Berufswahlunterricht über den Beruf des Erziehers, die Erstellung von Informationsbroschüren sowie die Umschulung von arbeitslosen Männern. Zudem soll dem Trend entgegengewirkt werden, dass Männer, die sich für den Beruf des Erziehers entschieden und eine entsprechende Beschäftigung aufgenommen haben, die Kindertagesstätte nach kurzer Zeit wieder verlassen.

Das Modellprogramm fußt konzeptionell auf eine Studie zur Situation von Männern in Kindertagesstätten, die von Michael Cremers, Jens Krabel, Stephan Höyng und Marc Callenbach von der Katholischen Hochschule für Sozialwesen Berlin erarbeitet worden ist. Danach ergab eine Analyse der Daten, dass in den südlichen und östlichen Bundesländern der Männeranteil besonders gering ist. An der Spitze stehen die Bundesländer Hamburg mit 7,7 Prozent, Bremen mit 6,8 Prozent und Schleswig-Holstein mit 4,3 Prozent. Schaut man genauer in diese drei Bundesländer, kann man feststellen, dass es einen Zusammenhang von Qualifikationsniveau, Stellenprofil und Männeranteil gibt. So sind es in Bremen in der Regel akademisch geschulte Integrationserzieher, in Hamburg finden sich Männer vor allem als Leitungskräfte. Der bemerkenswerte Männeranteil in Schleswig-Holstein resultiert aus den Kindergärten in der Trägerschaft dänischer Organisationen, in denen es vorgeschrieben ist, dass Erzieher eine akademische Ausbildung haben müssen. Generell ist der Anteil von Männern in Kindertagesstätten in Großstädten höher als auf dem Land. Hier liegen Flensburg und Kiel mit 10,8 Prozent sowie Frankfurt am Main mit 9,8 Prozent und Kassel mit 8,5 Prozent an der Spitze. Auch Freiburg mit 6,4 Prozent gegenüber dem baden-württembergischen Landesdurchschnitt von 1,6 Prozent und Dresden mit 4,4 Prozent gegenüber landesweit 1,3 Prozent ragen heraus.

Die Studie bestätigt Befunde aus vorangegangenen Untersuchungen, nach denen Männer den Beruf des Erziehers auch deshalb nicht wählen, weil die Verdienst- und Aufstiegsmöglichkeiten schlecht sind. Auf einer Tagung des Bundesfamilienministeriums am 20. Juli 2010 zur Einführung des Modellprogramms relativierte Staatssekretär Josef Hecken die Befürchtung, man würde als Erzieher zu wenig verdienen. Er wies darauf hin, dass das Gehalt der Erzieherin nur um 39,-- Euro unter dem Gehalt des Kfz-Mechatronikers läge. Gegenüber anderen typischen Männerberufen wie Fleischer, Bäcker oder Koch würden sich Erzieherinnen deutlich besserstellen. Abgesehen davon, dass der Vergleich der Gehälter systematisch falsch ist, weil man die Vergütungen des Fachschulberufs Erzieherin mit anderen Fachschulberufen vergleichen müsste und dann zu dem Ergebnis käme, dass die Erzieherin gegenüber dem Techniker in der Metall- und Elektroindustrie bis zu 900,-- Euro weniger verdient, ist er dennoch aufschlussreich. Er weist den Weg zur angestrebten Zielgruppe des Programms „Mehr Männer in Kitas“. Offenbar gibt man den Wettbewerb um gute Realschüler und Abiturienten auf und versucht erst gar nicht, sie von einer qualifizierten und zukunftsreichen Ausbildung abzubringen. Stattdessen schaut man in klassische, überproportional von Männern ausgeübte Gesellenberufe des Handwerks und verspricht sich dort eine erfolgreiche Werbekampagne für Kindertagesstätten. Zweifellos ist es sinnvoll und mit Erfolg möglich, Handwerker für eine Umschulung zum Erzieher zu gewinnen. Sie entdecken an sich selbst neue Begabungen, entwickeln im Verlauf der Ausbildung erzieherische Kompetenzen und Qualifikationen. Daraus können in Einzelfällen gelingende berufliche und persönliche Perspektiven werden, die aus der Arbeitslosigkeit herausführen und für alle Seiten einen Gewinn darstellen.

Aus diesen gelungenen Einzelbeispielen programmatische Politik zu entwickeln, ist grundsätzlich falsch. An Bildung, Erziehung und Betreuung werden zu Recht hohe Erwartungen gerichtet. Kindertagesstätten sind längst keine Betreuungseinrichtungen mehr, sondern hochqualifizierte Bildungseinrichtungen. Ob es um Spracherziehung geht, um Naturwissenschaft und Technik, um das Verständnis der Kulturen, um Gesundheit, Ernährung und Bewegung, um Umweltschutz und Regeln für ein friedliches Miteinander, in allen Bereichen ist die Kindertagesstätte gefragt, Grundlagen für den weiteren Lern- und Lebensweg zu legen. Die Bildungskarriere, die am besten erfolgreich mit dem Abitur abgeschlossen wird, beginnt spätestens mit drei Jahren in der Kindertagesstätte. Was in der Kindertagesstätte geschieht und wie gut der pädagogische Erfolg ist, hängt ganz entscheidend von den Erzieherinnen und Erziehern ab. In den letzten fünfzehn Jahren wurde enorm in Qualifizierung, Fort- und Weiterbildung investiert. Es wird in Deutschland kaum eine Erzieherin geben, die in den letzten Jahren nicht an einem Fortbildungsprogramm teilgenommen hat. Dies, das sei nur am Rande erwähnt, zumeist in ihrer Freizeit und auf eigene Kosten. Zusätzlich zu den Fortbildungsanstrengungen wurde eine Entwicklung eingeleitet, mit der Deutschland hinsichtlich des Qualifikationsniveaus der Fachkräfte Anschluss an das europäische Niveau findet. Mittlerweile gibt es rund 150 Studiengänge, in denen man sich mit unterschiedlichen Schwerpunkten für Aufgabenstellungen in der frühkindlichen Pädagogik qualifizieren kann. Man kann also mit Fug und Recht sagen, dass die Weiterentwicklung von Kindertagesstätten zu qualifizierten Bildungsorten erfolgreich angepackt wurde. Das Programm „Mehr Männer in Kitas“ droht diesen Trend zu gefährden. Nicht deshalb, weil Männer per se für gute Pädagogik mit kleinen Kindern ungeeignet wären, sondern weil das Programm darauf angelegt ist, Männer anzuwerben, die ihren beruflichen Weg in den klassischen gewerblich-technischen Männerberufen sehen. Deren Bildungsvoraussetzungen sind für den erfolgreichen Besuch einer Fachschule für Sozialpädagogik unzureichend. Jetzt den Weg zu gehen, arbeitslose Männer in Schnellkursen bei privaten Bildungsträgern, die außerhalb des etablierten Fachschulsystems stehen, auf eine Externenprüfung vorzubereiten und ihnen auf diese Weise ein Erzieherexamen zu vermitteln, kann nur Kopfschütteln auslösen. Wie sollen Erzieher in der Praxis „ihren Mann stehen“, wenn sie mit einem Schnellkurs zwar ein Examen erworben haben, aber in ihrer Ausbildung die elementaren Kompetenzen nur kurz kennen gelernt, aber noch längst nicht persönlich verinnerlicht haben? Neben der schlechten Bezahlung bei der Berufswahl zum Erzieher wird immer wieder angeführt, dass ein großes Hemmnis in der Berufseinmündung die weibliche Attitüde des Umfelds darstellt. Die etablierte Weiblichkeit des Berufs wird an vielen Stellen –von der Einrichtung der Kita bis zum Kommunikationsstil – wirksam. Müssen Berufsanfängerinnen schon eine Menge an Kompetenzen mitbringen, gilt dies für Männer doppelt. Der Weg für Männer in die Kita führt nicht über kurzfristige Maßnahmen, sondern über eine das ganze System und alle Beteiligten einbindende Strategie: Von der Berufsinformation in der Schule bis zur Verbesserung des Einkommens, von der Akademisierung der Ausbildung bis zur Entwicklung von Berufskarrieren, vom gesellschaftlichen Image der Erziehungsarbeit bis zu vollen und unbefristeten Stellen. Nur aus einem Gesamtkonzept lässt sich in Kindertagesstätten Geschlechtergerechtigkeit erreichen.