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Jedes Land macht, was es will

Auch der alte Streit Fachwissenschaft versus Pädagogik und Didaktik belastet die Lehrkräftebildung. Erschwerend kommt hinzu: In jedem Bundesland und an fast jeder Hochschule ist die Ausbildung der Lehrkräfte unterschiedlich geregelt.

Die Berliner Senatsverwaltung versuchte es auf Bayerisch: „Da werd ned nur o’zapft. Da werd aa eigstellt.“ Mit mundartlich launigen Stellenanzeigen warb Berlin in mehreren süddeutschen Tageszeitungen um dringend in der Hauptstadt benötigte Junglehrkräfte. Gelockt wurde im Anzeigentext mit dem „Leben in einer der spannendsten Städte der Welt“. Verschwiegen wurde allerdings, dass nach einigen Berufsjahren die angestellten Lehrerinnen und Lehrer in Berlin monatlich etwa 500 Euro weniger verdienen als ihre verbeamteten Kolleginnen und Kollegen in Bayern.

Rund 2200 Bewerbungen registrierte die Berliner Schulbehörde. Entgegen kam ihr dabei der Umstand, dass in diesem Jahr in Bayern rund 600 fertig ausgebildete Junglehrkräfte mangels freier Stellen nicht übernommen werden und quasi auf der Straße stehen – darunter einige mit einer Eins vor dem Komma im Examen.

Mobilität ermöglicht

Zumindest das Mobilitätsproblem über Bundesländergrenzen hinweg scheint im ansonsten föderalen Flickenteppich Lehrerbildung inzwischen gelöst – nachdem die Kultusminister der 16 Länder nach langem Tauziehen im März 2013 die letzten Anerkennungshürden beseitigten und Änderungen ihrer Einstellungsgesetze versprachen. Seitdem ist bundesweite Mobilität – trotz der von Land zu Land nach wie vor unterschiedlichen Wege in den Beruf – möglich, zumindest, wenn es im aufnehmenden Bundesland genügend freie Stellen gibt und der politische Druck da ist, diese auch zu besetzen. Nicht ganz freiwillig erfolgte dieser Anerkennungsbeschluss der Länder. Der Bund hatte dies zur Bedingung einer 500-Millionen-Euro-Förderung aus seinem Etat zur Qualitätsverbesserung des Lehramtsstudiums gemacht.

Ansonsten agiert jedes Bundesland bei Studienstrukturen, Praxisanteilen und in der zweiten Phase weiter, wie es will.* Es gibt Länder, die voll auf die Bachelor-/Master-Struktur in der Lehrkräftebildung umgestellt haben – allen voran Nordrhein-Westfalen (NRW). Andere wiederum, hier Bayern voran, wollen am Staatsexamen festhalten. Dann gibt es mehrere Länder, unter anderem Thüringen, Sachsen-Anhalt und das Saarland, die Mischformen eingeführt haben. Etwa 50 Prozent der Studiengänge enden mit dem Staatsexamen, die andere Hälfte mit dem BA-/MA-Abschluss. Zudem existieren in einigen Ländern noch Studiengänge mit Abschluss Staatsexamen, die voraussichtlich in den nächsten Jahren auslaufen werden. Der Zeitpunkt ist aber noch offen. Hinzu kommt der Sonderfall Baden-Württemberg. Das Land will weiter an seinen Pädagogischen Hochschulen für die Lehrerbildung bis zur Sek I festhalten – mit hohem erziehungswissenschaftlichen Anteil gleich zu Beginn des Studiums.

Es ist nicht leicht, bundesweit den Überblick zu behalten. Nahezu alle paar Monate gibt es in diesem oder jenem Land Änderungen – entweder weil ein Studiengang mit Staatsexamen für Neueinschreibungen nunmehr gesperrt wird oder eine Hochschule einen neuen, zusätzlichen Bachelor-Studiengang kreiert hat. Probleme dürfte es zudem künftig in einigen Ländern beim Übergang vom BA- zum MA-Studium geben. Nicht überall ist dabei die Numerus-clausus-Frage schon geklärt. Und nicht jede Uni akzeptiert auf Anhieb BA-Besonderheiten einer zuvor besuchten Hochschule, wie erste Kontroversen beim Ortswechsel von Studierenden zum Beispiel von Berlin nach Potsdam oder von Niedersachsen nach Hamburg zeigten.

Erste Hilfe für interessierte Abiturienten geben der „Monitor Lehrerbildung“**, eine von mehreren Stiftungen unterhaltene Internetplattform, oder auch die Internet-Übersicht der Kultusministerkonferenz (KMK) zum „Sachstand in der Lehrerbildung“***.

Aber auch die „Macher“ dieser Internet-Seiten haben es bisweilen schwer, die häufigen Änderungen nachzuvollziehen. Denn: „In jedem Land und an jeder Hochschule ist das Lehramtsstudium unterschiedlich geregelt“, heißt es dazu nüchtern auf der Startseite von „Monitor Lehrerbildung“. Das betrifft nicht nur Studienstruktur und Abschlüsse, sondern auch Praxis-, Didaktik- und erziehungswissenschaftliche Anteile im Studium – und vor allem die Frage, wann die ersten Praktika absolviert werden, es zu Kontakten mit der Schulwirklichkeit kommt.

Nicht nur in NRW, sondern auch in anderen Bundesländern mit zehnsemestriger BA-/MA-Struktur soll das Bachelor-Studium für die angehenden Lehrkräfte „polyvalent“ sein. Das heißt: Im Vordergrund stehen die Fachinhalte der beiden Studienfächer. Arbeiten die Studierenden später nicht als Lehrkräfte, sollen sie etwa als Biologe oder Mathematiker auf dem Arbeitsmarkt Beschäftigung finden können – so zumindest die Idealvorstellung der Initiatoren dieser Studienstruktur. Die negative Folge: Im sechssemestrigen Bachelor-Studium ist der erziehungswissenschaftliche und schulpraktische Anteil gegenüber den früheren Staatsexamen-Studiengängen auf ein Minimum an pädagogischem „Orientierungswissen“ zusammengeschrumpft. Die eigentliche Schwerpunktbildung für das spätere Lehrersein soll erst im Masterstudium kommen.

Dabei ist die Polyvalenz-Debatte in der Lehrerausbildung nicht neu. Einen ersten Höhepunkt erreichte sie Ende der 1970er-, Anfang der 1980er-Jahre angesichts der in jenen Jahren extrem hohen Lehrerarbeitslosigkeit – als Bildungspolitiker wie der damalige NRW-Kultusminister Hans Schwier (SPD) die verbeamteten Lehrkräfte gar zu einem vierprozentigen Einkommensverzicht animieren wollte, um wenigstens für die besten der fertig ausgebildeten, aber arbeitslosen und dauerhaft chancenlosen Junglehrkräfte einen Einstellungskorridor zu schaffen. Zum Besoldungsabschlag kam es nicht. Aber zugleich wurde immer häufiger die Frage aufgeworfen, was eine Lehrerin oder ein Lehrer nach seinem StudiumAuch der alte Streit Fachwissenschaft versus Pädagogik und Didaktik belastet die Lehrkräftebildung. Erschwerend kommt hinzu: In jedem Bundesland und an fast jeder Hochschule ist die Ausbildung der Lehrkräfte unterschiedlich geregelt. denn anderes kann – als eben Lehrerin oder Lehrer zu sein. Ob der neue Lehramts-Bachelor mit Abschluss in zwei Fächern nach nur sechssemestrigem Studium den Absolventen heute jedoch arbeitsmarktmäßig mehr alternative Chancen eröffnet, also polyvalent einen Einsatz auch in anderen Berufsfeldern ermöglicht, ist unter Experten strittig.

Josef Keuffer, Direktor des Hamburger Landesinstituts für Lehrerbildung, hält die Beantwortung dieser Frage für „müßig“ – solange die Länder unbedingt an der Zwei-Fächer-Lehrkraft festhalten wollen, weil diese in den Schulen flexibler einzusetzen erscheint. Keuffer hält es für wichtiger, was inhaltlich während des Studiums passiert und wie Studieninhalte auch schon im Bachelor auf den späteren Lehrerberuf zugeschnitten werden. „Die Studierenden wissen meistens frühzeitig, ob sie später in die Schulen wollen.“ An einigen Universitäten gebe es heute eine optimale Lehrerbildung – an anderen wiederum nicht. Dies hänge auch entscheidend mit der Berufungspolitik der jeweiligen Hochschule zusammen Auch der alte Streit Fachwissenschaft versus Pädagogik und Didaktik belastet die Lehrkräftebildung. Erschwerend kommt hinzu: In jedem Bundesland und an fast jeder Hochschule ist die Ausbildung der Lehrkräfte unterschiedlich geregelt.– und ob das Land bereit sei, für die Ausbildung Geld in die Hand zu nehmen.

Seit der Bachelor-/Masterumstellung in vielen Bundesländern ist es immer schwieriger geworden, zu ermitteln, wie viele Studierende bundesweit ein Lehramt anstreben. Bedarfsprognosen für den Schuldienst, wie sie früher der Bildungsforscher Klaus Klemm oder auch die KMK regelmäßig erstellten, gibt es in dieser Form nicht mehr. Die letzte KMK-Veröffentlichung beschränkte sich im Wesentlichen auf Trends.

Das hat viel Scharlatanerie auf den Plan gerufen. Über mehrere Jahre hinweg beschwor der Philologenverband – jeweils in der medialen Sommerpause – einen drohenden Lehrkräftemangel gigantischen Ausmaßes, ohne dabei deutlich zu machen, dass die Probleme auf dem Lehrerarbeitsmarkt viel differenzierter und fachspezifischer zu beurteilen sind. Dabei ist seit Jahren für viele Fächerkombinationen, vor allem bei den gymnasialen Lehrämtern, ein Überangebot zu erwarten, während es an Pädagogen-Nachwuchs für die MINT-Fächer, und insbesondere für die Berufsschulen, mangelt (s. E&W 9/2013). Die aktuellen Einstellungsprobleme in Bayern mögen neben der Sparpolitik des Landes auch ein Ergebnis solch undifferenzierter Sommerloch-Meldungen sein.

Engpässe in Berufsschulen

Ansgar Klinger, GEW-Vorstandsmitglied für Berufsbildung und Weiterbildung, sieht mit Blick auf die Berufsschulen vor allem Besetzungsengpässe in den gewerblich-technischen, aber auch in den sozialpädagogischen Fächern. Im Werben um qualifizierten Berufsnachwuchs konkurriert die Berufsschule heute schon stark mit der Wirtschaft. Die Probleme dürften bei einer reinen Bachelor-/Master-Struktur und mit dem Ziel der Polyvalenz noch größer werden. Die Überlegungen mancher Landesregierung, angesichts des Berufsschullehrermangels auch Pensionäre wieder zu aktivieren, hält Klinger für problematisch. Sinnvoller sei es dagegen, bereits beruflich Qualifizierte für das Berufsschul-Lehramt weiterzubilden. Lobend äußert sich Klinger über die bei der Berufsschullehrerausbildung in NRW angestrebte Kooperation von Universitäten und Fachhochschulen.

Ein besseres Zusammenspiel zwischen Schulpraxis und dem Lehramtsstudium verspricht sich der Bund durch sein mehrfach in den Medien groß angekündigtes 500-Millionen-Euro-Programm zur besseren Ausbildung angehender Lehrkräfte. Nach mehrjährigem Tauziehen sollen in diesem Herbst die ersten Projekte ausgeschrieben werden. Doch vor übertriebenen Erwartungen ist zu warnen. Das Programm ist auf zehn Jahre angelegt. Die jährlich zur Verfügung stehenden 50 Millionen Euro sind an die Hochschulen aus 16 Bundesländern zu verteilen. Große Wunder darf man davon nicht erwarten.