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GEW in Bildung unterwegs

Ganztagsschulen brauchen räumliche Voraussetzungen

Wie setzt Hessen die Ganztagsschule um? Das hat sich die Vorsitzende der GEW, Marlis Tepe, im Rahmen ihrer Sommertour „GEW in Bildung unterwegs“ an der Viktoria-Luise-Grundschule in Frankfurt-Bockenheim angesehen.

GEW-Chefin Marlis Tepe war im August zu Besuch in der Viktoria-Luise-Grundschule in Frankfurt am Main (Foto: Martin Leissl).

Auf den ersten Blick macht die moderne, dreigeschossige Grundschule einen ansprechenden Eindruck: ein heller, mehrfach abgewinkelter Klinkerbau mit großen Fensterfronten. Und hinter dem Eingang eine einladend weite, lichtdurchflutete Halle. Doch gut gemeint ist nicht notwendigerweise gut gemacht. Dafür ist die Viktoria-Luise-Grundschule ein gutes Beispiel. „Die Stadt Frankfurt hat viele Energie darauf verwandt, ein zukunftsweisendes Schulgebäude nach Passivhausstandard zu realisieren“, erzählt Lehrerin Laura Preusker. „Die Lehrkräfte wurden in das pädagogische Konzept einbezogen, nicht jedoch in die Architektur. Sie waren regelrecht geschockt, als sie das erste Mal im Rohbau standen.“

Beim Rundgang durch die erst vier Jahre alte Schule wird schnell klar, wo die Probleme liegen: Es mangelt hinten und vorne an Platz. Etwa 300 Kinder besuchen die Schule. Die zugestellten Unterrichtsräume sind für die bis zu 24 Kinder zählenden Klassen sichtbar zu klein. An aufgelockerte Lerninseln ist nicht zu denken, ebenso wenig daran, dass die Kinder in Gruppen arbeiten und einmal von der einen zur anderen gehen. Für Schränke fehlt der Raum. Dafür stehen Gegenstände herum, die im Unterricht nicht gebraucht werden. Denn alle Räume sind „multifunktional“ konzipiert.

„Am Ende des Tages muss alles wieder retour, damit am nächsten Morgen der Unterricht wie gewohnt stattfinden kann.“ (Julian Schneider)

Nach dem Unterricht werden die Klassenräume für Betreuungsangebote genutzt. „Wie funktioniert das praktisch?“, will Tepe wissen. Der Internationale Bund für Bildung und soziale Dienste (IB) ist für die Betreuung zuständig. „Wir schaffen uns die Räume, die wir brauchen – so gut es eben geht“, sagt IB-Vertreter Julian Schneider. „Und am Ende des Tages muss dann alles wieder retour, damit am nächsten Morgen der Unterricht wie gewohnt stattfinden kann.“ Ständig müsse improvisiert werden. Das koste Zeit und Kraft und sorge immer wieder für Reibereien.

„Multifunktionale Räume werden dem Anspruch an ein gutes Ganztagskonzept nicht gerecht.“ (Maike Wiedwald)

Maike Wiedwald kennt die Klagen: „Multifunktionale Räume werden dem Anspruch an ein gutes Ganztagskonzept nicht gerecht“, sagt die hessische GEW-Vorsitzende. Sie begleitet Tepe auf ihrer Frankfurter Sommertour. Ein gutes Ganztagskonzept könne nur in angemessenen Räumlichkeiten stattfinden: „Im Gegensatz zur herkömmlichen Halbtagsschule benötigt eine gute Ganztagsschule nicht nur eine Mensa, sondern auch zahlreiche weitere Räume für AGs, Sportangebote, Lernzeiten etc.“ Beim Bau der Viktoria-Luise-Grundschule habe die Stadt ihre Möglichkeiten nicht genutzt.

Bei der in Angriff genommenen Modernisierung schulischer Bausubstanz wünscht sich Wiedwald von den Kommunen, dass sie die pädagogischen Anforderungen an die Räumlichkeiten als ‚dritten Pädagogen‘ mitbedenken. Auch Tepe sieht in „Halbtagsschulen mit angeschlossenen Suppenküchen“ den falschen Weg: Sie betont die Notwendigkeit, „gebundene Ganztagschulen mit rhythmisiertem pädagogischem Konzept“ zu schaffen. In ihnen müssten sich gut aufeinander abgestimmt Lern- mit Erholungs-, Betreuungs- und Bewegungsphasen abwechseln. Das gehe nur mit den entsprechenden Räumlichkeiten.

n Hessen werden sehr unterschiedliche Konzepte für Ganztagsunterricht praktiziert. Die Eltern der 300 Schülerinnen und Schüler der Viktoria-Luise-Grundschule können den „Pakt für den Nachmittag“ – ein Angebot des Landes Hessen – und die erweiterte schulische Betreuung – ein Angebot der Stadt Frankfurt – nutzen. Damit genießt die Schule quasi Modellcharakter. Denn durch die Kombination der beiden Angebote ist eine Betreuung von 7.30 Uhr bis 17 Uhr möglich. 95 Prozent der Kinder nutzen diese Möglichkeit.

Dem IB stehen dafür neben den Klassenzimmern und den Funktionsräumen (Bibliothek, Musikraum usw.) drei weitere Räume zur Verfügung mit jeweils spezieller Funktion: In einem können die Kinder ausruhen, träumen, lesen. Ein zweiter Raum dient dem Spielen, ein dritter ist zum Austoben gedacht. Als Manko wird hier gesehen, dass die Betreuer aufgrund fehlender Innenfenster oder Glastüren von außen nicht kontrollieren können, was hinter den Türen geschieht.

„Das Raumkonzept der Schule sah ein Mitarbeiterzimmer für die Betreuerinnen und Betreuer nicht vor“ (Julian Schneider)

38 Betreuer kümmern sich um die Grundschülerinnen und -schüler. „Viele sind Studentinnen und Studenten der Pädagogik oder Sozialarbeit. Sie bekommen so einen ersten Einblick in die Praxis und finanzieren damit ihr Studium“, sagt Schneider. So kommen wir auf einen Betreuungsschlüssel von 1 zu 20. Ihn freut, dass die Betreuer endlich einen eigenen Raum haben. „Das Raumkonzept der Schule sah ein Mitarbeiterzimmer für die Betreuerinnen und Betreuer nicht vor.“

„Die Technik spielt uns ständig Streiche.“ (Laura Preusker)

Auch die Lehrerinnen und Lehrer kämpfen um Verbesserungen. Preusker: „Die Technik spielt uns ständig Streiche. Eigentlich soll die Raumlufttechnik für ein angenehmes Mikroklima sorgen. In der Praxis funktioniert das nicht immer. Im Sommer ist es mitunter zu heiß, im Winter sitzen Lehrerin und Schüler im Anorak da.“ Wahrscheinlich bräuchte die Schule einen Haustechniker. Doch die Stadt hat den Hausmeister vor geraumer Zeit abgezogen. Zudem nerven viele Kleinigkeiten. Etwa wenn sich das Licht automatisch regelt, die Lehrerin aber gerade einen dunklen Raum bräuchte. Oder die Differenzierungsräume, die sich zwei Klassen teilen, von außen nicht einsehbar sind, zur Klasse hin also weder Fenster noch Glastüren aufweisen.

„So ist keine verantwortliche Aufsicht möglich.“ (Marlis Tepe)

„So ist keine verantwortliche Aufsicht möglich“, findet Tepe. Sie wundert sich, dass dies bei einem Schulneubau nicht von vorneherein berücksichtigt wurde. „Auch Preusker versteht nicht, warum die Lehrkräfte nicht automatisch in die Architekturplanung von Schulgebäuden einbezogen werden. „Es sind doch unsere Arbeitsplätze. Wir wissen am besten, was sinnvoll und nötig ist.“ Tepe nimmt das als Anregung mit in die GEW-Zentrale: „Wir müssen unbedingt eine Handreichung für Pädagogen erstellen, um die Voraussetzung für eine Beteiligungskultur bei Diskussionen mit den Kommunen und den Architekten zu schaffen.“

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