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Ein Beruf, den man lernen muss

Die Anforderungen an den Lehrer_innenberuf werden immer größer – und die Lehrerinnen und Lehrer sind nur unzureichend vorbereitet. Die GEW will daher in den nächsten Jahren gemeinsam mit externen Fachleuten Vorschläge für eine Reform der Lehrer_innenbildung erarbeiten. Auf der Fachtagung „Außen Lehrer Innen Bildung“ wurden nun der Auftakt gemacht und das Reformfeld abgesteckt.

Foto: Kay Herschelmann

Die Anforderungen an den Lehrer_innenberuf werden immer größer. Die Heterogenität der Schülerschaft und mit ihr die Ansprüche an das, was ein Lehrer oder eine Lehrerin leisten muss, sind enorm gestiegen. Die Umsetzung der Inklusion verschärft diese Entwicklung noch einmal drastisch. Vorbereitet sind die Lehrerinnen und Lehrer auf die an sie gestellten Herausforderungen nur unzureichend. Während schlechte politische Rahmenbedingungen und zu geringe Investitionen ins Bildungssystem die Lage zusätzlich verschlimmern, ist auch die Lehrer_innenbildung längst nicht mehr zeitgemäß. Die GEW hat sich die Reform der Lehrer_innenbildung daher zum Schwerpunkt ihrer Arbeit bis zum nächsten Gewerkschaftstag im Jahr 2017 gemacht.

Die Fachtagung „Außen Lehrer Innen Bildung“, in Leipzig war der offizielle Startpunkt dieser Reformbemühungen. „Wir wollen unsere Positionen schärfen und mit dieser Tagung einen partizipativen Prozess einleiten, mit dem wir alle Betroffenen beteiligen, innerhalb und außerhalb der GEW“, erläuterte die GEW-Vorsitzende Marlis Tepe den etwa 100 Tagungsgästen aus Wissenschaft und Praxis. Hierfür hat die GEW ein „Zukunftsforum Lehrer_innenbildung“ eingerichtet, in dem bis 2017 an Reformvorschlägen gearbeitet werden wird.

Deutungshoheit über gute Bildung nicht der Politik überlassen

Am Anfang des Reformprozesses stehen Fragen. Wie soll der Lehrer_innenberuf der Zukunft aussehen? Was ist gute Bildung? Haldis Holst, stellvertretende Generalsekretärin der Bildungsinternationalen (BI), gab in ihrem Einführungsvortrag auf der Konferenz Antworten. Für Holst macht neben dem Fachwissen und den didaktischen Fähigkeiten insbesondere das richtige Berufsethos („professional ethics“) eine gute Lehrkraft aus. „Wir Lehrerinnen und Lehrer sind die Experten. Wir dürfen die Deutungshoheit über das, was gute Bildung ausmacht, nicht der Politik überlassen, sondern müssen uns ein eigenes Selbstverständnis des guten Lehrens schaffen.“ Während die Politik oft nur nach schnellen, vorzeigbaren Resultaten strebe und Bildung lediglich auf das unmittelbar Messbare reduziere – Stichwort Pisa – müsse eine wesentliche Leitlinie des Lehrer_innenberufs sein, die Schülerinnen und Schüler zu mündigen Bürgerinnen und Bürgern zu erziehen, machte die Norwegerin klar.

Analog zu ihrem Vortrag auf der GEW-Fachtagung initiiert Holst mit der Bildungsinternationale derzeit weltweit eine Debatte darüber, was gute Bildung ist und welche Rahmenbedingungen für gute Bildung nötig sind. Holst trat auf der Konferenz daher auch als Botschafterin der Kampagne „unite for quality eduction“ auf. Unter diesem Motto werden am 5. Oktober, dem Weltlehrertag, Tausende Botschaften an UN-Generalsekretär Ban Ki Moon überbracht. Das Zukunftsforum Lehrer_innenbildung der GEW ist auch als deutscher Beitrag im Rahmen der Kampagne zu verstehen.

Andreas Keller, der im GEW-Hauptvorstand federführend für das Thema Lehrer_innenbildung zuständig ist, nahm den Beitrag von Holst dankend auf. Ein gemeinsames Verständnis von Qualität zu entwickeln, die Lufthoheit über den Qualitätsdiskurs zu bekommen und sich dann mit Vorschlägen in die Reformdebatte einzubringen – genau diese Ziele verfolge das Zukunftsforum Lehrer_innenbildung. Die Fachtagung bringe viele wertvolle Impulse für den folgenden Diskurs in der GEW.

Mehr Praxis: ja oder nein? 

Mit den praktischen Herausforderungen und Perspektiven bei der Reform der Lehrer_innenbidung beschäftigte sich die im Anschluss an den Vortrag von Holst stattfindende Podiumsdiskussion. Die erste Frage an die Gäste auf dem Podium: Wie sichern wir die Qualität des Lehrerberufs? Brauchen wir mehr und frühere Praxisphasen? Sind Einstufungstests und Selbsteinschätzungstest, wie sie in vielen Bundesländern diskutiert werden, hilfreiche Instrumente bei der Studienwahl und der Studienplatzvergabe? 

Tests machten keinen Sinn, da waren sich die auf dem Podium und im Publikum versammelten Fachleute alle einig. Juliane Zacher, die auf dem Podium die jungen Lehrerinnen und Lehrer vertrat, gab auf die Frage, wie man sicherstellen könne, dass „die Richtigen“ den Lehrberuf ergreifen, eine einfache wie überzeugende Antwort: „Dafür sorgt eine gute Lehrer_innenbildung.“ Bei der gegenwärtigen Organisation der Ausbildung sei der Praxisschock hingegen unvermeidlich, berichtete Zacher aus eigener Erfahrung.

Tests würden ohnehin die Falschen aussortieren, zeigte sich Prof. Uwe Hericks vom Institut für Schulpädagogik der Universität Marburg überzeugt. „Der Lehrerberuf ist ein Beruf, den man lernen kann, den man lernen muss“, sagte der stellvertretende Vorsitzende der Kommission Professionsforschung und Lehrerbildung in der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE). Auch eine möglichst frühe Praxisphase ist aus Sicht Hericks kein Allheilmittel: „Der Praxisschock ist, egal wie gut die Ausbildung ist, nur bedingt vorwegnehmbar“, so der Wissenschaftler.

Daher sei eine gute Unterstützung in der Berufseinstiegsphase umso wichtiger. Dort könne man sehr viel an Fehlhaltungen vermeiden, die später die Kolleginnen und Kollegen und das Schulsystem enorm belasteten. Die Uni hingegen könne und dürfe die Praxis keineswegs vorwegnehmen. Studierende zu früh wieder zurück in die Schule zu schicken, birgt aus Sicht Hericks die Gefahr, den Eindruck zu vermitteln, dass die universitäre Lehrer_innenbildung überflüssig sei. „Wir müssen aufpassen, dass wir die Wissenschaftlichkeit der Lehrer_innenbildung nicht entwerten, indem wir die Praxiserfahrung zum Maß des Studiums machen“, warnte der Marburger Wissenschaftler. 

Debatte über Verhältnis von Theorie und Praxis im Mittelpunkt

Damit war die Debatte über das richtige Verhältnis von Praxis und Theorie eröffnet. Juliane Zacher warnte davor, Praxis und Theorie gegeneinander auszuspielen. „Entscheidend ist doch, wie man die Praxiserfahrungen theoretisch begleitet.“ Zacher sprach sich dafür aus, so früh wie möglich in die Praxis zu gehen. Frühe Praxissemester dürften aber keinesfalls als Sparmodell missbraucht werden und zum Abbau regulärer Lehrkräftestellen führen, warnte Zacher, die bis vor wenigen Tagen Sprecherin der Jungen GEW war. Die Lehrerin machte auch darauf aufmerksam, dass Studierende mit Kind und solche, die sich ihr Studium selbst finanzieren müssten, mit derartigen zusätzlichen Anforderungen ans Studium zeitlich nicht überfordert werden dürften. „Sonst haben wir bald nur noch Lehrerinnen und Lehrer an den Schulen, die ihr Studium von ihren Eltern finanziert bekommen haben.“

Auch Experten aus dem Publikum sprachen sich für eine frühe Rückkehr in die Schule aus. Die Reflexion aus der eigenen Schulzeit sei essenziell bei der Vorbereitung darauf, eine gute, aufrechte Lehrkraft zu werden, die sich nicht verbiegen lasse – und genau diese Reflexion müsse im Studium so früh wie möglich stattfinden, sagte Detlef Spindler aus Niedersachsen. 

Enger Zusammenhang zwischen guter Fachlichkeit und gutem Unterricht

Prinzipiell einig waren sich die meisten Teilnehmenden, dass Praxis und Theorie möglichst eng miteinander gedacht werden müssen. Empirisch untermauert wurde diese Einschätzung von Prof. Will Lütgert von der Universität Jena. Der emeritierte Inhaber des Lehrstuhls für Schulpädagogik/Didaktik und Gründer des Zentrums für Lehrerbildung an der Uni Jena wies darauf hin, dass zwischen guter Fachlichkeit einer Lehrkraft und gutem Unterricht nachweislich ein starker Zusammenhang besteht. 

„Wir dürfen das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Theorie ohne Praxisbezug geht nicht, aber Praxis ohne theoretische Reflexion ist auch undenkbar“, resümierte Andreas Keller am Ende der Diskussion. Es gelte, den Widerspruch zwischen Praxis und Theorie zu überwinden. Aus diesem Grund wolle die GEW im Rahmen des Zukunftsforums diskutieren, inwieweit eine einphasige Ausbildung sinnvoll sei, in der Theorie und Praxis unmittelbar zusammen gedacht werden.

Referendare brauchen bessere Betreuung

Während die Diskussion hauptsächlich um das Lehramtsstudium kreiste, herrschte weitgehend Einigkeit, dass insbesondere in der Vorbereitungsphase viel im Argen liegt. Hier müsse viel von dem passieren, was oft fälschlicherweise bereits von den FachdidaktikerInnen an den Hochschulen erwartet werde, bemerkte Maik Walm aus Mecklenburg-Vorpommern. Juliane Zacher forderte, Referendare im Vorbereitungsdienst bräuchten Betreuung an den Schulen von Personen, von denen sie im Anschluss nicht benotet würden. Die entsprechenden Kolleginnen und Kollegen müssten für diese Aufgabe aber auch freigestellt werden, da eine angemessene Betreuung nebenher nicht zu leisten sei.

Ablehnung von allen Seiten erfuhr die Lehrer_innenausbildung nach Schulformen. „Wer das Statusdenken des 20. Jahrhunderts in den Schulen des 21. Jahrhunderts aufrecht erhalten will, wird die offenkundigen Probleme in der Lehrer_innenbildung nicht lösen können“, stellte die Landesvorsitzende der GEW Sachsen, Sabine Gerold, fest. Die GEW setzt sich für eine Ausrichtung der Lehrer_innenbildung an Altersstufen und nicht an Schulformen und für ein gleich langes Studium für alle Lehrkräfte ein. Auch die versammelten Wissenschaftler stimmten darin überein, dass eine Differenzierung nach Schulstufen, insbesondere auch bei der Bezahlung des Lehrerberufs, unsinnig ist.

Riesige Kluft zwischen Anforderungen und Ausbildung
 
„Eine gemeinsame Lehramtsausbildung sichert, dass sich alle Lehrerinnen und Lehrer mit der zunehmenden Heterogenität in den Schulen auseinandersetzen“, betonte Juliane Zacher. Ilka Hoffmann, im GEW-Vorstand für Schule verantwortlich, stellte eine riesige Kluft fest zwischen dem, was von den Kolleginnen und Kollegen im Unterricht gefordert werde, und dem, was sie in der Uni lernten. „Die Fachdidaktik muss sich endlich der Realität öffnen“, forderte Hoffmann. Er sei entsetzt, sagte auch Prof. Lütgert, dass sich angehende Gymnasiallehrkräfte nach wie vor nicht mit Inklusion auseinandersetzten. Auf einen interessanten Nebeneffekt eines schulformübergreifenden Lehramts wies Prof. Hericks hin: Die einheitliche Ausbildung könnte auch erfolgreich dazu beitragen, dass weniger ungeeignete Personen ein Lehramtsstudium ergreifen, erklärte Hericks. Er stelle im Gespräch mit angehenden Gymnasiallehrkräften schließlich immer wieder fest, dass diese beim Gedanken, vielleicht mal in einer Stadtteilschule unterrichten zu müssen, bereits ins Grübeln kommen.

Nicht nur die gestiegene Heterogenität in der Schülerschaft wurde als wichtiges Thema identifiziert, dem sich die Lehrer_innenbildung stärker widmen muss. Auch die nach wie vor große Homogenität des Lehrpersonals gehört dazu. An vielen Schulen spiegelt sich die Heterogenität im Klassenzimmer überhaupt nicht im Lehrerzimmer wieder. „Die Lehrerschaft hat mit der Lebensrealität der Schülerinnen und Schüler nichts zu tun“, befand Zacher, die selbst als Lehrerin an einem Gymnasium in Berlin unterrichtet. „Wir sollten überlegen, wie wir es schaffen, die Heterogenität der Gesellschaft stärker ins Klassenzimmer zu bekommen, nicht nur was Lehrkräfte nicht-deutscher Herkunft angeht, sondern auch was beispielsweise Behinderungen betrifft. Denn auch das ist Inklusion“, forderte Torsten Steidten von der GEW Sachsen.

GEW-Zukunftsforum kommt zum richtigen Zeitpunkt

Die Diskussionen der Fachtagung zeigten deutlich: Die Herausforderungen an eine Reform der Lehrer_innenbildung sind groß, ebenso ist es der Handlungsbedarf. Und die grundsätzliche Richtung ist klar: Eine inhaltliche Reform muss her, Themen wie die gestiegene Heterogenität, Inklusion oder Genderkompetenz müssen stärker in jedem Lehramt verankert werden. Die unterschiedliche Ausbildung nach verschiedenen Schulformen ist unsinnig. Es braucht stattdessen ein gleichwertiges, gleich langes Studium für alle und den Abbau der statusbedingten Unterschiede zwischen den Lehrämtern. Bei der am Folgetag beginnenden Arbeit des Zukunftsforums Lehrer_innenbildung geht es nun darum, diese Forderungen zu konkretisieren und Vorschläge für deren Umsetzung zu machen. 

Dass das GEW-Zukunftsforum zu einem sehr guten Zeitpunkt kommt, bestätigte Prof Lütgert. Mit der Qualitätsoffensive Lehrer_innenbildung werde von der Bundesregierung zurzeit verhältnismäßig viel Geld für Lehrer_innenbildung in die Universitäten investiert. Aus Sicht des Experten wird das dazu führen, dass viele interessante Modellprojekte entstehen. Ein kohärentes Gesamtbild der Lehrer_innenbildung in Deutschland und eine Verbesserung der Qualität in der Breite resultieten daraus aber noch lange nicht. Die Entwicklung einer „Kontur der Lehrer_innenbildung“ sei aber notwendig, unterstrich Lütgert. Die GEW könnte hier mit ihrem Zukunftsforum eine wichtige Rolle spielen.