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Rassismuserfahrungen von Lehrkräften

„Du gehörst nicht dazu“

Lehrkräfte mit Migrationshintergrund werden in den Kollegien diskriminiert - etwa indem ihnen mangelnde Sprachkompetenz vorgeworfen wird. Der Sozialwissenschaftler Karim Fereidooni von der Ruhr-Universität Bochum hat eine Studie zum Thema vorgelegt.

Prof. Karim Fereidooni / Foto: Ruhr-Universität Bochum / © RUB, Marquard
  • E&W: Rassismus wird in der Öffentlichkeit bevorzugt Rechten und der AfD zugeordnet. Ist der Rest der Gesellschaft damit fein raus?

Karim Fereidooni: Nein. Rassismus Rechtsextremen und Rechtspopulisten zuzuordnen und zu behaupten, damit habe ich nichts zu tun, halte ich für problematisch. Denn Rassismus ist ein Strukturmerkmal unserer Gesellschaft, mit dem sich alle Menschen auseinandersetzen sollten.

  • E&W: Was meinen Sie damit?

Fereidooni: Dass unser Alltag aus Vorurteilen besteht, aus denen sich Rassismus entwickelt. Wir sind, was diesen betrifft, in bestimmter Weise sozialisiert. Wir haben z.B. bestimmte Kinderlieder gesungen, bestimmte Kinderbücher gelesen, in Gesprächen in der Familie oder der Nachbarschaft Vorurteile über andere Menschen aufgeschnappt. Das heißt: Rassismus prägt unseren gesellschaftlichen Alltag von Kindheit an. Rassismus bildet.

  • E&W: Auch den pädagogischen Alltag?

Fereidooni: Hier unterscheide ich zwischen institutionellem und individuellem Rassismus. Mit Blick auf die Schülerschaft gibt es institutionellen Rassismus aufgrund von Routinen, Verfahrensvorschriften etc. Übergangsempfehlungen können z.B. zu Diskriminierung bei Grundschulkindern führen: Nur, weil diese nach vier Jahren noch nicht perfekt Deutsch sprechen, werden sie aussortiert. Daran sind nicht die Grundschullehrkräfte schuld, sondern der Selektionsmechanismus von Schule. Auf der individuellen Ebene erfahren insbesondere männliche Jugendliche qua zugeschriebener oder faktischer Herkunft Abwertungen als „Machos“.

  • E&W: Da wird manche Pädagogin einwenden, genau als respektlose „Machos“ verhalten sich doch einige Jugendliche….

Fereidooni: Wenn Ali oder Muhammed so etwas sagen, werden sie als „Macho“ bezeichnet, wenn Max oder Philipp so etwas sagen, werden diese Fehltritte nicht kollektiviert, sondern personalisiert.

  • E&W: Und Diskriminierungen mit Blick auf Lehrkräfte?

Fereidooni: Institutionell: beispielsweise der Kopftucherlass. Im Referendariat ist das Kopftuch erlaubt, sobald die Trägerin ausgebildete Lehrerin ist, aber nicht. Kein Mensch, sondern das Gesetz schließt die Kopftuchträgerin aus. Individuell: Sprüche im Kollegium, wie „Du bist kein Deutscher, deshalb kannst du nicht unterrichten“.

  • E&W: Sie haben eine Studie zu Rassismuserfahrungen von Lehrkräften „mit Migrationshintergrund“ veröffentlicht*. Das Ergebnis erschreckt.

Fereidooni: Lehrkräfte „mit Migrationshintergrund“ werden in den Kollegien diskriminiert. Zum Beispiel, indem ihnen mangelnde Sprachkompetenz vorgeworfen wird. Manche Lehrkräfte, deren Muttersprache etwa Türkisch, Farsi oder Arabisch ist, empfanden sich auch aufgrund der Herkunftssprache abgewertet. Und in einigen Schulen war es regelrecht verboten, dass sich Fachlehrkräfte für Türkisch über türkische Literatur im Lehrerzimmer unterhielten. Sie mussten ins Café gehen. Referendarinnen müssen nicht unbedingt Kopftuch tragen, um sich diskriminiert zu fühlen, Referendare nicht unbedingt erwähnen, dass sie Muslime sind. Es genügt einen gewissen Namen zu besitzen, um abgewertet zu werden.

  • E&W: Der wichtigste Befund Ihrer Untersuchung?

Fereidooni: Selbst Lehrkräfte, die zunächst behaupteten, „bei mir ist doch alles in Ordnung“, hatten Diskriminierungen im Berufsumfeld erfahren. Sie haben nur, wie sich herausstellte, Abwehr- und Distanzierungsmechanismen entwickelt. Bloß, um nicht darüber reden zu müssen, weil Rassismus tabuisiert und skandalisiert wird, weil er außerhalb der gesellschaftlich akzeptablen Norm steht und als Einzelfall oder Randphänomen abgetan wird.

  • E&W: Wie sahen diese Distanzierungsmechanismen aus?

Fereidooni: Einige Lehrkräfte haben sich angepasst. Sie gaben an, wenn das Kopftuch nicht erlaubt sei, trügen sie keins, obwohl es ihrer religiösen Überzeugung widerspricht. Andere versuchten im Beruf doppelt perfekt zu sein. Mir hat z.B. ein Sportlehrer berichtet, dass er die Sporthalle immer zweimal aufräume, nur um als gleichwertig anerkannt zu werden. In solchem Verhalten wiederholen sich tiefsitzende Stereotypen, „Deutsche sind ordentlich, Migranten eher nicht“ …

  • E&W: Ihr Forschungsschwerpunkt ist Rassismuskritik. Sie bieten dazu Seminare in der Lehrerbildung an. Sensibilisiert das für die künftige Profession?

Fereidooni: Jede, jeder, die bzw. der sich für den Lehrerberuf entscheidet, sollte sich mit Rassismus auseinandersetzen. Genauso wie ich als Deutschlehrer in der Lage sein muss, Mädchen und Jungen Grammatik zu erklären, sollte ich als Lehrender beurteilen können: Was passiert in meinem Unterricht rassismusrelevantes? Inwiefern befördern Unterrichtsmaterialien Rassismus?

  • E&W: Rassismuskritik im Schulalltag, wie stelle ich mir das vor?

Fereidooni: Rassismuskritik ist nicht beschränkt auf ein spezifisches Fach, sondern ist fächerübergreifend. In allem, was wir an Wissen vermitteln, steckt zumindest ein Funke Rassismus. Das zu verdeutlichen und dafür zu sensibilisieren, ist aus meiner Sicht die Aufgabe jeder Lehrkraft. Fakt ist: Es gibt keine Räume, die von Rassismus völlig frei sind.

  • E&W: Warum ist es so schwierig, nicht rassistisch zu sein?

Fereidooni: Weil viele Menschen überzeugt sind, Rassismus habe nichts mit ihrem eigenen Leben zu tun. Sie verkennen, dass Rassismus nicht nur etwas mit Menschen macht, die Ali und Meral heißen, sondern genauso mit jenen, die sich Gundula und Paul nennen. Niemand kann sich aus der rassismusrelevanten Matrix ausklinken. Niemand wird als Rassist geboren, vielmehr wird man dazu gemacht. Während die einen damit groß werden, dass sie anderen Menschen qua Herkunft überlegen seien, wachsen die anderen damit auf, qua Herkunft unterlegen zu sein.

  • E&W: Können Schulen solche Stereotypen aufbrechen?

Fereidooni: Ja, indem sie Rassismus immer wieder thematisieren. Es existiert aber ein großes Tabu in den Institutionen, anzuerkennen, dass Rassismus in Kita, Schule oder Universität vorkommt und relevant ist. Stattdessen heißt es eher, „Es sind doch alle so nett hier“. Aber Nett-Sein ist kein Kriterium und für Rassismus nicht maßgeblich. Der erste Schritt wäre die Anerkennung, ja, es gibt ihn auch in meiner Einrichtung. Und sich bewusst zu machen: Rassismus beschädigt die Integrität aller Menschen.