Womit die Umsetzung dieser Idee in der Praxis zu kämpfen hat, wird beim Kleingruppenrundgang auf dem Schulgelände sichtbar. Hausmeister Detlef Bading, jahrelang Elternsprecher der Schule, führt zu einem Nebengebäude auf dem Gelände des Schlosses Britz. "Die Außentoiletten sind meist schon 30 Minuten nach Schulbeginn schlimm verschmutzt", sagt er. "Für Reinigungspersonal hat der Bezirk immer weniger Geld." Innentoiletten sind für 2018 geplant. Die Klassenzimmer strahlen 50er-Jahre-Charme aus, eng, düster, vollgestellt. Die Möbel braun und abgestoßen, über den hellbraunen Wänden hängt ein Schmutzschleier. Tepe schüttelt den Kopf. "Würde man gerne in so einem Raum lernen? Das ist doch fernab unserer Lebenswelt im Jahr 2017."
Immerhin gibt es ein kleines Zimmer nebenan, nutzbar für Teilungsunterricht. Und Eltern und Schule konnten mithilfe von Kuchenverkäufen und dem Auftritt des Bundespolizeiorchesters einen neuen Boden finanzieren. Inzwischen stellt die rot-rot-grüne Landesregierung mehr Mittel zur Verfügung. Nur: "Den Firmen fehlt oft das Personal, um Renovierungs-Aufträge annehmen zu können", sagt Bading. Personal ist auch bei den Lehrkräften knapp. Die Folge: Klassengrößen werden hoch gesetzt. Statt 24 lernen jetzt 26 Kinder jahrgangsübergreifend im engen Klassenzimmer, statt 4 Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf sind es nun 8.
"Die Sanierung ist überfällig."
Wie stark der Sanierungsbedarf der Schule ist, offenbart sich im Hauptgebäude der Mittelstufe. In der Jungentoilette riecht es beißend nach Ammoniak, viele Fliesen haben sich von den Wänden gelöst und geben den Blick auf den Mörtel frei. Die Waschbecken sind braun, verkalkt, verschmutzt. Die Duschen an der alten Sporthalle sind defekt. Weil hier niemand mehr duschen mag, fehlt der reinigende Durchlauf in den Rohren. "Die Sanierung ist überfällig", sagt Bading. Doch die öffentliche Hand kommt nicht nach. Gerade erst wurde der Sportplatz, für 2006 versprochen, fertiggestellt. Entstanden ist eine Hightech-Landschaft mit Tartanbahn und Fußballplatz mit automatischer Bewässerungsanlage. Doch für einen Sportwart, der die Anlage pflegt, reichte es nicht mehr. So wird das Ganze kaum lange in Schuss bleiben, sagt Bading.
Es ist dabei längst nicht nur der Sanierungsstau in Höhe von etwa 18 Millionen Euro, der dem Team an der Fritz-Karsen-Schule zu schaffen macht. Es sind auch die pädagogischen Herausforderungen, die sich seit 2006 vervielfacht haben. Damals gab es kein Kind mit sonderpädagogischem Förderbedarf an der Schule, heute sind es mehr als 100, 10 Prozent aller Schüler. Es fehlt an barrierefreien Räumen, zweiten Rettungswegen, Pflegeräumen, Schulpsychologen, Sozial- und Sonderpädagogen. Auch wenn die Fritz-Karsen Schule mit 12 Sonderpädagogen vergleichsweise gut ausgestattet ist - für die 1.250 Schülerinnen und Schüler reicht das lange nicht. Und wie sollten die Lehrkräfte erfolgreich den Alltag mit Inklusion und selbstgesteuertem, jahrgangsübergreifendem Lernen (jül) bewältigen, wenn sie weder in der Ausbildung noch in Weiterbildungen darauf vorbereitet würden, kritisiert Tepe. "Bis eine Neuerung in der universitären Hochschulbildung die Schule erreicht hat, dauert es etwa sieben Jahre."
"Dass eine Schule in so einem grottigen Zustand ist, ist eines reichen Landes nicht würdig."
Da bleibt nur: sich irgendwie selbst durchwurschteln. Wie die beiden Lehrerinnen der Klasse jül 4 bis 6 im ersten Stock. Gerade bereiten sie ihre Unterlagen für das nächste Schuljahr vor. Die Tische im Klassenzimmer sind eng zusammengeschoben. Auf die freie Fläche haben die Pädagoginnen ein halbes Dutzend kunstlederbezogene weiße Sitzboxen gestellt - für die gemeinsamen Austauschrunden im Kreis, die so wichtig sind im Prozess des selbstgesteuerten Lernen. "Die Boxen hat die Schule gestellt?" fragt Tepe. Die Lehrerinnen schütteln die Köpfe. "Es war kein Geld da, also haben wir sie selbst gekauft."
Abschlussrunde: "Könnt ihr euch vorstellen, dass eure Kollegen ihre Materialien selbst mit an den Arbeitsplatz bringen müssten?" fragt Tepe. "Absurd", sagt DGB-Chef Hoffmann. "Dass eine Schule in so einem grottigen Zustand ist, ist eines reichen Landes nicht würdig." Umso bewegender für alle, mit welchem Engagement und welcher Überzeugungskraft das knapp 180-köpfige Team von Schulleiter Giese dort seinen Alltag meistert. Mit Erfolg. 40 bis 65 Prozent eines Jahrgangs schaffen den Sprung in die Oberstufe. "Status, Herkunft, Lerngeschwindigkeit, das spielt an der Fritz-Karsen keine Rolle", sagt Schülersprecher Leon Vasic. "Wir lernen gemeinsam, wir sind eine Gemeinschaft. Und ich bin sehr, sehr glücklich, dass ich auf dieser Schule bin." Vor der Tür wartet der Bus. Weiter geht's. In die Welt der Beleuchtungsfabrik Osram in Spandau.