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Besuch in New York: Karibische Kids in Brooklyn

Der New Yorker Stadtteil Brooklyn ist so groß wie die Stadt Berlin. Die GEW-Delegation besucht zwei Schulen in einem Stadtbezirk von Brooklyn, der von schwarzen Einwanderern aus der Karibik bewohnt wird.

Foto: M. Brinkmann

Heute ist der Tag von Tony Sclafani. Er stammt aus Brooklyn und arbeitet dort als „Special Rep“, d. h. als Gewerkschaftssekretär für besondere Aufgaben. Tony hält die Verbindung zu den KollegInnen an den Schulen und kennt jeden Winkel in Brooklyn. Mit 3,5 Millionen Einwohnern ist Brooklyn etwa so groß wie die Stadt Berlin. Der Tag beginnt mit einem Frühstück in der UFT-Filiale in Brooklyn. Das Frühstück ist auch der Ort, wo Probleme der Gewerkschaftsarbeit informell angesprochen werden können.

Zwei Schulen stehen heute auf dem Besuchsprogramm der GEW-Delegation: eine Mittelschule der Klassen sechs bis acht und eine „High School" (nicht zu verwechseln mit einer deutschen Hochschule). Beide Schulen sind zusammen mit weiteren Schulen auf einem „Campus“ angesiedelt: riesigen Gebäudekomplexen, deren architektonische Freudlosigkeit es mit jedem deutschen Standardschulbau aufnehmen kann. Die Eingänge der Schulen werden von Polizistinnen bewacht.

Bevor wir die Schulen betreten dürfen, müssen wir uns anmelden und registrieren lassen. Die strikten Sicherheitsvorkehrungen – notwendig wegen des allgemein hohen Gewaltpotenzials in dem überwiegend von Schwarzen bewohnten Stadtbezirk und der Jugendgangs, die die SchülerInnen zu beeinflussen versuchen – tragen zu dem düsteren äußeren Bild bei. Das wird dann aber schnell korrigiert durch die freundliche, respektvolle und gelassene Atmosphäre innerhalb der Schulen. Konflikte werden sofort durch den „Guidance Consultant“ sozialpädagogisch bearbeitet, sodass der Unterricht nicht unterbrochen werden muss und Lehrkräfte weniger in den bekannten Spagat zwischen Fortsetzung des Unterrichts und Konfliktlösung mit einzelnen Schülern geraten.

Zunächst besuchen wir die Mittelschule „School of Marketing and Legal Studies". Der Name bedeutet keine berufliche Vororientierung. Die Schule soll den Jugendlichen in rechtlichen und wirtschaftlichen Fragen praxisorientierte Lebenshilfe bieten. Dabei geht es um Projekte, Praktika und Zusatzkurse über den regulären Unterricht hinaus, auch in Zusammenarbeit mit örtlichen Betrieben. Die Schülerschaft stammt aus dem Stadtbezirk, in diesem Fall einer sozial schwachen Nachbarschaft, die es in Brooklyn häufig gibt. Hier wie auch in der „High School sind Einwanderer aus der Karibik mit häufig geringer schulischer Vorbildung dominierend.

Die „Highschool for Public Service" ist das Ergebnis einer neuen Schulpolitik, die große Schulen mit mehreren Tausend SchülerInnen in kleinere, überschaubarere Einheiten aufteilt. Die neu entstandenen Schulen sind programmatisch unterschiedlich ausgerichtet. „Public Services“ bedeutet u. a., dass die SchülerInnen in der Nachbarschaft auch soziale Dienste leisten – neben dem Lehrplan, der sie zum schulischen Abschluss führt. Das soll das staatsbürgerliche Bewusstsein fördern, aber auch die Persönlichkeit und das Selbstwertgefühl stärken. Zugleich betreibt die Schule einen Schulgarten, der Gemüse und Obst für die Nachbarschaft produziert. Der Erfolg gibt dem Konzept Recht: 98 Prozent der SchülerInnen erreichen einen Highschool-Abschluss.

Schulleiter Ben Shuldiner betont die Bedeutung eines kooperativen Führungsstils sowohl in Zusammenarbeit mit den Lehrkräften wie auch gegenüber der Gewerkschaft UFT. Dies führe zu einer hohen personellen Kontinuität, die sehr wichtig sei für den pädagogischen Erfolg seiner Schule. Privat finanzierte Schulen oder mit öffentlichen Geldern geförderte Charterschools erreichen das in der Regel nicht. Obwohl die Charterschools nach jüngsten Untersuchungen im Vergleich zu öffentlichen Schulen keine außergewöhnlichen pädagogischen Erfolge vorweisen können, gelingt es ihnen dennoch mit Unterstützung interessierter Großkonzerne, durch gezielte PR-Arbeit die Öffentlichkeit für sich einzunehmen. Die staatlichen Schulen haben dagegen im Kampf um die veröffentlichte Meinung keine eigene Lobby. Ich habe übrigens in der Schule einen Test in Weltgeschichte mitgeschrieben – zum Ankreuzen: der war professionell gemacht und trickreich, kein Zeichen von Anspruchslosigkeit.

Dem Unterricht folgt eine Versammlung der Gewerkschaftsmitglieder an der High School. Tony ruft die KollegInnen dazu auf, sich für die anstehenden Kongresswahlen im November zu registrieren und die Wahlentscheidung von der Einstellung der Kandidaten zu den Charterschulen, aber auch zu den geplanten Einschnitten in die Pensionsregelungen der Lehrer abhängig zu machen.
Zweites Thema sind die anstehenden Tarifverhandlungen: Die Schulverwaltung von New York will eine leistungsbezogene Bezahlung der Lehrkräfte durchsetzen. Grundlage dafür soll u. a. die Einbeziehung des Lernzuwachses der Schüler sein. Die Gewerkschaft lehnt das ab, da sie bezweifelt, dass eine objektive Bewertung der Leistung von Lehrkräften möglich ist. Sie befürchtet vielmehr, dass der Willkür der Schulleiter bei der Beurteilung der Lehrkräfte Tür und Tor geöffnet wird. Es bleibt offen, ob der kommende Tarifvertrag eine Regelung bringen wird.
Der Ausklang des Tages macht noch einmal die soziale Spannweite New Yorks deutlich. Nach den beiden Schulbesuchen in sozial schwierigen Stadtbezirken führt uns Tony nach Brooklyn Hights: teure Apartments in Gründerzeitbauten mit Blick über den East River auf die Freiheitsstatue und die strahlende Skyline von Manhattan, Abendessen in einem Restaurant in europäisch anmutendem Stadtambiente zwischen Boutiquen und Ökoläden und anschließend der lange Spaziergang über den Fahrrad- und Fußgängersteg der Brooklyn Brücke zum Lichtermeer von Manhattan. Wir haben hinter die Kulissen geschaut, aber auch die Kulisse genossen.