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Als deutscher Spanischlehrer in New York

Sechs Jahre war Rolf Oechsler an der Deutschen Internationalen Schule New York tätig, die im ruhigen Vorort White Plains liegt. Mit der Bahn ist es von dort eine halbe Stunde zum Grand-Central-Station in Manhattan.

Kontaktaufnahme & How It All Began

Die erste Kontaktaufnahme erfolgte, wie mittlerweile üblich, per E-Mail. Aufgeregt öffnete ich die Nachricht mit dem Absender „Deutsche Schule New York“. Ich konnte es kaum glauben, dass ein für mich und meine Familie so attraktives Ziel für einen längeren Auslandsaufenthalt nach längerem Bangen und Hoffen nun in greifbare Nähe rückte!

Behutsam begann ich zu lesen: Der damalige Schulleiter teilte mir in wenigen Sätzen mit, dass er an einer Lehrkraft mit meiner Fächerkombination interessiert sei, nämlich „Mathe und Sp“, und mich deshalb kennenlernen wolle. Mir blieb nach der anfänglichen Euphorie das Herz stehen! Meinte er mit der zweiten Abkürzung etwa Sport? Das wäre fatal gewesen, das Ende eines kurzen, aber heftigen Traumes, denn neben Mathematik war und ist mein zweites Fach Spanisch! Ich wagte es nicht, danach zu fragen, schrieb zurück, ich sei natürlich an einem Bewerbungsgespräch sehr interessiert.

Wenige Wochen später saß ich in Köln in einem Hotelcafé in der Nähe des Hauptbahnhofs einem freundlich dreinschauenden Direktor in einem auffälligen Norwegenpullover gegenüber und stellte mich mental auf den typischen Ablauf des Frage-Antwort-Spiels ein. Doch weit gefehlt. Ich kam kaum zu Wort, mein Gegenüber schwärmte in den höchsten Tönen von der kleinen, eher beschaulichen Deutschen Schule New York (mittlerweile in Deutsche Internationale Schule New York umbenannt) und der nahe gelegenen Metropole. So erzählte er mir u.a., dass seine Ehefrau schon mehrmals ein "rehearsal" besucht habe, eine Generalprobe der New York Philharmonic, die in der Regel donnerstags vormittags stattfinde. Er selbst könne dann bedauerlicherweise nicht mitkommen, schließlich sei er Schulleiter an der DSNY! Ich nickte, hörte zu, sagte „Ah!“ und „Mhm!“ und wartete unruhig und sehnsüchtig auf das Aussprechen des erhofften Wortes! Es zog sich noch eine Weile hin, immerhin hat New York einiges zu bieten: Central Park, Empire State Building, Statue of Liberty, Times Square, Wall Street, Metropolitan Museum ...

Doch dann, ich hatte die Hoffnung schon fast aufgegeben, erwähnte der Schulleiter plötzlich den Grund dafür, dass wir an dem Tag zusammensaßen: Dass nämlich an der Schule aufgrund der stetig wachsenden Nachfrage Sp...anisch als neue zweite Fremdsprache eingeführt werden sollte! Ich atmete innerlich erleichtert auf, nein, mir fiel ein Stein vom Herzen! Das restliche Gespräch verlief ähnlich wie der Teil zuvor, wir verabschiedeten uns bald, und ich trottete zurück zum Hauptbahnhof mit einem guten Gefühl im Bauch ...

First Impressions & Neuer Einsatzort

Vier Monate später saßen wir zu dritt im Flugzeug Richtung New York: meine Frau, unser achtjähriger Sohn und ich. Wir nutzten die Osterferien 2004 zum Antrittsbesuch an der Schule, zur Haussuche und zum Kennenlernen der neuen Umgebung. Die Deutsche Schule New York liegt keineswegs in New York City oder gar in Manhattan. Vielmehr liegt die Schule im ruhigen Vorort White Plains im nördlich angrenzenden Westchester County, einer Schlafstätte für alle, die tagsüber in New York arbeiten, es aber vorziehen, nicht in der Megacity zu nächtigen. Eine gute Bahnverbindung sorgt dafür, dass man von White Plains in ca. 30 Minuten den Grand-Central-Bahnhof an der Ecke 42nd Street und Park Avenue erreicht, von dort kommt man mit der Metro, zu Fuß oder einem Taxi überall in Manhattan hin. Diese bevorzugte Lage bringt es allerdings mit sich, dass die Mietpreise so hoch sind, dass ich während der Hausbesichtigungen dachte, die genannten Mieten seien vierteljährlich zu entrichten!

Die ersten Eindrücke vom zukünftigen „Einsatzort“ White Plains waren überaus positiv: Das Schulgebäude erschien uns hell und freundlich, das gesamte Schulgelände war gepflegt und großzügig angelegt, die Mitarbeiterinnen des Schulsekretariats waren sehr hilfsbereit und beantworteten geduldig unsere vielen Fragen. Im August 2004, nachdem unser gesamtes Hab und Gut auf einem Containerschiff den Atlantik überquert hatte, landeten wir am JFK-Flughafen. In einem Mietwagen fuhren wir gleich nach White Plains weiter und bezogen dort unsere neue Bleibe. Das Einleben in unserer neuen Umgebung fiel uns nicht schwer, zumal die pulsierende Großstadt New York mit ihren unendlich vielen kulturellen, sportlichen und Freizeitangeboten (fast) vor der Haustür lag. Aber auch das gemächlichere Leben in White Plains und der German Community rund um die Schule hatte seinen besonderen Reiz. Insgesamt betrachtet waren die Lebensbedingungen vor Ort sehr gut, von den Einkaufsmöglichkeiten bis hin zur ärztlichen Versorgung; vieles war allerdings für deutsche bzw. europäische Verhältnisse nur zu horrenden Preisen zu haben!

Schulorganisation & Faculty and Staff

Die Deutsche Schule New York gehört dem Kreis der sog. „Expertenschulen“ an, somit besteht die Schülerschaft hauptsächlich aus deutschen bzw. deutschsprachigen Kindern und Jugendlichen, die das Schulangebot vom Kindergarten bis zur zwölften Klasse wahrnehmen. Neben der begrenzten räumlichen Kapazität des Schulgebäudes ist diese Ausrichtung auch deshalb sinnvoll (gewesen), weil die Verweildauer vieler Familien an der Deutschen Schule New York recht kurz war, teilweise sogar weniger als ein Schuljahr betrug. Ein möglichst reibungsloser Übergang, erst vom innerdeutschen Schulsystem in die deutsche Auslandsschule und von dieser zurück in ein (anderes) Bundesland oder gar erneut ins Ausland, musste unbedingt gewährleistet sein. Im Durchschnitt besuchten zwischen 370 und 400 Schülerinnen und Schüler den Unterricht. Der Unterrichtsbeginn um 8.30 Uhr berücksichtigte die teilweise weiten Anfahrtswege, insbesondere die der Schulbusse aus Manhattan, Connecticut oder New Jersey, und ermöglichte so einen angenehmen und entspannten Schultagesanfang. Für viele Schülerinnen und Schüler, insbesondere der Oberstufe, endete der Schultag nach dem Nachmittagsunterricht allerdings erst um 15.45 bzw. sogar um 17.30 Uhr, wenn z.B. zusätzlich noch Latein belegt oder die Teilnahme an Arbeitsgemeinschaften gewählt wurde.

Wie an den meisten deutschen Auslandsschulen arbeiteten an der Deutschen Schule New York sowohl aus Deutschland entsandte Auslandsdienstlehrkräfte als auch Ortslehrkräfte zusammen, also lokal angestellte LehrerInnen, meist amerikanische Kolleginnen und Kollegen, aber auch Deutsche mit festem Wohnsitz in den USA. Die Zusammenarbeit funktionierte nicht immer reibungslos, auch nicht die der ErzieherInnen und GrundschullehrerInnen (meistens "locals") mit den Sekundarlehrkräften. Verbesserungen in der Zusammenarbeit wurden z.B. durch Maßnahmen der Steuergruppe zur Schulentwicklung angestrebt, durch gemeinsame Fortbildungen und vielfältige außerunterrichtliche Aktivitäten. Aber immer wieder sorgten die eklatanten Gehaltsunterschiede für Konfliktpotenzial, immer wieder führte der Gebrauch der deutschen Sprache auf Konferenzen und in Besprechungen dazu, dass nicht alle alles erfuhren oder verstanden, immer wieder gab es Uneinigkeit bei den Kriterien zur Vergabe von Noten.

Mehrere Jahre lang arbeitete ich in der Personalvertretung der Schule mit: STAC (Staff and Teachers Advisory Council) vertritt die Belange aller Lehrerinnen und Lehrer und sonstigen Angestellten der Schule insbesondere der Schulleitung und dem Schulträger, dem Board of Trustees, gegenüber. Dazu fanden einerseits in regelmäßigen Abständen Informationstreffen mit dem Schulleiter statt, andererseits nahm je ein STAC-Vertreter beratend an den Sitzungen des Board of Trustees teil. Wichtige Informationen wurden über Aushänge oder auf den Gesamtkonferenzen an das Kollegium und die Verwaltungsangestellten weitergeleitet.

Schülerschaft & Family Background

Der Großteil der Schülerschaft entstammte einem leistungs- und bildungsorientierten soziofamiliären Hintergrund. Die Eltern haben sich entweder aktiv um eine Entsendung ins Ausland bemüht oder sich durch ihren beruflichen Einsatz dafür qualifiziert. Diese allgemein positive und dem Neuen gegenüber aufgeschlossene Haltung überträgt sich auf die Kinder, auf ihre Lernbereitschaft, ihre Arbeitsmotivation und ihr Durchhaltevermögen. Die Wichtigkeit bestimmter Schulfächer korrelierte in hohem Maße mit den akademischen und beruflichen Arbeits- und Tätigkeitsfeldern der Eltern: Mathematik und die Naturwissenschaften spielten oft im beruflichen Alltag eines Elternteils eine maßgebliche Rolle. Fremdsprachen hatten gerade während des Auslandseinsatzes eine ganz praktische und unmittelbar nachvollziehbare Bedeutung, viele Kinder waren darüber hinaus zwei- oder gar dreisprachig; künstlerisch-musische Neigungen wurden auch und gerade durch die Belegung entsprechender Arbeitsgemeinschaften stark gefördert und spielten bei außerunterrichtlichen Aktivitäten und Veranstaltungen in der Schulgemeinde eine besondere, weil identitätsstiftende Rolle. Politisch-gesellschaftlich relevanten Themen und Fragestellungen traten die Schülerinnen und Schüler oft, bedingt durch ihre jeweiligen Auslandsaufenthalte und die damit einhergehenden persönlichen Erfahrungen, mit einer sensibleren und toleranteren Haltung bzw. Sichtweise gegenüber als andere Jugendliche gleichen Alters.

Fachunterricht & Extra-curricular Activities

Die Rahmenbedingungen für den eigenen Unterricht in den Fächern Mathematik und Spanisch waren aus meiner Sicht optimal: Im neu eingeführten Fach Spanisch waren die ersten Lerngruppen sehr klein und überschaubar, aber auch sonst ermöglichte die durchschnittliche Klassengröße von 20 Schülerinnen und Schülern einen auf ihre unterschiedlichen Bedürfnisse, Anforderungen und Interessen abgestimmten Unterricht. Erschwerend für die Etablierung des Faches Spanisch an der Schule wirkte sich die Tatsache aus, dass es aus stundenplan- und personaltechnischen Gründen nur möglich war, Spanisch und Physik parallel anzubieten. Die Entscheidung für oder gegen Spanisch als zweite Schulfremdsprache wurde dadurch oft aus fachfremden, rein organisatorischen Gründen getroffen.

Als einziger Spanischlehrer, und damit automatisch Fachleiter Spanisch, war ich neben der Anschaffung von Unterrichtsmaterialien für die Erstellung eines Stoffverteilungsplanes auf der Grundlage des Thüringer Lehrplans verantwortlich. Außerdem habe ich einen jährlich stattfindenden Schüleraustausch, zunächst mit der Deutschen Schule Puebla in Mexiko und später mit der Humboldt-Schule in San José/Costa Rica, initiiert und betreut. Als interkulturelle Begegnung konzipiert beinhaltete er neben der fremdsprachlichen und landeskundlichen Komponente auch soziales und ökologisches Engagement (Besuch von Naturschutzgebieten, Kontakt mit indigenen Bevölkerungsgruppen).

Highlights & Tiefpunkte

Nach meiner sechsjährigen Unterrichtstätigkeit an einer kooperativen Gesamtschule in einem sozialen Brennpunkt in Südhessen folgte also ein sechsjähriger Aufenthalt an einer deutschen Auslandsschule in einer sozial privilegierten Umgebung nördlich von New York City! Gegensätzlicher konnten die beiden direkt aufeinander folgenden Stationen meiner beruflichen Biographie kaum sein. Die Deutsche Schule New York bot mir die Möglichkeit, langersehnte Projekte mit großzügiger finanzieller, organisatorischer und ideeller Unterstützung durch die Schulleitung und die gesamte Schulgemeinschaft durchzuführen: die Einrichtung von Austauschprogrammen mit lateinamerikanischen Partnerschulen in Mexiko und Costa Rica, die gemeinschaftliche Inszenierung einer Bühnenshow „Magic Night“ in der Aula der Schule, die Teilnahme an regionalen Fortbildungen und an internationalen Tagungen und Fachkongressen.

Die Mitarbeit in verschiedenen Gremien wie der Steuergruppe zur Schulentwicklung oder der Personalvertretung ermöglichten mir vielfältige Einblicke in schulische Verwaltungsabläufe und Entscheidungsprozesse. Ich nahm an Maßnahmen zur pädagogischen Qualitätsentwicklung, an Peer Reviews, an der Erstellung eines Regionalabiturs Mathematik, an der Vorbereitung und Auswertung der ersten Bund-Länder-Inspektion und an der Einführung des Faches Spanisch als mündlichem Abiturfach aktiv und gestaltend teil. Aber auch im privaten Bereich konnte ich von dem Auslandsaufenthalt sehr profitieren: von der Verbesserung meiner (anfänglich noch sehr rudimentären) Englischkenntnisse über die Erkundung benachbarter Länder und Regionen bis hin zur Wiederaufnahme einer lang ruhenden Leidenschaft als Mitglied der Chorgemeinschaft der Schule habe ich mir so manchen Wunsch „nebenbei“ erfüllen können.

Selbstverständlich gehörten auch schwierige Situationen und Erlebnisse zum Auslandsaufenthalt, die Erkrankung und der Tod meines Vaters kurz vor unserer Rückkehr war die wohl schwierigste und traurigste Episode. In diesem Zusammenhang ist mir das sehr einfühlsame und unbürokratische Entgegenkommen des Bundesverwaltungsamtes bei der Erledigung der anfallenden Formalitäten sehr gut in Erinnerung geblieben. Aber auch ein Schulleiterwechsel zwei Jahre vor Beendigung der Auslandstätigkeit, der einen markanten Stil- und Führungswechsel nach sich zog, war für mich nicht einfach zu verkraften.

Rückkehr & Repatriation

Im Frühjahr 2010 starteten die typischen Aktionen, die Teil eines sich lange hinziehenden Abschiedsrituals sind: alte Schule in Deutschland und Schulamt kontaktieren, Einsatzwünsche mitteilen; Wohnungssuche per Internet (eine Anfrage beim vorherigen Vermieter ergab einen Volltreffer: Er bot uns in dem Wohnhaus in Frankfurt, in dem wir schon vor unserem sechsjährigen Aufenthalt in New York gewohnt hatten, eine Parterrewohnung an! Das bedeutete für uns: keine Maklergebühr, keine zusätzlichen Kosten bei der Wohnungssuche); Angebote von Umzugsfirmen vergleichen, Sachen aussortieren; "garage sale" zum Verkauf von Haushaltsgeräten und Spielsachen, Spenden an kirchliche und karitative Organisationen; tränenreiche Farewell Parties in der Schule, zu Hause und bei Freunden; Zimmer streichen (lassen!), kleine Reparaturen durchführen, Haus putzen; Übergangsaufenthalt bei Freunden während ihres Heimaturlaubes; leider auch Streit und Stress ...

Im August 2010 traten meine Frau, unser mittlerweile vierzehnjähriger Sohn und ich den Rückflug nach Frankfurt an. Die Rückkehr an meine alte Schule verlief erfreulicherweise problemlos, doch weder das hessische Kultusministerium noch das zuständige Schulamt berücksichtigten dabei meine zuvor geäußerten Wünsche bzgl. Art und Ort der angestrebten Tätigkeit oder meine „neu erworbenen Kompetenzen“. Deshalb startete ich eine Reihe von Versuchen, um mir meine berufliche Wiedereingliederung zu erleichtern bzw. sie voranzutreiben: Ich besuchte Fortbildungen zur Wahrnehmung von Schulleitungsaufgaben als Vorbereitung für einen erneuten Auslandseinsatz, engagierte mich wieder als Mitglied der Steuergruppe zur Schulentwicklung und der Schulprogramm-AG und nahm Kontakt mit dem Netzwerk „Schule und kulturelle Vielfalt“ in Hessen auf. Viel schwieriger gestaltete sich unser Einleben als Familie, denn bald wurde uns bewusst, dass wir nicht mit offenen Armen und sehnsuchtsvoll erwartet wurden.

Wir mussten uns unseren Platz in der hiesigen Gesellschaft, in der Gemeinde, im Freundes-und Bekanntenkreis, im beruflichen Umfeld wieder neu erobern, ihn neu definieren. Alte Kontakte mussten belebt, neue geknüpft werden. Wir waren plötzlich wieder auf der Suche nach einem vertrauenswürdigen Zahnarzt, einer guten Metzgerei, einem nahegelegenen Supermarkt ..., genau wie vor sechs Jahren schon einmal!