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Demokratiebildung

Mitbestimmung light

Studierende haben heute überschaubare Möglichkeiten zur Mitbestimmung an den Hochschulen. Das führt zu Frust und schwächt die studentische Demokratie.

Hochschulen sollten Orte der Demokratie sein, an denen sich alle auf Augenhöhe begegnen. Leider ist das meist nicht so. Seit Jahrzehnten fordern Studierende mehr Rechte ein – wie hier Studentinnen und Studenten der Ruhruniversität Dortmund Anfang 1977 bei einer Demonstration gegen die damals geplante Beschneidung der studentischen Mit- und Selbstbestimmung an den Hochschulen. (Foto: IMAGO/Klaus Rose)

Die Zahlen haben es in sich. Nur gut 2 Prozent der Studierenden der FU Berlin beteiligten sich im vergangenen Jahr an der Wahl zum Studierendenparlament, ein Jahrzehnt zuvor waren es noch fünfmal so viele. Die sinkende Wahlbeteiligung ist aber nicht nur ein Berliner Phänomen. Sie ist auch nicht auf die Corona-Zeit beschränkt. Schon seit Jahrzehnten gehen die Zahlen bundesweit zurück. Im Schnitt liegt die Wahlbeteiligung nur noch bei weniger als 15 Prozent, ergab 2020 eine Recherche der Plattform Correctiv. Nur eine Handvoll der 70 staatlichen Universitäten, die dabei berücksichtigt wurden, erreichte einen Wert um die 30 Prozent, bei 20 Hochschulen lag er im einstelligen Bereich.

„Das Interesse an studentischer Politik befindet sich auf einem Tiefpunkt“, ergab 2017 eine Studierendenbefragung des Bundesbildungsministeriums (BMBF). Doch stimmt das wirklich? Gibt es unter Studierenden eine hochschulpolitische Verdrossenheit? Immerhin zeigte dieselbe BMBF-Untersuchung, dass nach wie vor zwei von fünf Studierenden an der studentischen Selbstverwaltung interessiert sind.

„Ohne Parität sind die Studierenden wie das fünfte Rad am Wagen, obwohl sie die größte Gruppe an den Hochschulen sind.“ (Andreas Keller)

Die geringe Wahlbeteiligung hat auch damit zu tun, dass Teilhabe und Mitbestimmung der Studierenden an den Hochschulen eingeschränkt sind. An allen entscheidenden Stellen haben Professorinnen und Professoren die Mehrheit der Stimmen und damit das letzte Wort. „Dabei sollten die Hochschulen Orte der Demokratie sein, an denen man sich auf Augenhöhe begegnet“, sagt GEW-Vorstandsmitglied Andreas Keller. „Ohne Parität sind die Studierenden wie das fünfte Rad am Wagen, obwohl sie die größte Gruppe an den Hochschulen sind.“

Das war auch einmal anders. Die 68er-Studentenbewegung sorgte für einen demokratischen Aufbruch, wandte sich gegen die Ordinarienuniversität, in der allein die Professorinnen und Professoren das Sagen hatten, und erkämpfte die gleichberechtigte Mitbestimmung der Studierenden und Mitarbeitenden. Doch die mancherorts eingeführte Drittelparität wurde schon 1973 vom Bundesverfassungsgericht wieder gekippt. Spielräume, die das Urteil ließ, wurden nicht oder kaum ausgeschöpft.

Begrenzte Möglichkeiten

Heute haben die Studierenden zwar durchaus eine Stimme, doch ihre Möglichkeiten sind eng begrenzt. Auf wichtige Fragen, die sie direkt betreffen, können sie kaum Einfluss nehmen, etwa wie Studien- und Prüfungsordnungen ausgestaltet sind und ob darin auch Demokratiebildung vorkommt, wie viele Prüfungen es gibt und wie hoch damit auch die Arbeitsbelastung im Studium ist. In Bayern wurde die Verfasste Studierendenschaft (VS), also die studentische Selbstverwaltung, 1974 sogar abgeschafft. Mit dem Anfang 2023 in Kraft getretenen Hochschulinnovationsgesetz ist nun zwar ein Landesstudierendenrat geschaffen worden, der sich im Juli konstituiert hat. Doch die GEW kritisiert, dieser habe lediglich ein Informations-, Anhörungs- und Vorschlagsrecht: „Der Rat ist folglich immer noch an das Wohlwollen der Landesregierung gebunden und kann sich nicht vollständig selbst organisieren.“

„Eingeschränkte Mitbestimmungsmöglichkeiten wirken wie ein Teufelskreis“, sagt Daryoush Danaii, Mitglied im Ausschuss für Verfasste Studierendenschaft des fzs e. V. (freier zusammenschluss von student*innenschaften). „Viele Studierende haben das Gefühl, nicht gehört zu werden und wenig bewirken zu können. Das führt zu Frust, erschwert die Identifikation mit der Hochschule und erklärt auch zum Teil die geringe Beteiligung an den Wahlen zum Studierendenparlament.“ Auch den Leistungsdruck an den Hochschulen, die Verschulung des Studiums durch die Bologna-Reform und die Notwendigkeit für viele Studierende, nebenher arbeiten zu müssen, sieht Danaii als Faktoren, die Engagement erschweren.

„Die Entwicklung geht langsam in unsere Richtung.“

Er fordert bessere gesetzliche Rahmenbedingungen, etwa eine Verankerung der Landesstudierendenvertretungen in den Hochschulgesetzen und eine klar geregelte Selbstständigkeit der Vertretungen unter anderem für allgemeinpolitische Äußerungen. Danaii wünscht sich auch mehr Wertschätzung für die Aktiven.

Immerhin tut sich langsam etwas. An einzelnen Hoch-schulen gibt es nun die Möglichkeit, für das – in aller Regel ehrenamtliche – studentische Engagement Creditpoints für das Studium zu erhalten. In Thüringen wurde mittlerweile eine Viertelparität ermöglicht, sodass Hochschullehrende, Studierende sowie akademische und technische Mitarbeitende gleichberechtigt in den Gremien vertreten sind – sofern nicht Angelegenheiten der Forschung und Lehre betroffen sind. „Die Entwicklung geht langsam in unsere Richtung“, sagt Keller.