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Mehr Personal und bessere Bedingungen? Mehr Geld für Bildung!

Zusammen mit der GEW-Landesvorsitzenden in Thüringen, Kathrin Vitzthum, besuchte GEW-Chefin Tepe am 16. Mai eine Regelschule mit hohem Migrationsanteil in Erfurt. Dort wurde deutlich, dass nicht nur zusätzliches Personal fehlt.

Foto: Susann Fromm

Als der ICE 1634 in den Hauptbahnhof Erfurt einfährt, steht die Sonne schon hoch über der Stadt. Die Vorsitzende der GEW, Marlis Tepe, packt die Unterlagen zusammen, schnappt ihre schwarze Tasche und tritt hinaus auf den Bahnhofsplatz. Die Cafés haben ihre Stühle herausgestellt. Geschirr klappert, das Lachen der Gäste schallt über den Platz. Doch Tepe weiß: Die Erfurter Idylle trügt. Zumindest in Sachen Bildung gibt es einiges zu tun im Bundesland Thüringen. Es fehlen Lehrerinnen und Lehrer, es hakt an der Besoldung, viele Schulbauten sind sanierungsbedürftig.

Tepe zieht ihre Jacke enger und nimmt Kurs auf das Auto der GEW Thüringen. Heute will sie sich gemeinsam mit der GEW-Landesvorsitzenden Kathrin Vitzthum vor Ort selbst ein Bild machen. Thüringen ist die vierte Station auf ihrer Erkundungstour durch die Republik: "GEW in Bildung unterwegs".

11.15 Uhr, Thomas-Mann Schule im Erfurter Osten.

Eine Regelschule mit 306 Schülerinnen und Schülern. Lindgrüne Mauern, hellblauer Boden, gelbe Fensterrahmen. Tepe schüttelt den Kopf. Der bunte Farbmix kann den Sanierungsbedarf nicht verdecken. Es fehlen Aufzüge, die Treppenaufgänge sind eng und dunkel. Eine Zumutung für Rollstuhlfahrer, eine Zumutung für alle Schülerinnen und Schüler, die sich Tag für Tag hier durchzwängen müssen. 34 Milliarden schätzt die KfW den Investitionsstau für die Schulgebäude der Republik, Tepe fordert: "Die Politik muss endlich mehr Geld für die Bildung in die Hand nehmen". Das gelinge nur, wenn Bund und Länder gemeinsam Bildung finanzieren und fördern. "Das Kooperationsverbot muss fallen", sagt Tepe.

Im Büro von Schulleiterin Carolin Raufeisen dampft der Kaffee, Käsespießchen und Erdbeeren sind serviert. "Wo hakt es noch bei Ihnen an der Schule?", will Marlis Tepe wissen. Und Raufeisen erzählt. 80 Prozent ihrer Schülerinnen und Schüler sind lernmittelbefreit, 50 Prozent nichtdeutscher Herkunft. Ihre Muttersprachen – meist Arabisch, Darsi, Türkisch – beherrscht fast niemand im Kollegium, für die Eltern müssen die Kinder selbst übersetzen. Gute Bildungschancen haben hier nur wenige, Perspektivlosigkeit prägt ihren Blick auf das Leben. Und wie soll eine angemessene Förderung gelingen, bei einem so drastischen Mangel an Lehrerinnen und Lehrern, der schon die Organisation von Krankheitsvertretungen und Fortbildungen zur Herkulesaufgabe macht?

 

"Die Überlastung des Kollegiums ist ungeheuer. Wir machen, was wir schaffen, den Rest eben nicht." (Carolin Raufeisen) 

 

Würden alle 35 Kolleginnen und Kollegen ihre fünf Fortbildungstage im Jahr wahrnehmen, fielen allein dadurch 175 Unterrichtstage aus. "Notgedrungen beschränken wir uns auf schulinterne Fortbildungen und verkürzen dafür die Stunden", sagt Raufeisen. Und im Alltag bleibt nur: Zähne zusammenbeißen und durchhalten. Denn obwohl in 13 von 15 Klassen Schüler mit Lernförderbedarf sitzen, obwohl permanent neue Geflüchtete in den sogenannten "Vorschaltklassen" aufgenommen werden müssen, fehlt es an Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern sowie Expertinnen und Experten für Deutsch als Zweitsprache (DaZ). Wie sollen drei DaZ-Lehrkräfte und 1,5 Sozialarbeiter-Stellen dem gewaltigen Bedarf gerecht werden? Raufeisen: "Die Überlastung des Kollegiums ist ungeheuer. Wir machen, was wir schaffen, den Rest eben nicht."

11.55 Uhr, Zeit für die Stippvisite in den Klassen

In der 9d lernen Schülerinnen und Schüler die Arbeit mit dem Koordinatensystem, die 9a diskutiert über Geschlechterrollen, in der Vorschaltklasse grübeln arabische, russische und rumänische Kids über den Possessivpronomen. Nie steht mehr als eine Lehrerin oder ein Lehrer vor der Klasse. Die Schulglocke klingelt, Schülerinnen und Schüler rennen lachend durch die Gänge. Stolz erzählt eine Gruppe Kinder aus der achten Klasse der GEW-Chefin Tepe von ihren Betriebspraktika. Metalltechnik, Gesundheitsamt, Designbüro. "Toll, es ist wichtig dass ihr euch gut überlegt, welchen Beruf ihr mal haben wollt", sagt Tepe. "Möchtet ihr auch wissen, was ich mache?" "Na klar." Es fällt auf, wie schnell sich ein intensives Gespräch mit den Schülerinnen und Schülern entwickelt, wenn ein Erwachsener sich Zeit nimmt und signalisiert: Ich nehme euch ernst. Zeit, die im überlasteten Schulalltag oft fehlt.

 

"Wir setzen uns dafür ein, dass endlich auch alle Regelschullehrerinnen und Regelschullehrer in E13 eingruppiert werden!" (Kathrin Vitzthum)

 

Wie sehr die Kolleginnen und Kollegen in diesem Alltag am Limit sind, erfahren Marlis Tepe und Katrin Vitzthum in der Diskussionsrunde im provisorischen Lehrerzimmer. Ein großer Konferenztisch, keine Arbeitsplätze für Lehrerinnen und Lehrer. Sechs Kolleginnen sind gekommen, aufgebracht schildern sie einen Alltag, der kaum noch zu bewältigen ist. Da ist der wachsende Papierkram: Zeugnisse, Lernentwicklungsbögen, Medienpässe, Berufsorientierungszertifikate schreiben. Da sind all die Zusatzaufgaben die bei den Fachlehrerinnen und -lehrern hängenbleiben: von Medienerziehung bis zum Bewerbungstraining. Da ist der viele fachfremde Unterricht, den hier alle zu geben gezwungen sind. Da fehlt Fortbildung für die Arbeit mit Kindern mit schweren Traumata durch eine Flucht. Da heißt es alleine Inklusion stemmen in Klassen mit 25 Schülerinnen und Schülern. "Schon der Kopieraufwand für heterogene Lerngruppen ist nicht zu schaffen", sagt eine Lehrerin. "Es frustriert und macht wütend, den Schülerinnen und Schülern nicht gerecht werden zu können", ergänzt eine andere. Alle sind sich einig: "Das schlimmste ist die mangelnde Wertschätzung. Wieso bekommen wir an der Regelschule für unsere Arbeit nur E11 und die Kolleginnen und Kollegen am Gymnasium E13?"

Da tut es gut, dass endlich mal jemand zuhört und Unterstützung zusagt.

"Wir setzen uns dafür ein, dass endlich auch alle Regelschullehrerinnen und Regelschullehrer in E13 eingruppiert werden", sagt Kathrin Vitzthum. "Wir werden alle tarifpolitischen und rechtlichen Mittel einsetzen, damit das gelingt", ergänzt Tepe. Und damit endlich mehr Personal da ist. Die GEW-Vorsitzende weiß, was es braucht, um Inklusion erfolgreich umsetzen: Kleinere Klassen, Doppelbesetzung, multiprofessionelle Teams, Schulsozialarbeit, Supervision. Schließlich war sie selbst dabei als Ende der 1980er Jahre die Inklusion in Schleswig-Holstein eingeführt wurde – unter viel besseren finanziellen und personellen Bedingungen. "Damit wir stark in die Verhandlungen gehen können, brauchen wir auch die Unterstützung von unserer Basis – von euch", ermuntert zum Schluss Landesvorsitzende Vitzthum. Denn sicher ist: Leicht wird es nicht in einem Bundesland wie Thüringen, wo in den kommenden Jahren 5000 Lehrkräfte in Rente gehen, eine bessere Bezahlung durchzudrücken und die Personaldecke an den Schulen wirklich dichter zu knüpfen.

16 Uhr: Pressekonferenz – Bildung. Weiter Denken!

Umso engagierter bringen Tepe und Vitzthum am Nachmittag auf der Pressekonferenz zur Initiative "Bildung. Weiter denken!" zentrale GEW-Forderungen knapp auf den Punkt: 

  • Schluss mit Kooperationsverbot und Sanierungsstau
  • mehr pädagogisches Fachpersonal
  • ein besserer Personalschlüssel
  • Anerkennung von Vor- und Nachbereitungszeiten für die Kitas
  • weniger Pflichtstunden für die Primarstufe
  • bessere Besoldung für Grund- und Regelschulen
  • mehr Geld für die Hochschulen, zum Beispiel für die Lehrerbildung. 

Finanzbedarf über alle Bildungssektoren hinweg: 50 bis 60 Milliarden Euro. Wie das auf Steuermitteln finanziert werden kann, hat die GEW in einem ausgefeilten Steuerkonzept errechnet. Kritische Nachfrage von Medienvertretern: Wie könne garantiert werden, dass die Steuermittel wirklich in Bildung fließen, wo andere nach mehr Geld für Infrastruktur, Bundeswehr und Rente rufen? "Genau deshalb müssen wir jetzt vor der Bundestagswahl Bildung zum Thema Nummer eins machen und den Druck auf die Politik erhöhen", antwortet Tepe. Organisationen wie die Arbeiterwohlfahrt, der DGB oder Pro Asyl trommeln gemeinsam mit der GEW für die Initiative.

18 Uhr: Fachgespräch zur Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern

Zum Abschluss des Tages haben Tepe und Vitzhum Hochschulvertreterinnen und -vertreter sowie GEW-Fachreferentinnen und -referenten zum Fachgespräch Lehrer_innenbildung in die Landesgeschäftsstelle geladen. Der Präsident der Universität Erfurt, Walter Bauer-Wabnegg, nimmt kein Blatt vor den Mund "Wir rauschen mit hohem Tempo in eine Sackgasse, an deren Ende eine Betonmauer steht". Es fehle drastisch der Nachwuchs an Förder- und Grundschullehrkräften. Wie soll Inklusion ohne sie gehen? Wie sollen ohne sie die Grundlagen für Bildung gelegt werden? "Ich bin entschlossen, mit dem Thema Sturm zu laufen und das Land wachzuküssen", so Bauer-Wabnegg. "Wir müssen Grundschul- und Förderpädagogik wieder sexy machen!"

 

"Ich sehen diese Runde als Auftakt zu einem regelmäßigen Austausch zwischen Gewerkschaft und Hochschule. Wir müssen gemeinsam die Politik in die Pflicht nehmen." (Marlis Tepe)

 

In der angeregten Diskussion wird deutlich: Die Ausbildung von Lehrkräften muss noch praxisorientierter und besser verzahnt mit der Schule werden, Abbruchquoten von fünfzig Prozent seien nicht hinnehmbar. Einfach wird die Reform nicht. Denn auch die Hochschulen sind völlig überlastet, wie Burkhard Fuhs, Dekan der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät, deutlich macht. "Allein bei uns sind sechs Professuren unbesetzt", so Fuhs. Die Folge: Vorstopfte Seminare, übervolle Korrekturstapel auf den Schreibtischen der Hochschullehrerinnen und -lehrer. "Wir arbeiten mit dem Rücken zur Wand. Die Bereitschaft ist derzeit ungeheuer groß, die Konzepte für Inklusion für die Studierenden weiterzuentwickeln – aber es bleibt keine Zeit dafür."

Umso besser kommt der Vorschlag von GEW-Chefin Tepe an: "Ich sehen diese Runde als Auftakt zu einem regelmäßigen Austausch zwischen Gewerkschaft und Hochschule. Wir müssen gemeinsam die Politik in die Pflicht nehmen."

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