Als der ICE 1634 in den Hauptbahnhof Erfurt einfährt, steht die Sonne schon hoch über der Stadt. Die Vorsitzende der GEW, Marlis Tepe, packt die Unterlagen zusammen, schnappt ihre schwarze Tasche und tritt hinaus auf den Bahnhofsplatz. Die Cafés haben ihre Stühle herausgestellt. Geschirr klappert, das Lachen der Gäste schallt über den Platz. Doch Tepe weiß: Die Erfurter Idylle trügt. Zumindest in Sachen Bildung gibt es einiges zu tun im Bundesland Thüringen. Es fehlen Lehrerinnen und Lehrer, es hakt an der Besoldung, viele Schulbauten sind sanierungsbedürftig.
Tepe zieht ihre Jacke enger und nimmt Kurs auf das Auto der GEW Thüringen. Heute will sie sich gemeinsam mit der GEW-Landesvorsitzenden Kathrin Vitzthum vor Ort selbst ein Bild machen. Thüringen ist die vierte Station auf ihrer Erkundungstour durch die Republik: "GEW in Bildung unterwegs".
11.15 Uhr, Thomas-Mann Schule im Erfurter Osten.
Eine Regelschule mit 306 Schülerinnen und Schülern. Lindgrüne Mauern, hellblauer Boden, gelbe Fensterrahmen. Tepe schüttelt den Kopf. Der bunte Farbmix kann den Sanierungsbedarf nicht verdecken. Es fehlen Aufzüge, die Treppenaufgänge sind eng und dunkel. Eine Zumutung für Rollstuhlfahrer, eine Zumutung für alle Schülerinnen und Schüler, die sich Tag für Tag hier durchzwängen müssen. 34 Milliarden schätzt die KfW den Investitionsstau für die Schulgebäude der Republik, Tepe fordert: "Die Politik muss endlich mehr Geld für die Bildung in die Hand nehmen". Das gelinge nur, wenn Bund und Länder gemeinsam Bildung finanzieren und fördern. "Das Kooperationsverbot muss fallen", sagt Tepe.
Im Büro von Schulleiterin Carolin Raufeisen dampft der Kaffee, Käsespießchen und Erdbeeren sind serviert. "Wo hakt es noch bei Ihnen an der Schule?", will Marlis Tepe wissen. Und Raufeisen erzählt. 80 Prozent ihrer Schülerinnen und Schüler sind lernmittelbefreit, 50 Prozent nichtdeutscher Herkunft. Ihre Muttersprachen – meist Arabisch, Darsi, Türkisch – beherrscht fast niemand im Kollegium, für die Eltern müssen die Kinder selbst übersetzen. Gute Bildungschancen haben hier nur wenige, Perspektivlosigkeit prägt ihren Blick auf das Leben. Und wie soll eine angemessene Förderung gelingen, bei einem so drastischen Mangel an Lehrerinnen und Lehrern, der schon die Organisation von Krankheitsvertretungen und Fortbildungen zur Herkulesaufgabe macht?
"Die Überlastung des Kollegiums ist ungeheuer. Wir machen, was wir schaffen, den Rest eben nicht." (Carolin Raufeisen)
Würden alle 35 Kolleginnen und Kollegen ihre fünf Fortbildungstage im Jahr wahrnehmen, fielen allein dadurch 175 Unterrichtstage aus. "Notgedrungen beschränken wir uns auf schulinterne Fortbildungen und verkürzen dafür die Stunden", sagt Raufeisen. Und im Alltag bleibt nur: Zähne zusammenbeißen und durchhalten. Denn obwohl in 13 von 15 Klassen Schüler mit Lernförderbedarf sitzen, obwohl permanent neue Geflüchtete in den sogenannten "Vorschaltklassen" aufgenommen werden müssen, fehlt es an Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern sowie Expertinnen und Experten für Deutsch als Zweitsprache (DaZ). Wie sollen drei DaZ-Lehrkräfte und 1,5 Sozialarbeiter-Stellen dem gewaltigen Bedarf gerecht werden? Raufeisen: "Die Überlastung des Kollegiums ist ungeheuer. Wir machen, was wir schaffen, den Rest eben nicht."