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Privatisierungsreport Online

Lernvideos mit Werbebotschaft

Über sechs Millionen Schüler*innen, Studierende und Auszubildende nutzen monatlich die Lernclips von Studyflix GmbH. Die Augsburger Firma kooperiert mit großen Unternehmen und sammelt Daten ihrer Nutzer*innen. Nicht der einzige Kritikpunkt, den die GEW hat.

Foto: Pixabay/CCO

Ob Schillers Drama „Die Räuber“, Algebra oder die „Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung“: Die Augsburger Studyflix GmbH erreicht mit Lernclips monatlich über sechs Millionen Schüler*innen, Studierende und Auszubildende – und sammelt deren Daten. Die GEW sieht es kritisch, dass Werbung und Wirtschaftsinteressen so ganz subtil in den Bildungsbereich eindringen.

„Reichweitenstärkste Lernplattform im DACH-Raum“, also in Deutschland, Österreich und der Schweiz. So urteilt OMR, eine auf die digitale Wirtschaftswelt spezialisierte Webseite. Inzwischen bietet Studyflix über 5.000 kostenlose Lernvideos, außerdem Infos zu Karriere und Berufseinstieg und beschäftigt gut 100 Menschen. Gewinn im Jahr 2022: 967.000 Euro.

„Für unsere Unternehmenskunden sind wir die Game Changer im War of Talents.“ (Benedikt Bergner)

Einnahmen erzielt Studyflix durch die Zusammenarbeit mit Unternehmen. Konzerne oder lokale Firmen präsentieren sich zu Beginn jedes Clips als künftiger Arbeitgeber oder Ausbildungsbetrieb. Etwa die Volksbank Bielefeld-Gütersloh. „Im ersten Ausbildungsjahr kannst Du schon über 1.000 Euro verdienen“, lautet die Botschaft im Video „Gedichtanalyse“, das sich an Schülerinnen und Schüler richtet. Das US-Chemie-Unternehmen Grace wirbt in einem Video zum Chemie-Unterricht, in dem das „Periodensystem“ erläutert wird. Zu den Kunden zählen auch Allianz, VW, McDonald’s und die Bundeswehr. Per Lernvideo preisen zudem Hochschulen ihre Studienplätze an. „Für unsere Unternehmenskunden sind wir die Game Changer im War of Talents“, erklärte Mitgründer Benedikt Bergner in einem Interview.

„Studyflix ist ein Beispiel dafür, wie Werbung und Wirtschaftsinteressen über Lernvideos ganz subtil in den Bildungsbereich eindringen.“ (Anja Bensinger-Stolze)

Doch genau das sieht die GEW kritisch: „Studyflix ist ein Beispiel dafür, wie Werbung und Wirtschaftsinteressen über Lernvideos ganz subtil in den Bildungsbereich eindringen. Wenn Lehrkräfte im Klassenzimmer wie Fußballtrainer Werbeaufschriften an Jacke und Hemd tragen, würde das sofort auffallen“, sagte Anja Bensinger-Stolze, GEW-Vorstandsmitglied für den Bereich Schule.

„Zielgruppengenaues Targeting“

Laut Allgemeinen Geschäftsbedingungen behält sich Studyflix vor, bestimmte Angebote nur registrierten Nutzern zu machen. Zum Registrieren nennen Studierende den Namen ihrer Hochschule, das Studienfach und wann sie mit dem Studium begonnen haben. Bei volljährigen Schülerinnen und Schüler wird nach der Postleitzahl des Wohnortes gefragt, nach der Schulform und welche Klasse sie besuchen. Minderjährige Schüler*innen können von ihren Eltern angemeldet werden. „Dadurch ermöglichen wir zielgruppengenaues Targeting“, betont Benedikt Bergner.

Keine Lernvideos zu Politischer Bildung

Auffallend: Bei der Lernvideos für Studierende macht Studyflix besonders viele Angebote für die Fächer Wirtschaftsingenieurwesen (Stand Anfang Februar: 1.569 Videos) oder Wirtschaft (924 Videos). Für „Pädagogik & Psychologie“ stehen lediglich 212 Videos zur Auswahl. Fächer wie Soziologie, Germanistik oder Geschichte sind gar nicht vertreten. Haben Unternehmen etwa kein Interesse daran, ihre Werbebotschaften an Studierende dieser Fächer zu platzieren? Und warum gibt es für Auszubildende keine Lernvideos zur Politischen Bildung? Studyflix will sich dazu gegenüber der GEW nicht äußern. „An einer solchen Kooperation sind wir momentan leider nicht interessiert“, heißt die lapidare Rückmeldung per E-Mail.

Bertelsmann übernimmt Studyflix

Für die Gründer von Studyflix scheint die Rechnung aufzugehen: Im Juli 2023 gab der Bertelsmann-Konzern bekannt, dass er die Augsburger Lern- und Karriereplattform übernimmt. Dafür zahlte Bertelsmann laut Medienberichten 50 Millionen Euro. Der Gütersloher Konzern investierte bislang lediglich in Firmen, die im Ausland digitale Bildungsangebote machen. Nun agiert Bertelsmann erstmals auch auf dem deutschen Markt für Online-Kurse, Lern-Apps und web-basierte Lehrprogramme.

„Von schleichender Kommerzialisierung bis zum großen Geschäft ist es nur ein kleiner Schritt.“ (Anja Bensinger-Stolze)

Dass Bertelsmann das ehemalige Start-Up nun übernehme, zeige laut GEW-Schulexpertin Bensinger-Stolze: „Von schleichender Kommerzialisierung bis zum großen Geschäft ist es nur ein kleiner Schritt. Für uns als GEW ist klar: Wir setzen uns für das öffentliche Gut Bildung und gute Bildung für alle ein.“