Folgt man der Selbstdarstellung auf der Homepage des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft (BMBF), dann ist in Sachen Bund-Länder-Zusammenarbeit bei Bildung und Forschung alles bestens: Die klare Aufgabentrennung bei Schulen und Hochschulen bedeute nicht, „dass Bund und Ländern die Kooperation verboten wäre“, heißt es dort. Verschwiegen wird allerdings, dass das Verhandlungsklima zwischen den Partnern derzeit auf einem bislang nicht gekannten Tiefpunkt angekommen ist. Den Ländern geht es vor allem um möglichst viel Geld aus der Bundeskasse – an Gesprächen über Inhalte und gesamtstaatliche Verantwortung besteht kaum Interesse. Und das Bundesministerium vermag nun schon seit Jahren nicht mehr, Gegenakzente zu setzen. Die in ihrem ersten Amtsjahr durch Schweigen aufgefallene Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) hat diesen Trend noch verstärkt.
Wie ein Schweizer Käse
Eigentlich ist es kurios: Das erst 2006 in die Verfassung aufgenommene Kooperationsverbot, das dem Bund jede Investition in Bereiche untersagte, für die laut Grundgesetz allein die Länder zuständig sind, ist inzwischen durch mehrere öffnende Gesetzesnovellen durchlöchert wie ein Schweizer Käse, also nahezu unwirksam. Auslöser für das Kooperationsverbot war damals das Bundesprogramm zum Ausbau von Ganztagsschulen, mit dem Kanzler Gerhard Schröder (SPD) im Wahlkampf 2002 bei vielen Eltern punktete – sehr zum Verdruss konservativer Unionspolitiker, allen voran der damalige hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU). Ihnen passten Ganztagsschulen ebenso wie der Ausbau der Kleinkinderbetreuung ganz und gar nicht in ihr familienpolitisches Weltbild. Doch die Zeiten haben sich geändert. Einer der „Mitväter“ der damaligen Grundgesetzänderung, der heutige Bundespräsident und damalige SPD-Kanzleramtschef unter Schröder, Frank-Walter Steinmeier, hat das Verbot einer Bildungszusammenarbeit von Bund und Ländern später einmal selbstkritisch „als einen in die Verfassung gegossenen Irrsinn“ bezeichnet.
Die heutige inhaltliche „Eiszeit“ zwischen Bund und Ländern bei der Gestaltung eines gesamtstaatlichen Bildungs- und Wissenschaftssystems ist auch deshalb so kurios, weil der Bund die Länder seit 2006 bei ihren Bildungsaufgaben mit so viel Geld unterstützt wie nie zuvor. Die Tinte unter der Verfassungsänderung, mit der die Länder doch fortan in Sachen Bildung künftig alles allein gestalten und finanzieren wollten, war noch nicht trocken, da standen sie an der Bettelmauer des Bundes und baten um Geld für zusätzliche Studienplätze für die doppelten Abiturjahrgänge nach der Einführung von G8. Der daraufhin ausgehandelte Hochschulpakt wird den Bund bis 2023 20,2 Milliarden Euro kosten, über eine Fortsetzung laufen Verhandlungen.
Mehr als vier Milliarden Euro gab der Bund bisher für die Exzellenzinitiative zur Förderung der Spitzenforschung an Universitäten aus, die Fortsetzung ist beschlossen. Für den Qualitätspakt Lehre zur Verbesserung der Studienbedingungen gibt der Bund bis 2020 zwei Milliarden Euro aus, für die „Offensive Lehrerbildung“ bis 2023 rund eine weitere halbe Milliarde, für den Pakt für Forschung und Innovation, der den Forschungsorganisationen eine jährliche Steigerung der Mittel sichert, sind es bis 2020 insgesamt 3,9 Milliarden. Verhandlungen über die Fortsetzung stehen an. Und auch für die Schulen fließt jetzt Bundesgeld. Nach der jüngsten weiteren Lockerung des Kooperationsverbotes wird der Bund die Länder bei der Digitalisierung der Schulen mit fünf Milliarden Euro unterstützen.
Aus Ländersicht darf der Bund zwar kräftig zahlen, inhaltlich soll er sich aber raushalten. Union und SPD haben in ihrem Koalitionsvertrag die Gründung eines Bildungsrates vereinbart. Als unabhängiger Expertenrat soll dieser im Zusammenspiel von Bund und Ländern im gesamtstaatlichen Interesse Visionen für die Gestaltung des Bildungssystems aufzeigen und zudem Vorschläge für ein gleiches Qualitätsniveau bei den Bildungsabschlüssen machen. Doch die Länder haben bisher alles Erdenkbare unternommen, die Verhandlungen über die Konstruktionen eines Bildungsrates in die Länge zu ziehen. Parallel bereiten sie intern einen eigenen Länder-Staatsvertrag vor, der jede weitere Empfehlung eines Bildungsrates in Sachen länderübergreifende Schulqualität ad absurdum führen würde.
Es war schon mal besser
Das Bundesbildungsministerium, das einst als Gedankenschmiede für Zukunftsvisionen in Bildung und Forschung galt, scheint heute im Bund-Länder-Kompetenzstreit nur noch zum Zahlmeister und zum Verwalter von Statistiken degradiert. Selbst als das Bundesverfassungsgericht Ende 2017 das bisherige Zulassungsrecht zu den medizinischen Studiengängen kippte, ergriff man nicht die Chance, federführend mit den Ländern ein neues bundesweites Zulassungsrecht für alle Numerus-clausus-Studiengänge zu erarbeiten – obwohl der Bund dafür die Zuständigkeit hat. Der neue, allein von den Kultusministern ausgearbeitete Staatsvertrag, vermittelt dagegen die Botschaft: Weiterwurschteln wie bisher, nur bitte nicht bundeseinheitlich.
Es gab auch andere Zeiten: Vor 50 Jahren erlebte die Bundesrepublik ihre erste Bildungsexpansion – mit einem Run auf die Gymnasien und explodierenden Abiturientenzahlen. Studienplätze waren rares Gut, der Hochschulausbau hinkte gegenüber dem Bedarf gewaltig hinterher. Die Kultusminister standen öffentlich mit dem Rücken zur Wand. Ihr damaliger Präsident, Berlins Bildungssenator Carl-Heinz Evers (SPD), forderte den Bund auf, sich nicht nur finanziell, sondern auch inhaltlich mehr des Bildungsthemas anzunehmen.
Folgen waren die Grundgesetzänderung von 1969, die dem Bund vor allem in der Hochschulpolitik mehr Mitwirkung einräumte, die Gründung der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung (BLK), zahlreiche Gesamtschulgründungen, Modellversuche zum gemeinsamen Unterricht von behinderten und nicht behinderten Kindern, ein erster Bildungsgesamtplan für Deutschland, das Hochschulrahmengesetz (HRG) von 1976 und die gemeinsame Hochschulbauförderung von Bund und Ländern. Mit der umstrittenen Föderalismusreform von 2006 wurde das Rad der Geschichte dann wieder gewaltsam zurück gedreht.
Das Bundesverfassungsgericht hat zwar in mehreren Urteilen die Kulturhoheit der Länder, ihre Gestaltungsmacht bei Schulen und Hochschulen, als „Kernstück“ ihrer Eigenstaatlichkeit bezeichnet. Gleichwohl schließt das eine Kooperation mit dem Bund im gesamtstaatlichen Interesse nicht aus.
In der deutschen Geschichte waren es in der Tat vor allem die Landesfürsten und Kirchen, die Hochschulen und Schulen gründeten. Die Kultusministerkonferenz (KMK) der Länder verweist gern darauf, dass sie bereits ein Jahr älter ist als das Grundgesetz. Ihre Gründung 1948 als reine Länderkonferenz war nicht allein eine Reaktion auf die kulturelle Gleichschaltung während der NS-Zeit. Sie stand auch im Schatten des politischen wie kulturellen Übergewichts Preußens nach Bismarcks Reichsgründung 1871. Kein Bundesland wollte sich fortan mehr von einem anderen Bundesland vorschreiben lassen, wie es seine Schulen und Hochschulen im Detail zu gestalten hatte – und erst recht nicht von einer zentralen Regierung.
Wer mehr gemeinsame Bildungsreformen in Deutschland für überfällig hält, der mag bisweilen über das föderalistische System verzweifeln. Vergessen sollte man allerdings nicht, dass dieses komplizierte System auch manchen Rückschritt verhindert hat. Nach der Regierungsübernahme von Kanzler Helmut Kohl (CDU) 1982/83 und der von ihm propagierten „geistig moralischen Wende“ verhinderten vor allem SPD-geführte Länder in den Folgejahren das gewünschte totale Rollback der Bildungsexpansion der 1970er-Jahre. Weder wurde der Zugang zu Gymnasien und zum Abitur bundesweit massiv gedrosselt und die Hauptschule wieder zur Standardschule der Nation erkoren, wie von Kohls Bildungsstaatssekretären verlangt, noch der weitere Ausbau der Hochschulen drastisch abgewürgt.