Digital Streetwork Bayern
Kicker-Tisch im Netz
In einem Pionierprojekt in Bayern helfen Streetworkerinnen und -worker Jugendlichen und jungen Erwachsenen – digital, in sozialen Netzwerken und bei Videospielen.
Wenn Jenny (vollständiger Name ist der Redaktion bekannt) zur Arbeit geht, loggt sie sich beim Messenger-Dienst Discord ein. Das ist überspitzt formuliert, aber tatsächlich verbringt die 27-Jährige täglich mehrere Stunden in dem sozialen Netzwerk, in dem sich viele Gamerinnen und Gamer austauschen. Die ausgebildete Sozialbetreuerin, die zudem einen Bachelor in Sozialer Arbeit hat und während des Studiums in der Altenpflege tätig war, ist in dem im September 2021 gestarteten Projekt Digital Streetwork Bayern angestellt. Dessen Ziel ist es, junge Menschen zwischen 14 und 27 Jahren dort anzutreffen, wo sie die meiste Zeit sind: im Netz.
„Die Digitalisierung in der sozialen Arbeit geht viel zu langsam voran“, sagt Jenny, die früher in Freising selbst klassisch auf der Straße unterwegs war. Als sie sich auf die Stellenanzeige bewarb, mit der digitale Streetworkerinnen und -worker gesucht wurden, reizte sie der Pioniercharakter des Jobs. Bisher bieten Sozialarbeiterinnen und -arbeiter zwar Online-Ergänzungen an, suchen die jungen Menschen aber nicht gezielt im digitalen Raum auf. In dem vorerst bis Ende des Jahres 2022 bewilligten Projekt, das Teil des Bayerischen Aktionsplans Jugend ist, erfolgt dies insbesondere beim Gaming.
„Das ist wie am Kicker-Tisch im Jugendzentrum.“ (Jenny)
Laut Branchenverband Bitkom spielen 89 Prozent der 10- bis 18-Jährigen täglich fast zwei Stunden Computer- und Videospiele, 53 Prozent davon wollen mit anderen zusammenspielen. Auch Jenny war schon als Jugendliche bei LAN-Partys und zockte Counterstrike und Call of Duty. Allerdings spielt sie privat auf der Konsole, nicht wie bei der Arbeit am PC.
Beim Spielen kommen digitale Streetworkerinnen und -worker und ihre Zielgruppe niedrigschwellig ins Gespräch. „Das ist wie am Kicker-Tisch im Jugendzentrum“, sagt Jenny. Bei World of Warcraft spielt man oft stundenlang zusammen, da erzählt irgendwann jeder etwas von sich. Jenny ist dabei immer offiziell als Streetworkerin unterwegs und hat auf jeder Plattform das gleiche Profilbild. In ihrem Linktree auf der Webseite des Projektes, über die auch Kontaktanfragen möglich sind, steht, wo sie online zu finden ist – etwa bei Facebook, Twitch und Reddit.
Von Mobbing bis Corona
Andere aus dem Team sind auch auf Instagram unterwegs oder drehen TikTok-Videos. Niemand kann es sich jedoch zeitlich leisten, alle Plattformen zu bedienen, weil die Inhalte-Erstellung für jeden Kanal anders und zielgruppenspezifisch ist.
Meist ist Jenny auf verschiedenen Servern auf Discord präsent, beantwortet Nachrichten und steigt auch mal in einen Chat ein. „Ich dränge mich nicht auf, aber signalisiere: Bei Bedarf bin ich da.“ Mit bis zu 30 jungen Menschen kommuniziert sie täglich. Bekommt sie mit, dass es jemandem nicht gut geht, bietet sie per Direktnachricht ein Gespräch an. Kommt es zum Austausch, schlägt sie zum Schutz persönlicher Daten vor, zu telefonieren. Auf Wunsch sind auch reale Treffen möglich. Alle digitalen Streetworkerinnen und -worker haben übrigens Schweigepflicht.
Die Themen, mit denen die 27-Jährige zu tun hat, reichen von Mobbing und Stress mit Eltern bis zu Beziehungsgeschichten und Problemen in der Schule. Corona und die Folgen ist nach wie vor ein wichtiges Thema. Auch mit jungen Menschen, die Suizidgedanken hatten, kam sie in Kontakt. Die digitalen Streetworker sind keine Fachberatung, begleiten aber zu Stellen, die weiterhelfen können. Darüber hinaus können sie Rechtsberatung vermitteln.
Trennung zwischen Beruf und Privatem wichtig
Neben Gaming und Social Media hat Jenny die Schwerpunkte Fitness und Pflege. Sie kennt sich aus mit Essstörungen und weiß, was die Instagram-Fotos von Influencerinnen und Influencern mit Kindern und Jugendlichen machen können. Durch ihre Erfahrungen in der Altenpflege kann sie junge Menschen beraten, die kranke Eltern oder Großeltern haben.
Theoretisch könnte Jenny überall arbeiten, sie braucht dazu nur einen Computer, ein Tablet oder ein Smartphone. Die 27-Jährige ist jedoch vier Tage die Woche im Büro und nur einen im Homeoffice. „Der Austausch im Team ist wichtig.“ Ebenso zentral ist für sie die Trennung zwischen Beruf und Privatem. Zum Ausgleich ist sie viel mit ihrer Huskie-Hündin draußen und fährt den 14 Kilometer langen Weg zur Arbeit mit dem Fahrrad. „Und ich spiele kein Spiel aus dem Job zu Hause.“