Digitale Leseförderung
„Nicht auf ausgebildete Lehrkräfte angewiesen“
Das Hamburger Start-up Tutoring for All verspricht, Lese-Defizite in Grundschulen zu beseitigen – mit Hilfe digitaler Technik und Honorarkräften. Die GEW sieht das kritisch.
„Herzstück ist eine digitale Plattform“, heißt es in einem Info-Papier von Tutoring for All. Mit Hilfe dieser Plattform bietet das gemeinnützige Unternehmen „spielerische Leseförderung“ für Kinder der Klassen 1 bis 4. Gearbeitet wird in Kleingruppen, die möglichst 30 Minuten täglich stattfinden. Für Anleitung sorgten „eigens geschulten Tutor*innen“. Dies könnten Studierende sein, Erzieher und Erzieherinnen, die im Ganztagsprogramm der Schule arbeiten, oder „Freiwillige und Ehrenamtliche, etwa Rentner“. Das erklärt Ekkehard Thümler, Gründer und Geschäftsführer von Tutoring for All. Ein derartiges Angebot habe laut Thümler den „großen Vorteil, dass es nicht auf ausgebildete Lehrkräfte angewiesen ist“.
„Mix aus Fibel und Game“
Der Bildungsjournalist Christian Füller erklärt: Tutoring for All nutze ein Programm, das einen „Mix aus Fibel und Game“ darstelle. Wie bei echten Computer-Games könnten die Schülerinnen und Schüler verschiedene Level erreichen – das „motiviert offensichtlich“. Die digitale Leseförderung startete im Mai 2023, inzwischen nutzen 23 Schulen in vier Bundesländern das Angebot. „Eine Evaluation der Universität Hamburg hat deutlich positive Effekte des Programms gefunden“, berichtet Ekkehard Thümler. Erfahrungen aus den USA und Großbritannien zeigten, so Thümler weiter, dass sich derlei Tutoring-Programme „schnell auf Tausende Schulen übertragen lassen“.
Daten liefern Einblicke ins Lernen
Das Hamburger Start-up macht kein Hehl daraus, dass es Learning Analytics einsetzt. Während die Kinder online lernen, generierten sie Daten, berichtet das Online-Magazin „Bildung.Table“. „Dadurch erhalten wir Einblicke in die Mikroebene des Lernens in einer Tiefe und Präzision, die es so noch nie gab“, wird Ekkehard Thümler in dem Bericht zitiert. Deutlich werde, wo das einzelne Kind beim Lesen Schwierigkeiten habe. Darauf, so Thümler, könnten das Programm und die Tutoren reagieren.
„Schüler*innen sollten ein Recht darauf haben, von Menschen Feedback zu erhalten und beurteilt zu werden.“ (Anja Bensinger-Stolze)
„Die GEW lehnt automatisierte Verhaltens- und Leistungskontrollen, wie sie bei Learning Analytics zum Einsatz kommen, ab“, sagte Anja Bensinger-Stolze, GEW-Vorstandsmitglied für den Bereich Schule. „Schüler*innen sollten ein Recht darauf haben, von Menschen Feedback zu erhalten und beurteilt zu werden. Automatisierte Leistungskontrollen sind nur scheinbar objektiv. Auch hier stecken Modellierungen dahinter, die bestimmten pädagogischen Ansätzen folgen. Und diese sind leider häufig nicht progressiv. Gerade im Primarbereich ist das menschliche Miteinander entscheidend – auch für den Lernerfolg.“ „Daten sind die Ressource des digitalen Kapitalismus. Wir wenden uns dagegen, dass hochsensible Bildungsdaten zu Profitzwecken abgeschöpft werden“, ergänzte Bensinger-Stolze.
2.500 Euro pro Schule und Jahr
Das Angebot von Tutoring for All zu nutzen, kostet 2.500 Euro pro Schule und Jahr, unabhängig von der Zahl der Tutor*innen. Im Preis enthalten sind die Nutzung der digitalen Plattform sowie Schulungen und technischer Support. „Die Tutor*innen müssen von der Schule gestellt werden“, betont Ekkehard Thümler auf GEW-Anfrage. Gelinge es einer Schule, viele Tutoren zu gewinnen, könne sie zum Preis von 2.500 Euro auch viele Kleingruppen anbieten. „Unsere aktivste Schule hat derzeit 134 Kinder in Förderung“, berichtet Thümler.
Tutor*innen arbeiten auf Honorarbasis
Die „weitaus meisten“ Tutor*innen arbeiteten auf Honorarbasis. Wie hoch ein typisches Honorar sei, wisse er nicht. Dies sei „allein Sache der Schulen“, fügt Thümler hinzu. Das Hamburger Start-up verweist darauf, dass sich die Kosten mit Geldern aus dem Startchancen-Programm finanzieren lassen. Dieses Programm von Bund und Ländern zielt darauf, Schulen mit hohem Anteil sozial benachteiligter Kinder zu fördern. Tutoring for All erhält Fördermittel von der Schöpflin-Stiftung, der Crespo-Foundation, der Kurt & Maria-Dohle-Stiftung, der Charity-Organisation Kiwanis Deutschland sowie vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz.