Bundeskongress Schulsozialarbeit
„Jenaer Erklärung“ fordert finanzielle und rechtliche Absicherung
Die Teilnehmenden des Bundeskongresses Schulsozialarbeit haben die „Jenaer Erklärung“ verabschiedet. Deren Ziel ist die finanzielle und rechtliche Absicherung des Bildungsbereiches: „Schulsozialarbeit braucht Kontinuität und Verlässlichkeit.“
Christine Schmidt ist studierte Erziehungswissenschaftlerin, Kinder- und Jugendtherapeutin und seit zehn Jahren Schulsozialarbeiterin an der Montessori-Schule in Jena. Mit ihrem Kollegen, dem Sozialarbeiter Martin Pietrwoski, teilt sich die 46-Jährige derzeit eine einzige Stelle für rund 500 Schülerinnen und Schüler. Meist ist das zu wenig, denn das Team mit dem offenen Ohr für die ganze Schule ist gefragt. „Unsere Tür geht ständig auf“, berichten die beiden, die über zwei freie Träger beschäftigt sind.
Zwar gibt es an der gut ausgestatteten Schule kaum Probleme mit Drogen oder Rechtsextremismus, doch prägen viele gesellschaftliche Krisenthemen den Arbeitsalltag der Schulsozialarbeit: Gewalt, Transgender-Fragen, Migration und Traumatisierung etwa. Hinzu kommen die klassischen Aufgaben von Schulsozialarbeit wie Klassenklimaprojekte, Unterstützung der Lehrerinnen und Lehrer bei Konflikten, Erziehungskompetenztrainings für Eltern, zudem Bewerbungstrainings und Ausbildungsplatzsuche. „Man ist für alle und alles da“, sagt Schmidt.
„Die Schulsozialarbeit ist aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken: Sie hat einen ganz eigenen Blick auf die Heranwachsenden und auf das pädagogische Handeln.“ (Grit Ortelbach)
Die Schule weiß das Engagement zu schätzen: „Die Schulsozialarbeit ist aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken: Sie hat einen ganz eigenen Blick auf die Heranwachsenden und auf das pädagogische Handeln“, betont Oberstufenleiterin Grit Ortelbach. Weil ihre Arbeitszeit kaum für alle Anforderungen ausreicht, hofft das Team auf eine baldige Aufstockung der Mittel. Immerhin will Thüringen ab 2020 mehr als zehn Millionen Euro zusätzlich bereitstellen, um landesweit weitere 180 Schulsozialarbeiterinnen- und arbeiter-Stellen zu finanzieren.
Jüngst war die Jenaer Montessori-Schule Gastgeber des zweitägigen Bundeskongresses Schulsozialarbeit „Bildung, Chancen, Gerechtigkeit“. Rund 550 Fachkräfte aus Jugendhilfe und Schule, von Trägern, Politik und Verwaltung, Lehrende und Forschende diskutierten in mehr als 100 Vorträgen, Foren und Workshops die Weiterentwicklung von Schulsozialarbeit. Zum Abschluss verabschiedeten die Teilnehmenden die Jenaer Erklärung. Deren Ziel: Die finanzielle und rechtliche Absicherung der Schulsozialarbeit. „Schulsozialarbeit braucht Kontinuität und Verlässlichkeit, damit sie qualitätsvoll zu mehr Chancen- und Bildungsgerechtigkeit beitragen kann“, heißt es in der Erklärung. Sie müsse an allen Schulen und für alle jungen Menschen verbindlich etabliert werden.
„Schulsozialarbeit muss in allen Bundesländern als professionelles Angebot systematisch weiterentwickelt und abgesichert werden.“ (Björn Köhler)
Organisiert wurde der Kongress vom Kooperationsverbund Schulsozialarbeit, einer Art Denkfabrik mehrerer Träger, den die GEW 2001 mitgründete und bis heute mitfinanziert. Trotz des wachsenden Arbeitsfeldes seien die Regelungen und die Unterstützung für Schulsozialarbeit in Deutschland bisher viel zu unterschiedlich, kritisiert GEW-Vorstandsmitglied Björn Köhler: diverse Strukturen und Träger, unklare Aufgaben, viele Professionen. Köhler setzt sich für eine Verankerung der Schulsozialarbeit im Sozialgesetzbuch (SGB VIII) ein, um die Rahmenbedingungen zu verbessern: „Schulsozialarbeit muss in allen Bundesländern als professionelles Angebot systematisch weiterentwickelt und abgesichert werden.“ Das trage zu mehr Chancengerechtigkeit am Lern- und Lebensort Schule bei. Für jede Schule oder jeweils 150 Schülerinnen und Schüler solle eine Schulsozialarbeit-Stelle bereitstehen. Für deren verlässliche und nachhaltige Finanzierung müsse der Bund den Kommunen die nötigen Gelder bereitstellen, fordert Köhler.
Die GEW bereitet derzeit die Tarifrunde 2020 vor, bei der es um eine höhere Eingruppierung des Sozial- und Erziehungsdienstes (SuE) im TVöD gehen wird, an den sich auch viele freie Träger anlehnen. „Wir wollen in der heißen Phase im Herbst 2020 mit einer Kampagne den Wert der Schulsozialarbeit für die Gesellschaft deutlich herausstellen“, kündigt Köhler an. Ein Workshop beim Bundeskongress machte deutlich: Schulsozialarbeit dient dem Schutz von Kindern und der Gewaltprävention, sie ist Lotse bei den Übergängen zwischen Schule und Berufsleben, sie verbessert ein spannungsfreies Miteinander im Lern- und Lebensraum Schule und damit nicht zuletzt die Bildungsqualität.
„Manchmal hat man das Gefühl des Einzelkämpfers und wünscht sich eine stärkere Lobby.“ (Stephan Mielke)
Dabei hat sich das Berufsbild in den vergangenen Jahren gewandelt, wie Nicole Pötter, Professorin für Grundlagen der Sozialen Arbeit an der Hochschule München, beobachtet. Der Übergang von der Schule in den Beruf, traditionell Schwerpunktthema von Schulsozialarbeit, sei durch neue Berufsbilder und Akteure in den Hintergrund gerückt. Doch die Profession dürfe in dieser für Jugendliche wichtigen Phase der Selbstorientierung, Qualifizierung und Verselbstständigung nicht zurückgedrängt werden. „Wir haben nach wie vor einen Einmischungsauftrag“, betont Pötter, die vor ihrer Professur selbst in der Schulsozialarbeit tätig war. „Schulsozialarbeit ist eine Expertin für Kinder- und Jugendwelten, die andere Bereiche nicht kennen. Und wir sind dafür ausgebildet.“ Neben der Vermittlung zwischen den Wünschen, Bedürfnissen und Ängsten der Jugendlichen einerseits und den Institutionen andererseits gehöre dazu die Aufgabe, auch mal Alarm zu schlagen.
„Kinder brauchen ein stabiles Netz der Kooperation von Erwachsenen“, sagt Annedore Prengel, Seniorprofessorin an der Universität Frankfurt. Nach Ansicht von Stephan Mielke, Sozialarbeiter an einer Berufsschule in Bernkastel-Kues in Rheinland-Pfalz, stößt Jugendhilfe dabei oft „an Grenzen des Systems Schule. Manchmal hat man das Gefühl des Einzelkämpfers und wünscht sich eine stärkere Lobby.“. Der Jenaer Bundeskongress sei eine gute Gelegenheit gewesen, sich auszutauschen, zu vernetzen und Probleme sichtbarer zu machen.