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Mobilität im Bildungssystem

„Ihre Diplome können Sie alle wegwerfen“

Zugewanderte helfen, den Fachkräftemangel im Bildungswesen zu lindern. Doch im Ausland erworbene Abschlüsse müssen, so die Vorgaben, mit hiesigen Ausbildungen vergleichbar sein. Das setzt der Arbeitsmobilität Grenzen, wie zwei Beispiele zeigen.

Nevin Takieddin war in Syrien Lehrerin. Ihre Abschlüsse wurden in Deutschland nicht anerkannt. Heute arbeitet sie als Erzieherin in einem Schülerhort in Karlsruhe. (Foto: Christoph Ruf)

„Wenn du Glück hast, kriegst du hier alles – wenn du kein Glück hast, kriegst du nichts.“

Nevin Takieddin, Lehrerin aus Damaskus, Syrien

In Damaskus habe ich Bibliotheksinformatik und Grundschulpädagogik studiert, ich habe in Syrien als Grundschullehrerin gearbeitet. Als ich nach der Flucht in Deutschland ankam, wollte ich sofort arbeiten. Ich habe eingesehen, dass mein Bibliotheksstudium nicht anerkannt wurde. Aber mit Magisterabschluss und vier Jahren Pädagogik-Studium sollte ich hier gar nicht weiterkommen? Das hat jedenfalls die Sachbearbeiterin beim Jobcenter gesagt: „Ihre Diplome können Sie alle wegwerfen.“ Die hat sie nicht mal angeschaut.

In Deutschland sind die Gesetze gut. Aber was nützt dir das, wenn eine Sachbearbeiterin so viel Macht hat? In Syrien ist vieles unstrukturiert, wer Beziehungen hat, muss nicht qualifiziert sein, das ist schrecklich. Hier hingegen werden alle über einen Kamm geschoren, ob sie motiviert sind oder nicht. Und: Man wird hier selten gelobt oder auf Chancen hingewiesen.

Recht schnell kam dann ein offizielles Schreiben, dass ich gute Chancen auf einen Job in Deutschland hätte, wenn ich entweder eine sechsmonatige Weiterbildung mit anschließender Prüfung mache oder ein einjähriges Praktikum mit Abschlussarbeit.

In Syrien habe ich in den ersten Grundschulklassen als Lehrerin gearbeitet. Dass das hier nicht geht, verstehe ich: Wie soll ich den Kindern die deutsche Grammatik beibringen, wenn ich sie selbst nicht beherrsche? Um hier als Lehrerin arbeiten zu können, hätte ich noch mal zwei, drei Jahre studieren müssen. Und ich hätte Sprachniveau C2 haben müssen. Das hätte ich nicht geschafft. Aber ich kann jetzt immerhin schon eine Weile als Erzieherin arbeiten. Damit bin ich zufrieden. Nach dem Schock mit der ersten Sachbearbeiterin und einem Umzug hatte ich Glück. Und zwar mit der Beratungsstelle speziell für Frauen – hier in Karlsruhe. Die haben mir gesagt, dass meine syrischen Zeugnisse okay sind und anerkannt würden. Und plötzlich hatte ich auch im Jobcenter einen netten, guten Sachbearbeiter, der sich gekümmert hat. Recht schnell kam dann ein offizielles Schreiben, dass ich gute Chancen auf einen Job in Deutschland hätte, wenn ich entweder eine sechsmonatige Weiterbildung mit anschließender Prüfung mache oder ein einjähriges Praktikum mit Abschlussarbeit.

Alle sind offen, alles ist multikulti, jeder wird so angenommen, wie er ist, keiner lacht einen aus.

Ich habe das Praktikum gemacht – bei meinem jetzigen Arbeitgeber. Unbezahlt, das Geld kam vom Jobcenter. Aber ich wollte unbedingt unter Menschen, um endlich die Sprache besser zu lernen. Nach dem Praktikum bin ich dann in der „Kinderinsel“ übernommen worden – es ist ein großes Glück, hier zu arbeiten: Meine Chefin ist ein guter, hilfsbereiter Mensch. Ich werde dieser Frau immer dankbar sein, es wäre so schön, wenn mehr Menschen wie sie wären. Unter uns Kolleginnen und Kollegen sind wir alle ein Herz und eine Seele. Wenn ein Kind Hilfe braucht, sind alle da und helfen. Alle sind offen, alles ist multikulti, jeder wird so angenommen, wie er ist, keiner lacht einen aus.

Vor fast zwei Jahren habe ich die Einbürgerung beantragt. Das Amt hat alle Unterlagen, Führungszeugnis, Empfehlungsschreiben vom Arbeitgeber. Aber wenn ich auf dem Amt anrufe, heißt es nur, sie hätten kein Personal, ich solle mich gedulden. „Wenn du Glück hast, kriegst du hier alles“, sagen viele Ausländer. Ich denke dann immer: „Und wenn du kein Glück hast, kriegst du nichts.“ Das hier ist doch eine Demokratie. Da sollte es um dein Recht gehen und nicht darum, etwas nur mit Glück zu bekommen.

Aida Meyer hat in Litauen Grundschulpädagogik studiert und als Lehrerin gearbeitet. Sie hat eine Zeugnisbewertung als Bachelor Professional der Erziehungswissenschaften in Deutschland erhalten, kann aber hier weder als Lehrerin noch als Schulbegleiterin arbeiten. Heute ist Meyer als Erzieherin an einer Ganztagsschule in Karlsruhe beschäftigt. (Foto: Christoph Ruf)

„Ich glaube, sie wollen eigentlich nicht, dass Leute, die aus dem Ausland kommen, sofort hier arbeiten können.“

Aida Meyer, Lehrerin aus Kaunas, Litauen

Ich wollte schon immer ins Ausland. Da lag Deutschland nahe, zumal ich bereits in der Schule ein paar Jahre Deutsch gelernt hatte. Ich hatte bereits 14 Jahre in meiner Heimatstadt Kaunas als Lehrerin gearbeitet, als ich sah, dass in Deutschland Schulbegleiter gesucht werden. Ich habe dann schon aus Litauen Bewerbungen geschickt. Leider habe ich nur Absagen bekommen. In Karlsruhe musste ich dann feststellen, dass meine Abschlüsse nicht anerkannt werden und ich deshalb nicht als Schulbegleiterin arbeiten kann. Eine Begründung gab es im Jobcenter nicht. Sie haben meine Diplome angeguckt, sich bedankt – und das war‘s. Ich glaube, sie wollen eigentlich nicht, dass Leute, die aus dem Ausland kommen, hier sofort arbeiten können. Ich habe damals nicht so gut Deutsch gesprochen wie heute, denke aber, es wäre ausreichend gewesen.

Interessant ist auch, dass Lehrerinnen und Lehrer in Litauen alle Fächer unterrichten müssen, außer Musik. Kolleginnen und Kollegen aus anderen Ländern der Europäischen Union haben oft nur ein Fach studiert und unterrichtet.

Man liest ja überall, dass Lehrerinnen und Lehrer gesucht werden – Schulbegleiterinnen und -begleiter natürlich auch. Wenn sie mir gesagt hätten: Wir brauchen Sie und helfen Ihnen ein bisschen mit Sprachkursen … das soll jetzt nicht arrogant klingen, aber ich weiß, das hätte ich geschafft. Interessant ist auch, dass Lehrerinnen und Lehrer in Litauen alle Fächer unterrichten müssen, außer Musik. Kolleginnen und Kollegen aus anderen Ländern der Europäischen Union haben oft nur ein Fach studiert und unterrichtet. Abgelehnt wird man in Deutschland aber häufig in beiden Fällen.

Ich habe dann erst mal vier Jahre lang beim Roten Kreuz gearbeitet, in der häuslichen Pflege. Das war interessant, um die Leute und die deutsche Mentalität kennenzulernen. Aber mein Rücken hat gestreikt. Dann las ich, dass die Stadt Karlsruhe Erzieherinnen sucht. Und siehe da, der Stadtjugendausschuss hat meine Zeugnisse anerkannt, so dass ich seit einem Jahr als Erzieherin arbeiten kann – als Schwangerschaftsvertretung, befristet bis Mai. Aber die Kolleginnen und Kollegen haben mir gesagt, dass ich danach weiter-machen kann. Das wäre toll.

Wenn ich gewusst hätte, dass es Ganztagsschulen gibt und man da auch als Erzieherin arbeiten kann, hätte ich mich sofort beworben, das hier kommt mir noch mehr entgegen als Schulbegleitung.

Wenn ich gewusst hätte, dass es Ganztagsschulen gibt und man da auch als Erzieherin arbeiten kann, hätte ich mich sofort beworben, das hier kommt mir noch mehr entgegen als Schulbegleitung. Ich mache zur Hälfte Dinge, die ich in Litauen auch als Lehrerin getan habe. Die Ausbildungen als Lehrerin oder Erzieherin sind dort auch nicht so abgegrenzt wie hier.

Vor fünf Monaten habe ich beantragt, dass ich auch offiziell als examinierte Erzieherin anerkannt werde. Auf dem Amt hieß es, dass ich vielleicht, um die Anerkennung zu bekommen, noch ein Jahr Praktikum im Kindergarten machen müsse. Aber über das Was-wäre-wenn kann ich mir ja Gedanken machen, sobald das Schreiben vom Amt kommt. Sie haben mir aber schon gleich damals im Juni gesagt, dass es sehr lange dauern wird. Auch bei den Behörden fehlt Personal.