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Lehrkräftemangel

Großer Bedarf an Berufsschulen im Osten

Die beruflichen Schulen sind bereits seit Jahren in erheblichem Maß auf Quer- und Seiteneinsteiger angewiesen. Die Situation wird sich bis 2030 weiter verschärfen, wenn nicht gegengesteuert wird, wie eine Prognose der GEW zeigt.

Foto: Pixabay / CC0

Die Forderungen der GEW an die Länder liegen auf dem Tisch: Studienkapazitäten an den Hochschulen für das Lehramt an beruflichen Schulen müssen schnell ausgeweitet werden – schließlich dauert die komplette Ausbildung einer Lehrkraft rund sieben Jahre. Außerdem dringend notwendig: die Wiedereinrichtung von Lehrstühlen in der Berufs- und Wirtschaftspädagogik wie auch der Didaktik der beruflichen Fächer, Unterstützung durch die „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ von Bund und Ländern sowie länderübergreifende Ausbildungskonzepte – statt gegenseitiger Abwerbung ausgebildeter Lehrkräfte, erläutert Ansgar Klinger, im GEW-Vorstand für berufliche Bildung verantwortlich. Viel zu lange wurden die Kapazitäten der Lehrkräfteausbildung an den Universitäten als „Steinbruch“ für den Ausbau anderer Studienfächer genutzt.

Bereits im Frühjahr 2018 hatte die GEW mit einem Gutachten des Bildungsforschers Dieter Dohmen aufgezeigt, dass gegenüber älteren Prognosen der Kultusministerkonferenz (KMK) die Zahl der Schülerinnen und Schüler an beruflichen Schulen langfristig auf dem hohen Niveau von rund 2,5 Millionen bleiben wird; es ist sogar mit einem Anstieg zu rechnen. Angesichts des Lehrkräftemangels auch in anderen Schulformen korrigierte die KMK daraufhin im Mai ihre Prognosen, die zuvor noch in nahezu allen Schulformen von rückläufigen Schülerzahlen ausgingen.

Der Bildungsforscher Klaus Klemm verwies im Oktober in einem Gutachten für die Bertelsmann Stiftung darauf, dass bis zum Jahr 2030 fast die Hälfte der rund 125.000 Berufsschullehrerinnen und -lehrer in den Ruhestand gehen werde. Allein bis 2020 benötigten die beruflichen Schulen jährlich durchschnittlich 4.000 Neueinstellungen – ausgebildet würden derzeit aber nur rund 2.000 Nachwuchskräfte pro Jahr. Der Mangel werde sich bis 2030 und darüber hinaus noch verschärfen – dann sind über 6.000 Neueinstellungen jährlich nötig.

 

Besonderer Mangel im Osten

Die Bildungsforscher Dohmen und Maren Thomsen vom Berliner Forschungsinstitut für Bildungs- und Sozialökonomie (FIBS) legten jetzt im Auftrag der GEW eine weitere Lehrkräftebedarfsprognose für die beruflichen Schulen vor, die die künftigen Einstellungsbedarfe für jedes der 16 Bundesländer aufzeigt. Danach wird sich vor allem in den östlichen Ländern der Lehrkräftemangel besonders zuspitzen. Laut Prognose ist dort im Schuljahr 2030/31 im Vergleich zu 2016/2017 mit einem Plus von insgesamt etwa 108.700 Schülerinnen und Schülern zu rechnen, ein Anstieg von einem Viertel gegenüber der heutigen Schülerzahl. In den westlichen Bundesländern sei hingegen zunächst mit einem leichten Rückgang in der relevanten Schüler-Altersgruppe zu rechnen – gegen Ende des Prognosezeitraums dann aber wieder mit einem Zuwachs.

Unter dem Strich erwarten Dohmen und Thomsen bundesweit einen Anstieg der Schülerzahlen an berufsbildenden Schulen um etwa 3 Prozent, von 2,515 Millionen (2016/2017) auf 2,587 Millionen (2030/2031). Die KMK geht hingegen weiterhin von einem Rückgang aus – und zwar auf 2,35 Millionen (2030/2031). Dies entspricht einer Differenz zwischen beiden Prognosen von annähernd 240.000 Schülerinnen und Schülern.

Dohmen und Thomsen berücksichtigten bei ihrer Prognose auch den seit 2012 zu beobachtenden Geburtenanstieg, die hohen Zuwanderungszahlen – nicht nur von Flüchtlingen, sondern in vergleichbarer Größenordnung auch durch Fachkräfte und deren Familien aus dem Raum der Europäischen Union, sowie einen Trend zu vollzeitschulischer Ausbildung. Langfristig gehen die Forscher zudem von einem Rückgang der Zahl junger Menschen im Übergangssystem aus – bei gleichzeitigem Anstieg in der regulären beruflichen Ausbildung. Aktuell nimmt allerdings die Zahl der Jugendlichen im Übergangssystem wegen der hohen Flüchtlingszahlen nach Jahren des Rückgangs wieder zu.

Betrachtet man lediglich die KMK-Lehrkräftebedarfsprognose, so ergibt sich an den berufsbildenden Schulen bis 2030 ein Einstellungsbedarf von 46.650 neuen Lehrerinnen und Lehrern. Diesem Bedarf steht ein Nachwuchs-Angebot von 37.980 Pädagoginnen und Pädagogen gegenüber: ein Minus von 8.670 Lehrkräften. Das heißt: Selbst nach der KMK-Prognose wird sich ohne massives Gegensteuern knapp jede fünfte Stelle nicht besetzen lassen. Dohmen und Thomsen prognostizieren in ihrer Studie dagegen fast überall steigende Schülerzahlen an berufsbildenden Schulen, daher sei davon auszugehen, „dass die Lehrkräftelücke deutlich größer sein dürfte, als sich aus den KMK-Zahlen ergibt“.

„Ohne Zweifel haben unter anderem die verpflichtende Verlängerung der Wochen- und Lebensarbeitszeit sowie die stetige Leistungsverdichtung der vergangenen Jahrzehnte die Attraktivität des Berufs deutlich vermindert.“ (Ansgar Klinger)

Der GEW-Berufsbildungsexperte Klinger fordert die Länder auf, den Beruf sowohl für Studienbewerber wie auch die bereits an Berufsschulen arbeitenden Lehrkräfte wieder attraktiv zu gestalten. „Ohne Zweifel haben unter anderem die verpflichtende Verlängerung der Wochen- und Lebensarbeitszeit sowie die stetige Leistungsverdichtung der vergangenen Jahrzehnte die Attraktivität des Berufs deutlich vermindert.“

Auch wenn zur Bedarfsdeckung die originäre Lehramtsausbildung Priorität haben sollte, so werde es weiterhin ohne Quer- und Seiteneinsteiger nicht gehen, sagt Klinger. Laut Bildungsforscher Klemm hat schon heute an den Berufsschulen rund ein Drittel der Lehrkräfte keine volle Lehramtsausbildung. Der Quereinstieg ist der Einstieg mit einem fach-, aber nicht lehramtsbezogenen Studienabschluss direkt in den Vorbereitungsdienst. Dagegen ist der Seiteneinstieg ein Direkteinstieg in den Beruf ohne jeden lehramtsbezogenen Abschluss. Auch ein abgeschlossenes Hochschulstudium ist nicht zwingend vorgeschrieben.

Insbesondere für die Seiteneinsteiger müssten die Länder Mindeststandards definieren, sagt Klinger. Dazu gehörten Unterstützungs- wie Begleitsysteme, ebenso Fortbildungen. Gleichzeitig müssten aber auch Kolleginnen und Kollegen, die Quer- und Seiteneinsteiger ausbilden und betreuen, entsprechend entlastet werden. Klinger: „Nur so kann die Qualität des Unterrichts gesichert werden.“