Seit Jahren verfolgt die Bundesregierung kein Ziel so konsequent und beharrlich wie die Schwarze Null im Bundeshaushalt. Den Sinn dahinter scheinen die Menschen aber nicht so recht erfasst zu haben. "Diese Finanzpolitik zahlt sich für die Menschen aus", rechtfertigt daher Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) die einseitige Ausrichtung. Und blendet damit nach Ansicht seiner Kritiker die massiven Defizite in der Infrastruktur und gerade in der Bildung aus, die er den heute lebenden Menschen aufbürdet und den künftigen Generationen hinterlässt.
Mit dieser Ideologie, die seit langem die Wirtschaftspolitik dominiert, setzt sich Kaphegyi in seiner Studie "Bildungsfinanzierung. Weiter denken: Wachstum, Inklusion und Demokratie" grundlegend auseinander. Für diese Debatte liefert der Politologe und Kulturwissenschaftler im Auftrag der GEW wissenschaftlich fundierte Argumentationsketten. Die Studie präsentiert damit die Alternative zu der herrschenden Politik, für die Schäubles Schwarze Null beispielhaft steht.
"Alle Verbesserungen im Bildungsbereich, seien es Gruppen- und Klassengrößen, moderne Räume und die digitale Ausstattung oder die Arbeitsbedingungen und Einkommen der Beschäftigten kosten Geld", konstatiert GEW-Vorsitzende Marlis Tepe in ihrem Vorwort. Daher stellt Kaphegyi, wie Tepe betont, "den Zusammenhang zwischen der Wirtschafts- und Steuerpolitik, der Bildungsfinanzierung und der gesellschaftlichen Entwicklung dar".
Demokratische Vernunft
Der Autor präsentiert zunächst das demokratische Konzept, das den politischen Forderungen der GEW zugrunde liegt. Er nennt es die "unteilbare demokratische Vernunft". Die zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass sie Menschenrechte nicht allein als Freiheitsrechte wie die Meinungsfreiheit versteht. In diesem umfassenden Sinn muss Politik mehr gewährleisten, um Freiheit und Demokratie zu sichern. Sie hat auch die Aufgabe, Menschen aus der Armut zu befreien, ihnen die ökonomische Unsicherheit zu nehmen, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, allen Bildung zu ermöglichen und einen angemessenen Gesundheitsschutz zu bieten. In diesem Verständnis gehören politische, bürgerliche und soziale Menschenrechte untrennbar zusammen.
Damit grenzt Kaphegyi das Konzept klar ab von liberalen oder wirtschaftsliberalen Ansätzen, die Menschenrechte eng vor allem als Abwehrrechte gegen einen übergriffigen Staat definieren. Diese Sicht ist noch immer verbreitet, obwohl sie historisch gesehen den Stand aus der Zeit der Aufklärung widerspiegelt. Geschichtswissenschaftler sprechen von den Menschenrechten der ersten Generation, die später ergänzt wurden durch Anspruchs- und Teilhaberechte, z.B. auf soziale Sicherheit, bezahlte Arbeit und gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit - und eben auch das Recht auf Bildung und Ausbildung.
Bei der unteilbaren demokratischen Vernunft geht es daher um mehr als den Schutz vor staatlichen Übergriffen. Der ist zwar zwingend, reicht aber nicht. Deshalb erfasst die demokratische Vernunft auch die gesellschaftlichen und sozialen Voraussetzungen, die allen die freie und vollständige Entfaltung ihrer Persönlichkeit ermöglicht. Dieses Konzept hat der Gewerkschaftstag von 2013 unterstützt, in dessen Verlauf die GEW ihre Forderung nach einer umfassenden Verwirklichung des Menschenrechts auf Bildung bekräftigte.
All dies ist eine zwingende Konsequenz aus den desaströsen Erfahrungen der jüngeren deutschen Geschichte, wie Kaphegyi darlegt. Während in den USA in den 1930er Jahren die Politik des New Deal mit ihren sozialen und die Wirtschaft stabilisierenden Elementen einen Rechtsruck verhinderte, setzte sich in Deutschland das durch, was in Anlehnung an Theodor W. Adorno und Max Horkheimer "Instrumentelle Vernunft" genannt werden kann. Als ein Beispiel von vielen gilt die Austeritätspolitik von Reichskanzler Heinrich Brüning (Zentrumspartei) am Ende der Weimarer Republik. Dieser Begriff umschreibt die massiven Kürzungen und Einsparungen, die in Deutschland die wirtschaftliche, soziale und politische Krise verschärften und so letztlich den Nationalsozialisten den Weg an die Macht ebneten. Kaphegyi erinnert in diesem Zusammenhang an die Arbeiten des Wirtschaftshistorikers und Soziologen Karl Polanyi. Der hat 1944 in seinem Werk "The Great Transformation" vor allem am Beispiel Großbritanniens herausgearbeitet, welch zerstörerische Kraft die einseitige liberale Marktwirtschaft in der Geschichte entfaltet hat und wie sie damit Gegenbewegungen provoziert.