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Kinderrechte und Kinderarmut

Versprechen nicht eingelöst

Für junge Menschen aus ärmeren Familien ist der Bildungsweg voller Hürden. Das BAföG ändert daran wenig.

Das BAföG wird längst nicht mehr seiner Aufgabe gerecht, Bildung für alle Studienberechtigten zu ermöglichen und nicht nur für Heranwachsende und junge Menschen aus wohlhabenden Familien. (Foto: IMAGO/Bihlmayerfotografie)

Als Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) kürzlich ihre BAföG-Reform präsentierte, erhielt sie auf der Plattform X aus Parteikreisen viel Lob. „Wir wollen dem Wort Aufstiegsversprechen wieder die Bedeutung geben, die es verdient hat“, schrieb zum Beispiel der Fraktionsvorsitzende der Liberalen im Bundestag, Christian Dürr. „Denn ein Studium darf nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängen.“

Genau das war der Grundgedanke der Bundesausbildungsförderung, die vor mehr als 50 Jahren eingeführt wurde. Bildung soll für alle möglich sein, nicht nur für Kinder aus wohlhabenden Familien. Doch das BAföG wird seiner Aufgabe schon seit vielen Jahren nur noch sehr eingeschränkt gerecht. Nur 335.000 Studierende wurden laut Statistischem Bundesamt 2022 im Monatsdurchschnitt gefördert. Das entspricht rund 11 Prozent. Zählt man auch die Geförderten hinzu, die nicht das ganze Jahr über BAföG erhalten, sondern nur zeitweise, steigt die Zahl auf 489.000. Gut die Hälfte erhielt eine Vollförderung, also die maximale Fördersumme.

Quote lag mal bei 45 Prozent

Insgesamt ist damit bei den Gefördertenzahlen wieder das Niveau aus der Zeit vor der Covid-19-Pandemie erreicht. Die Förderquote liegt allerdings immer noch weit unter der früherer Jahrzehnte. Zum Vergleich: Bei der Einführung des BAföG 1972 betrug die Quote der Geförderten annähernd 45 Prozent, 2011 lag sie immerhin noch bei 19 Prozent.

Noch bescheidener sieht es beim Schüler-BAföG aus. Von rund 3,2 Millionen Schülerinnen und Schülern in der Sekundarstufe II an allgemeinbildenden und beruflichen Schulen wurden 2022 im Schnitt lediglich 84.000 gefördert – viel zu wenig, wenn man bedenkt, dass laut Kinderhilfswerk mehr als jedes fünfte Kind in Deutschland arm oder armutsgefährdet ist. Wenn man noch die zeitweilig Geförderten dazuzählt, waren es 141.000. Beide Zahlen stellen ein deutliches Minus zum Vorjahr dar und folgen damit einem langjährigen Trend.

„Die GEW fordert daher die Wiedereinführung des BAföG in der Sekundarstufe II.“ (Andreas Keller)

Die Regierung Helmut Kohl (CDU) setzte vor rund 40 Jahren beim BAföG radikal den Rotstift an. Für Studierende wurde die Förderung auf Volldarlehen umgestellt und belastete die Geförderten mit hohen Schuldenbergen. Für Schülerinnen und Schüler an allgemeinbildenden Schulen ab Klasse 10 wurde das BAföG praktisch abgeschafft. „Wer eine weiterführende allgemeinbildende Schule besucht, etwa ein Gymnasium oder eine Gesamtschule, erhält in der Sekundarstufe II in der Regel keine Förderung, während Gleichaltrige, die eine duale Berufsausbildung absolvieren, Ausbildungsvergütung beziehen“, sagt GEW-Vorstand Andreas Keller. „Für Kinder aus Familien mit geringem Einkommen oder ohne akademischen Hintergrund ist das nach wie vor ein Grund, kein Abitur zu machen, sondern schnell das erste Geld nach Hause zu bringen.“

Nur 46 Prozent dieser Kinder erreichen die gymnasiale Oberstufe, das zeigt der „Bildungstrichter“ des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW). Bei Kindern aus akademischen Familien sind es hingegen mit 83 Prozent fast doppelt so viele. „Die GEW fordert daher die Wiedereinführung des BAföG in der Sekundarstufe II“, so Keller.

Weil schon in der Schule die Förderung fehlt, ist auch der weitere Bildungsweg für Kinder aus benachteiligten Familien voller Hürden. „Sie stoßen allzu oft auf größere Probleme, wenn sie ein Studium ergreifen wollen“, hält das Kinderhilfswerk in seinem Report zur Kinderarmut 2023 fest. Während in Akademikerfamilien drei Viertel der Kinder ein Studium aufnehmen, sind es bei Familien ohne studierte Eltern nur 21 Prozent. Dabei sind sie die große Mehrheit. Vier von fünf Kindern in Deutschland wachsen in nicht-akademischen Haushalten auf. Doch für ihre Bildungschancen wird nicht genug getan.

Versprochene BAföG-Reform bleibt aus

Beim BAföG für Studierende wurden Kohls Kürzungen immerhin etwas zurückgedreht. Die Förderung fließt seit 1990 wieder zur Hälfte als Zuschuss, der nicht zurückgezahlt werden muss. Allerdings sieht die aktuell geplante BAföG-Reform – neben kleineren Verbesserungen wie der Anhebung der Freibeträge um 5 Prozent und der Einführung einer Studienstarthilfe, aus der ärmere Studierende ab Herbst einen staatlichen Zuschuss in Höhe von 1.000 Euro zur Anschaffung von Laptops, Büchern oder zur Finanzierung von Umzugskosten am Studienort bekommen können – keine Erhöhung des BAföG-Satzes vor, trotz rasant gestiegener Lebenshaltungskosten.

Der Satz war zum bisher letzten Mal zum Wintersemester 2022/23 angehoben worden. Zudem gibt es eine Verschlechterung: Ab Ende 2025 sollen Geförderte rund 15 Prozent mehr Rückzahlungen leisten müssen, so steht es im Kabinettsbeschluss. „Im Koalitionsvertrag der Ampel war das Gegenteil versprochen, also eine Absenkung des Darlehensanteils“, kritisiert Mattias Anbuhl vom Deutschen Studierendenwerk. Dabei hält gerade die Sorge, sich für eine Ausbildung verschulden zu müssen, viele junge Menschen aus einkommensschwächeren Familien davon ab, ein Studium aufzunehmen.