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WissZeitVG-Novelle

Gesetzgeber muss jetzt handeln

2015 hatte die GEW mit ihrer bundesweiten Aktionswoche „Traumjob Wissenschaft“ mächtig Druck gemacht – für eine Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes. Vor vier Jahren ist dann tatsächlich eine Gesetzesnovelle in Kraft getreten.

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Bild: ©zef art - stock.adobe.com

Die Wirkung der Novelle ist begrenzt, das hat die erste Evaluation durch Freya Gassmann ergeben. In einem Kommentar zieht der stellvertretende Vorsitzende und Hochschulexperte der GEW, Andreas Keller, Schlussfolgerungen aus der Evaluation. Seine Forderung: Bundestag und Bundesrat müssen das Gesetz jetzt erneut überarbeiten.

Immer mehr Zeitverträge mit immer kürzeren Laufzeiten – auf diese Kurzformel kann das Befristungsunwesen gebracht werden, das an Deutschlands Hochschulen und Forschungseinrichtungen fröhliche Urständ feiert. Vor diesem Hintergrund wurde von der Novelle des WissZeitVG vom 17. März 2016 zu Recht erwartet, dem etwas entgegenzusetzen, den Anteil der befristeten Beschäftigungsverhältnisse wieder zugunsten der unbefristeten zu vermindern und die Laufzeiten der befristeten Arbeitsverträge zu verlängern. Diese Erwartungen wurden in der vorliegenden Evaluation der Gesetzesnovelle erstmals überprüft. Und das Ergebnis fällt ernüchternd aus.

WissZeitVG-Novelle kaum Einfluss auf Befristungsanteil

Gestützt auf Daten des Statistischen Bundesamts kommt Freya Gassmann von der Universität des Saarlands zu dem Ergebnis, dass die WissZeitVG-Novelle fast keinen Einfluss auf den Befristungsanteil hat. Betrug der Anteil der befristeten Beschäftigungsverhältnisse am gesamten wissenschaftlichen Personal ohne Professorinnen und Professoren 2015, im Jahr vor der Novelle, 82 Prozent, liegt dieser 2018, im dem Jahr, für das die jüngsten Daten vorliegen, mit 80 Prozent nur zwei Prozentpunkte darunter. 2006, im Jahr vor dem In-Kraft-Treten des WissZeitVG, belief sich der Befristungsanteil des wissenschaftlichen Personals an Hochschulen noch auf 76 Prozent. Bei den wissenschaftlichen Angestellten an Universitäten lag der entsprechende Befristungsanteil 2015 wie bereits 2010 bei 90 Prozent, 2018 dann immer noch bei 89 Prozent, also nur einen Prozentpunkt unter dem Wert aus dem letzten Jahr vor der Novelle. 2006 hatte der Befristungsanteil bei den wissenschaftlichen Angestellten an Universitäten 83 Prozent betragen.

Was die Laufzeiten der befristeten Beschäftigungsverhältnisse angeht, so kommt Gassmann auf Basis einer Analyse von Stellenausschreibungen an elf Hochschulen zu dem Ergebnis, dass sich diese infolge der WissZeitVG-Novelle im Durchschnitt um vier Monate – von 24 auf 28 Monate – erhöht haben. Diese Zahlen sind nicht direkt mit der 2011 veröffentlichten Evaluation zu vergleichen, weil sie aufgrund der Methode der Analyse von Stellenausschreibungen von 2013 bis 2018 zum einen nur Erstverträge und keine Vertragsverlängerungen mit möglicherweise deutlich kürzeren Vertragslaufzeiten, zum anderen nur den in den Ausschreibungen genannten Zeitraum und nicht die tatsächliche Vertragslaufzeit erfassen. Dennoch ergeben sie, dass die Novelle einerseits eine Wirkung hatte, die jedoch andererseits begrenzt war. Denn berücksichtigt man die Qualifizierungszeiträume, die dem Gesetzgeber 2007 bei der Verabschiedung des Gesetzes vor Auge standen – sechs Jahre vor der Promotion und weitere sechs Jahre nach der Promotion –, so ist eine Vertragslaufzeit von nicht einmal zweieinhalb Jahren immer noch weit von diesen entfernt.

Arbeitgeber nutzen Schlupflöcher

In der WissZeitVG-Novelle waren zwar wichtige Impulse des 2015 von der GEW vorgelegten eigenen Gesetzentwurfs für eine Novelle aufgegriffen worden, dabei wurde aber mit unbestimmten Rechtsbegriffen gearbeitet, sodass die gesetzlichen Vorgaben vage blieben und sich nun als wenig wirksam erweisen. So hat der Gesetzgeber 2016 insbesondere auf eine Definition des Begriffs der wissenschaftlichen Qualifizierung verzichtet. Die von Gassmann mit Vertreterinnen und Vertretern der Personalabteilungen und der Personalräte der Hochschulen geführten qualitativen Interviews legen offen, dass die Hochschulen bei der Anwendung des Gesetzes eine enorme Kreativität entwickeln, den Begriff der Qualifizierung sehr vielseitig, um nicht zu sagen beliebig füllen.

Das WissZeitVG sieht zwar seit 2016 vor, dass die Befristungsdauer so zu bemessen ist, dass sie der Qualifizierung angemessen ist, aber es wird weder konkretisiert, was unter angemessen zu verstehen ist, noch wird eine verbindliche Untergrenze der Befristungsdauer im Sinne einer von der GEW geforderten Mindestbefristungszeit normiert. In Verbindung mit dem unbestimmten Qualifizierungsbegriff, der der Praxis der Arbeitgeber Vorschub leistet, auch kleinteilige Qualifizierungen für die Rechtfertigung einer Befristung heranzuziehen, kann so im Ergebnis der Praxis der Kurzzeit- und Kettenverträge kein Riegel vorgeschoben werden.

Damit nicht genug: Die vorliegende Evaluation legt den Schluss nahe, dass der ursprüngliche Zweck des WissZeitVG, einen sicheren Rechtsrahmen für die Befristung von Arbeitsverträgen in der wissenschaftlichen Qualifizierung zu schaffen, verfehlt wird. So hat sich zwar die Zahl der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an Universitäten in den letzten 25 Jahren – von 1994 bis 2018 – mehr als verdoppelt, die Zahl der Promotionen ist aber im gleichen Zeitraum um nicht einmal ein Viertel angestiegen, die Zahl der Habilitationen ist nahezu unverändert geblieben.

Das WissZeitVG weist nach seiner Novellierung 2016 Schlupflöcher auf, welche die Änderungen, die auf eine Eingrenzung der Befristung von Arbeitsverträgen sowie auf eine Verlängerung der Vertragslaufzeiten abzielte, zum Teil ins Leere laufen lassen – wenn es die Wissenschaftsarbeitgeber darauf anlegen. Dass diese es darauf anlegen, belegt die „Bayreuther Erklärung zu befristeten Beschäftigungsverhältnissen mit wissenschaftlichem und künstlerischem Personal in Universitäten“, mit der die Kanzlerinnen und Kanzler der Universitäten im Herbst 2019 für Aufsehen sorgten. Darin forderten die Universitätskanzlerinnen und -kanzler nicht nur den „Erhalt“, sondern sogar die „Entwicklung“ von Befristungsmöglichkeiten für wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Gehandelt werden muss jetzt

Die WissZeitVG-Novelle wirkt ... ein bisschen. Ein bisschen ist aber alles andere als genug! Wenn 80 Prozent des gesamten wissenschaftlichen Personal an Hochschulen und knapp 90 Prozent der wissenschaftlichen Angestellten an Universitäten mit einem Zeitvertrag abgespeist werden, der in der Regel auch noch eine kurze bis sehr kurze Laufzeit hat, muss gehandelt werden. Gefragt ist der Bundesgesetzgeber, der das WissZeitVG 2007 verabschiedet und 2016 novelliert hat, mit dieser Novelle aber offensichtlich eine nur begrenzte Wirkung erzielt hat.

Gehandelt werden muss jetzt – und nicht erst nach der nächsten Bundestagswahl, die planmäßig im Herbst 2021 stattfindet. Genau darauf zielt aber das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) ab. Obwohl Paragraf 8 des 2016 novellierten WissZeitVG unmissverständlich vorschreibt, dass die Auswirkungen des Gesetzes „im Jahr 2020“ evaluiert werden müssen, ist mit den Ergebnissen der Evaluation frühestens 2022, also nach der nächsten Bundestagswahl, zu rechnen.

So lange können die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht warten – erst recht nicht, wenn sie auf Zeitverträgen sitzen, die 2022 auslaufen. Die GEW fordert daher, schon jetzt Konsequenzen zu ziehen, die sich aus der offensichtlich begrenzten Wirkung der WissZeitVG-Novelle von 2016 ergeben. Erfreulicherweise sehen mit der Linken und der FDP bereits zwei Oppositionsfraktionen im Deutschen Bundestag die Notwendigkeit zur Gesetzesnovellierung. Damit steht die zweite Novelle des WissZeitVG bereits auf der Agenda des Bundestages – diese Chance sollte jetzt genutzt werden.

Fünf Vorschläge der GEW

Besonders dringender Handlungsbedarf besteht aus Sicht der GEW in fünf Punkten:

  1. Zum ersten muss der Gesetzgeber die 2017 versäumte Legaldefinition des Qualifizierungsbegriffs, der entscheidend nicht nur für die Voraussetzungen für eine Befristung, sondern auch für die Befristungsdauer ist, nachholen. In der Phase vor Abschluss der Promotion sollte das Qualifizierungsziel typischerweise die Promotion sein; in der Phase nach Abschluss kommen die Erlangung der Berufungsfähigkeit auf eine Professur durch eine Habilitation oder den Erwerb habilitationsäquivalenter Leistungen in Betracht. Wissenschaftliches und künstlerisches Personal sollte nur noch dann nach § 2 Absatz 1 WissZeitVG (Qualifizierungsbefristung) befristet beschäftigt werden dürfen, so dass arbeitsvertraglich geregelt wird, wenn das befristete Beschäftigungsverhältnis der wissenschaftlichen Qualifizierung dient und die Qualifizierung im Mittelpunkt steht. Der Arbeitsvertrag muss Aussagen über das Qualifizierungsziel, die Qualifizierungsdauer und den Umfang der für Qualifizierungszwecke verfügbaren Arbeitszeit enthalten, die mindestens 50 Prozent betragen muss.
  2. Zum zweiten muss der Gesetzgeber die Vorgabe für angemessene Vertragslaufzeiten für Qualifizierungsbefristungen im WissZeitVG präzisieren. Dabei sollte gelten, dass die Dauer eines zum Zwecke der Qualifizierung nach § 2 Absatz 1 WissZeitVG abgeschlossenen befristeten Arbeitsvertrags mindestens der Zeitdauer entspricht, die in dem betreffenden Fach üblicherweise für das Qualifizierungsziel aufgewendet wird, aber keinesfalls drei Jahre unterschreiten darf.
  3. Zum dritten müssen die im WissZeitVG enthaltenen Regelungen zur Förderung der Vereinbarkeit von wissenschaftlicher Qualifizierung und Familie sowie zum Nachteilsausgleich bei Behinderung oder chronischer Erkrankung erweitert bzw. verbindlich ausgestaltet werden. Der Anspruch auf Verlängerung eines befristeten Beschäftigungsverhältnisses um Zeiten einer Inanspruchnahme von Elternzeit und Zeiten eines Beschäftigungsverbots im Mutterschutz sollte künftig nicht nur für Qualifizierungsbefristungen, sondern auch für Drittmittelbefristungen gelten. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sollten einen Anspruch auf automatische Verlängerung ihres befristeten Beschäftigungsverhältnisses um pauschal zwei Jahre erhalten, wenn sie Kinder unter 18 Jahren betreuen und an einer wissenschaftlichen Qualifizierung gearbeitet haben oder noch arbeiten. Das gilt analog für Beschäftigte mit einer Behinderung oder chronischen Erkrankung. Diese „familienpolitische“ bzw. „behindertenpolitische“ Komponente ist derzeit als Kann-Regelung ausgestaltet: Ob ein Arbeitsvertrag verlängert wird oder nicht, obliegt allein dem Ermessen des Arbeitgebers.
  4. Zum vierten sollten promovierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nur noch dann befristet beschäftigt werden dürfen, wenn ihnen zugleich die Perspektive eröffnet wird, auf Dauer in Hochschule und Forschung tätig zu sein. Konkret sollte eine befristete Beschäftigung künftig daran gebunden werden, dass der Arbeitgeber mit der oder dem Beschäftigten eine Entfristung des Beschäftigungsverhältnisses für den Fall vereinbart, dass das Qualifizierungsziel erreicht worden ist. Diese Regelung würde die Hochschulen und Forschungseinrichtungen zur Etablierung von Laufbahnen nach dem Vorbild eines „Tenure Track“ verpflichten, wenn sie promovierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler befristet beschäftigen möchten und dafür keine anderen Befristungstatbestände, etwa eine Drittmittelfinanzierung, geltend machen können.
  5. Zum fünften sollte endlich die im WissZeitVG enthaltene Tarifsperre ersatzlos aufgehoben werden. Diese Sperre untersagt Arbeitgebern und Gewerkschaften, vom Gesetz abweichende und für die Beschäftigten günstigere Befristungsregelungen zu vereinbaren, wie dies sonst im Arbeitsrecht üblich ist. Lediglich für einzelne Fachrichtungen und Forschungsbereiche kann derzeit hinsichtlich der Höchstbefristungsdauer sowie der Anzahl der zulässigen Verlängerungen befristeter Beschäftigungsverhältnisse eine Abweichung vom Gesetz tarifvertraglich vereinbart werden. Diese Möglichkeit sollten Arbeitgeber und Gewerkschaften für alle Regelungstatbestände sowie fachrichtungs- und forschungsbereichsübergreifend haben. Den Tarifpartnern sollte so die Chance gegeben werden, zu einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgebern und Beschäftigten zu kommen und letztlich auch zu einer größeren Sachgerechtigkeit und Akzeptanz des Befristungsrechts in Hochschule und Forschung beitragen.

Mit dem Templiner Manifest hat die GEW 2010 die Kampagne für den „Traumjob Wissenschaft“ gestartet und damit nicht nur deutlich gemacht, dass sie das große W = Wissenschaft in ihrem Namen mit Fug und Recht trägt, sondern auch dafür sorgt, dass Beschäftigungsbedingungen und Karrierewege in der Wissenschaft heute ganz oben auf der politischen Agenda stehen. Zehn Jahre nach dem Templiner Manifest wäre es an der Zeit, mit einer zweiten und wirksamen WissZeitVG-Novelle die Weichen für den Traumjob Wissenschaft neu zu stellen.

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