Digitalpakt
Foul auf Wolke 7
Mit dem Digitalpakt steigt die Notwendigkeit, die Schulen an Lernwolken anzuschließen. Auf dem Markt ist ein scharfer Verdrängungswettbewerb ausgebrochen.
Je öfter die Behörden in den vergangenen Wochen wegen des Coronavirus schulfrei angeordnet haben, desto dringlicher stellte sich diese Frage: Könnten die Schülerinnen und Schüler, statt nur zu Hause zu bleiben, in virtuellen Klassenzimmern lernen, in denen ihnen keine Gefahr durch das Virus droht? Technisch ist das bereits möglich. In sogenannten Schulclouds können Lehrkräfte ihren Schülerinnen und Schülern (Haus-)Aufgaben zuweisen, mit ihnen arbeiten, chatten und sich E-Mails schicken.
Bisher sind Schulclouds in Deutschland allerdings weder besonders bekannt noch weit verbreitet. Über den 40.000 Schulen spannt sich sozusagen ein Himmel voller Schäfchenwolken: Kleine mittelständische Anbieter wie „Iserv“, „Webweaver“ oder „Univention“ -sowie Open-Source-Plattformen wie -„Moodle“ und „Mebis“ machen Lehrer-Schüler-Kollaborationen in der Wolke möglich. Der Markt wird von den Kleinen dominiert.
Allerdings machen große Player den pädagogisch orientierten Kleinanbietern immer mehr Konkurrenz. Es ist ein regelrechter Verdrängungskampf ausgebrochen. Wettbewerber wie die Schulcloud des Potsdamer Hasso-Plattner-Instituts (HPI) oder Microsoft und sein „Office 365“ dulden keine Konkurrenz neben sich. Sie haben einen Monopolanspruch. Die Schulbehörden des Staates halten sich dabei nicht etwa zurück, sie befeuern das böse Spiel.
„Uns wird immer öfter mitgeteilt, dass ‘Iserv’ nicht förderfähig ist, weil es eine Konkurrenz zum Landesprodukt ist.“ (Nils Glanz)
Beispiel Potsdam. Dort wird seit 2017 am privaten HPI eine neue Schulcloud entwickelt, die für alle deutschen Schulen eingesetzt werden kann. In Brandenburg kann man beobachten, wie beinhart der Wettbewerb ausgetragen wird. „Uns wird immer öfter mitgeteilt, dass „Iserv“ nicht förderfähig ist, weil es eine Konkurrenz zum Landesprodukt ist“, berichtet Nils Glanz vom Braunschweiger Cloud-anbieter „Iserv“. Das Landesprodukt ist die HPI-Schulcloud.
Was Glanz berichtet, entspricht nach Informationen der E&W den Absprachen zwischen Brandenburg und dem HPI. Aus einer Anfrage gemäß Informationsfreiheitsgesetz (Kostenkalkulation Brandenburgische Schulcloud, FragdenStaat) liegt der Redaktion eine Vielzahl von Mails zwischen den beteiligten Behörden und dem HPI vor. Daraus wird deutlich, dass die HPI-Schulcloud für das Land ein Alleinstellungsmerkmal besitzt. Sie könne zudem zu 90 Prozent aus den Bundesmitteln des Digitalpakts finanziert werden – „die Übernahme bestehender Länderlösungen jedoch nicht“ (FragdenStaat, S. 34). Das bestätigt, was andere Cloudanbieter derzeit in Brandenburg erleben: Wenn ein Schulträger eine andere Schulcloud als die des HPI haben will, wird ihm deutlich gemacht: Die musst du selber bezahlen.
Die Exklusiv-Vereinbarung zwischen dem Land und dem HPI birgt vor allem zwei Probleme. Zum einen ist die Schulcloud, die in Brandenburg die Konkurrenz aus dem Feld schlägt, noch gar nicht fertig. 2017 begannen die HPI-Programmierer, erst 2021 werden sie laut Plan zum Abschluss kommen. Bis dahin können zunächst nur rund 50 Brandenburger Pilotschulen die Cloud nutzen. Die anderen 900 Schulen müssen warten – oder sich aus eigener Tasche eines der sofort nutzbaren virtuellen Klassenzimmer mieten.
Zum anderen ist die Potsdamer Cloud in Wahrheit gar nicht umsonst. In der Pilotierungsphase bis 2021 werden die Kosten auf 640.000 Euro taxiert (FragdenStaat, S. 14). Im Regelbetrieb müsste das Land jährlich rund 1,4 Millionen Euro für die Plattner-Cloud bezahlen.
Brandenburgs Bildungsministerium erklärte auf Anfrage, für Inhalte Dritter, die innerhalb der Schulcloud angeboten werden, etwa von Schulbuchverlagen, würden Lizenzgebühren bezahlt. In der ursprünglichen Kostenkalkulation, die E&W vorliegt, ist davon allerdings keine Rede: „Die Software ‚HPI Schul-Cloud‘ ist als lizenzfreie Software ohne explizite Lizenzkosten einsatzfähig“, heißt es da. „Nichts desto trotz gilt es die Betriebssicherheit, Weiterentwicklung und 2nd Level Support zu gewährleisten.“ (Kostenkalkulation Brandenburgische Schulcloud, FragdenStaat, S. 15).
„Anstatt öffentliche Gelder in die Neuentwicklung von Software zu investieren, sollten aus unserer Sicht hier die marktüblichen Wege gegangen werden.“ (Martin Lorenz)
Das Plattner-Institut bekommt für die Entwicklung der Open-Source-Software Steuergeld. Sieben Millionen Euro überweist das Bundesbildungsministerium bis 2021 nach Potsdam, um die Lernwolke open source, also lizenzfrei zu programmieren.
„Anstatt öffentliche Gelder in die Neuentwicklung von Software zu investieren“, sagt Martin Lorenz, Geschäftsführer des norwegischen Cloudanbieters „itslearning“, „sollten aus unserer Sicht hier die marktüblichen Wege gegangen werden.“
Markt, Wettbewerb, Kostenkalkulationen – mit den Clouds zieht eine neue Welt in die Schulen ein: die Ökonomie. Bisher hatte der Markt für Lehrinhalte, also der Schulbuchmarkt, ein Volumen von etwa 450 Millionen Euro. Mit dem fünf Milliarden teuren Digitalpakt schwappt nun viel Geld in die Schulen. Und jeder in digitale Tools, Plattformen oder Clouds investierte Euro erfordert weitere Investitionen für Updates und Ersatz.
Gläserner Schüler
Freilich birgt eine Schulcloud als Dach über allen digitalen Anwendungen zugleich ein Risiko: die Konzentration von Daten. Wer Schülerinnen und Schüler in der Cloud identifizieren, ihre Beiträge zu- und ihre Leistungen einordnen will, muss eine Vielzahl von Daten sammeln. Eine Schulcloud weiß so viel wie alle Lehrerinnen und Lehrer zusammen – und potenziell noch mehr. In den USA werden – um Amokläufen vorzubeugen – die Suchdaten von Schülern auf Google ausgewertet, genauso ihre Mails, ihre Chats und die in kollaborativen Dokumenten hinterlassenen Spuren. Kurz: Eine Cloud kann, wenn sie nicht korrekt betrieben wird, eine andere Bezeichnung für „gläserner Schüler“ sein.
Wie aktuell dieses Risiko ist, kann man in Baden-Württemberg beobachten. In einer Ausschreibung des Kultusministeriums für eine Schulcloud fand sich vergangenen Dezember ein kurzer, aber folgenreicher Satz. „Die Grundverwaltung von Identitäten und Gruppen erfolgt über ein Azure Active Directory pro Schule.“ Was bedeutet dieser Satz?
Erstens, die „Verwaltung von Identitäten“: Sie ist das Herzstück einer jeden Datensammlung. Dort wird die digitale Zugangsberechtigung der Schülerinnen und Schüler zur Cloud ausgestellt. Wer diese Datei hat, weiß alles über den einzelnen Schüler. Zweitens, das „Azure Active Directory“: Es ist ein Produkt von Microsoft. Das heißt: Wäre die Ausschreibung des Landes so geblieben, hätte das den exklusiven Zugang zu den Identitäten und Daten von 1,1 Millionen badischen und württembergischen Schülerinnen und Schülern bedeutet – für Microsoft, ein Unternehmen aus den USA!
Genau davor warnen aber die deutschen Landesdatenschutzbeauftragten. Sie halten Microsoft aus verschiedenen Gründen für einen unsicheren Kantonisten. Der gravierendste: Wenn US-Behörden es verlangen, muss Microsoft die Daten deutscher Schülerinnen und Schüler an sie herausrücken. So will es der sogenannte „Cloud Act“. Es ist Microsoft im Zweifelsfall sogar untersagt, Schule, Schülerinnen und Schüler sowie Eltern in Deutschland darüber zu informieren, dass Daten abgeschöpft wurden. Für die Datenschützer ein eindeutiger Verstoß gegen die informationelle Selbstbestimmung.
Das Ministerium in Stuttgart reagierte schnell – und öffnete die Ausschreibung wieder. Nun können sich auch andere Cloudanbieter bewerben. Die ursprüngliche Ausschreibung sei ein Missverständnis gewesen, teilte eine Sprecherin von Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) auf Anfrage mit.
„Wir warnen ausdrücklich vor einseitigen Vorfestlegungen zugunsten bestimmter Anbieter wie etwa Microsoft.“ (Alexander Salomon)
Nur wenige Wochen später scheint deutlich zu werden, dass die Bevorzugung von Microsoft möglicherweise kein Missverständnis war. Das baden-württembergische Kultusministerium unternimmt gerade einen zweiten Anlauf, um den Softwaregiganten aus den USA in die Schulen zwischen Stuttgart, Karlsruhe und Konstanz zu holen. Die Cloud „Office 365“ von Microsoft solle die Bildungsplattform werden, verriet einer der zuständigen Beamten ausweislich eines der E&W vorliegenden Papiers. Das Land nutzte dazu das Chaos um die Schulschließungen wegen des Coronavirus. Per Rundschreiben gab ein hoher Beamter das Microsoft-Produkt frei – ohne Ausschreibung und trotz Bedenken des Landesdatenschutzbeauftragten. Selbst der Koalitionspartner ist mit dem Plan von Ministerin Eisenmann nicht einverstanden: „Wir warnen ausdrücklich vor einseitigen Vorfestlegungen zugunsten bestimmter Anbieter wie etwa Microsoft“, sagte der grüne Landtagsabgeordnete und IT-Spezialist Alexander Salomon.
Gegen den Deal von Baden-Württemberg wäre der von Brandenburg geradezu ein kleiner Fisch. Wenn Microsoft im Südwesten offiziell als Cloudanbieter akzeptiert wird, kommt das einem Durchbruch des 1-Billion-Dollar-Softwaregiganten auf dem Weg zum Monopolisten auf dem deutschen Schul-cloud-Markt gleich.