Mobbing
„Fast alle kennen einen Mobbingfall“
Nicht nur Kinder und Jugendliche sind Opfer von Mobbing, sondern auch Lehrerinnen und Lehrer. E&W sprach mit Meike Bär, Co-Vorsitzende des Gesamtpersonalrats am Staatlichen Schulamt Frankfurt am Main und Lehrerin am Dessauer-Gymnasium.
- E&W: Trifft Mobbing nur einzelne Lehrkräfte oder ist es ein Massenphänomen?
Meike Bär: Ich habe dazu keine konkreten Zahlen, aber mache seit vielen Jahren Schulungen für Personalräte, an die sich Betroffene nach dem Hessischen Personalvertretungsgesetz wenden können. In den zwei bis drei Stunden Fortbildung hören die Fragen gar nicht mehr auf. Fast alle kennen einen Mobbingfall – und durch die Gespräche weiß ich auch, dass es sehr anspruchsvoll und komplex ist, adäquat auf Mobbing zu reagieren.
- E&W: Warum?
Bär: Personalräte sind oft die ersten Ansprechpartner. Dabei betreten sie ein Minenfeld. Die Betroffenen erwarten natürlich zu Recht schnelle Hilfe. Personalräte müssen sich aber auch fragen: Handelt es sich wirklich um Mobbing? Was sagt die „Gegenseite“? Binde ich sofort die Schulleitung ein? Und das alles ohne psychologische Ausbildung mit nur einer Entlastungsstunde pro Woche. Das ist nicht leicht.
- E&W: Was können Personalräte konkret tun?
Bär: Sie können Betroffenen zum Beispiel empfehlen, ein Mobbing-Tagebuch zu führen. Eine Dokumentation ist sehr hilfreich, denn so lässt sich festhalten, ob etwas systematisch geschieht und wer involviert ist. Wenn es Handlungen sind, die konkret darauf abzielen, einen Menschen zu schädigen, handelt es sich um Mobbing. Allerdings gelingt es nicht immer, die Frage, ob es sich um Mobbing handelt, ganz klar mit Ja oder Nein zu beantworten.
- E&W: Was macht die GEW, um Mobbingopfern zu helfen?
Bär: Es gibt eine Rechtsberatung, an die sich betroffene Mitglieder wenden können. Die Situation wird besprochen. Die Beratung kann dann – je nach Lage – an einen Juristen oder eine Juristin verweisen. Außerdem bietet die Gewerkschaft Fortbildungen an.
- E&W: In vielen Städten und Landkreisen in Deutschland gibt es entsprechende Dienstvereinbarungen der Gesamtpersonalräte mit den Arbeitgebern – auch mit dem Staatlichen Schulamt Frankfurt. Was bringt das?
Bär: Die Dienstvereinbarung ist ein Handlungsleitfaden. Sie beinhaltet Verhaltensempfehlungen für Betroffene, benennt Ansprechpartner beziehungsweise Verantwortliche und beschreibt, wie eine Intervention aussehen kann. Ohne solche Handreichungen bleibt das Engagement gegen Mobbing an Schulen ungeregelt – und das kann dazu führen, dass gar nichts passiert oder Verantwortung delegiert wird.
- E&W: Welche Rolle spielt die Schulleitung?
Bär: Schulleitungen sind generell verantwortlich für den Arbeits- und Gesundheitsschutz der Lehrerinnen und Lehrer. Sie müssen also reagieren, denn nichts ist so zerstörerisch für die Psyche wie Mobbing. Sie sollen versuchen, den Sachverhalt zu klären, Gespräche führen, die Schulpsychologie einbinden etc. Schulleitungen können aber auch externe Mediation und Coaching beantragen, wenn sich das Problem intern nicht lösen lässt. Denn oft schwelt ein Konflikt schon seit Jahren – und leider dauert es dann auch sehr lange, um Strukturen zu beseitigen, die Mobbing begünstigen.
- E&W: Und wenn die Schulleitung Teil des Problems ist beziehungsweise selbst mobbt?
Bär: In so einem „Bossing“-Fall rät die Dienstvereinbarung Betroffenen, sich direkt an den örtlichen Personalrat zu wenden. Dieser wiederum kann dann Gespräche mit der Schulleitung führen oder gleich den nächst höheren Vorgesetzten einschalten. Auch Gleichstellungsbeauftragte oder Schwerbehindertenvertretungen kann man mit ins Boot holen.
- E&W: Die Dienstvereinbarung verpflichtet auch zur -Prävention, damit sich Mobbing gar nicht erst entwickelt. Ist das realistisch?
Bär: Je früher interveniert wird, desto besser. Das Zauberwort heißt transparente und wertschätzende Kommunikation. Leider stelle ich im Gespräch mit Personalräten immer wieder fest, dass der Fachkräftemangel und die zunehmende Überlastung an den Schulen dazu führen, dass der Ton rauer wird, anstatt genau hinzuschauen, wenn es Kolleginnen oder Kollegen nicht gut geht.
- E&W: Wie werden Lehrkräfte geschützt, wenn sie nicht von Kolleginnen und Kollegen, sondern von Schülerinnen und Schülern gemobbt werden?
Bär: Der Gesamtpersonalrat schaltet sich in der Regel nur dann ein, wenn Lehrkräfte in einem solchen Fall keine Rückendeckung von der Schulleitung bekommen. Wir sind auch im Gespräch mit dem Schulamt beim Thema Cybermobbing, wenn zum Beispiel Videos von Lehrkräften kursieren. Aber es gibt auch die pädagogische Seite, und man muss in jedem Einzelfall fragen: Ist es sinnvoll, die Polizei einzuschalten? Oder kann der Schulpsychologe klären? Häufig lässt sich auch gar nicht zurückverfolgen, wer der Täter oder die Täterin ist.