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Filmtipp

Es reicht nicht, eine gute Lehrerin zu sein

Eine junge Pädagogin will an ihrer Schule vieles anders und besser machen – und scheitert. „Das Lehrerzimmer“ ist ein authentischer Film, der sein Publikum zurück in die eigene Schulzeit beamt.

„Das Lehrerzimmer“ führt eindrucksvoll vor, mit welchen Herausforderungen nicht nur Nachwuchslehrkräfte konfrontiert sind und an wie vielen Fronten gekämpft werden muss.

 

Die junge Sport- und Mathelehrerin Carla Nowak (Leonie Benesch) tritt ihre erste Stelle an einem Gymnasium mit viel Engagement und Idealismus an. Sie ist fair und verständnisvoll und kommt im Klassenzimmer gut an. Nowak will frischen Wind in das angestaubte Bildungssystem bringen – im Unterricht, im Kollegium, in der ganzen Schule.

Denn dort gibt es Probleme, die über die Arbeit mit ihren Siebtklässlerinnen und Siebtklässlern hinausgehen. Es gab Diebstähle, verdächtigt wird ein Schüler mit Migrationshintergrund, der nach Ansicht der Lehrkräfte zu viel Geld im Portemonnaie hat. Auf das Klassensprecherteam wird Druck ausgeübt, den mutmaßlichen Täter preiszugeben.

Von Anfang an steht es Carla Nowak überdeutlich – und wunderbar anzuschauen – ins Gesicht geschrieben, dass ihr diese Methoden gegen den Strich gehen. Entschlossen, die Angelegenheit auf ihre Weise anzugehen, stellt sie dem Täter oder der Täterin mit dem eigenen Geldbeutel und der Webcam ihres Laptops eine Falle – und hat umgehend den Videobeweis, dass die Schulsekretärin zugegriffen hat.

Zwar ist die junge Pädagogin bemüht, die Sache diskret zu klären, doch fortan geht alles, was gut gemeint ist, nach hinten los. „Sie tut das Richtige und zugleich das Falsche“, kommentierte Regisseur İlker Çatak bei der Vorstellung des Films bei der Berlinale – hier feierte die Produktion Premiere. Es ist moralisch kompliziert.

Von jetzt auf gleich ist Carla Nowak die Böse, weil ihr heimliches Video nicht legal war. Weil die Sekretärin, die den Diebstahl bestreitet, beurlaubt wird. Weil ihr Sohn, der in Nowaks Klasse geht, gemobbt wird. Und schließlich hat die Lehrerin auch die Schülerschaft, für die sie alles tun will, gegen sich. In einem Interview mit der Schulzeitung wird sie aggressiv angegangen, mit dem veröffentlichten Artikel eskaliert die Lage.     

Authentizität ist Stärke des Films

„Das Lehrerzimmer“ führt eindrucksvoll vor, mit welchen Herausforderungen nicht nur Nachwuchslehrkräfte konfrontiert sind und an wie vielen Fronten gekämpft werden muss. Ein guter Lehrer oder eine gute Lehrerin zu sein, reicht nicht. Als Zuschauer fragt man sich, wie da eigentlich noch Unterricht gemacht werden soll.

All das ist spannend und bedrückend inszeniert, man fühlt mit Carla Nowak, ihrer Fassungslosigkeit und schließlich Verzweiflung so sehr mit, dass es irgendwann fast wehtut. Dennoch ist der fast nur im Schulgebäude spielende Film keine harsche Kritik des Schulsystems, sondern eher leise Beobachtung.

Die Stärke der Produktion im 4:3-Format ist, dass alles so echt wirkt und nicht nur die Sprüche der Lehrkräfte an die eigene Schulzeit erinnern. Das Publikum beschleicht nach rund 90 Minuten das mulmige Gefühl, dass das, was auf der Leinwand abläuft, zwar ein Spielfilm ist, an vielen Stellen aber einer Dokumentation gleicht.   

Vermarktet wird „Das Lehrerzimmer“ als „Werk über den Mikrokosmos Schule als Spiegel unserer Gesellschaft“ – und das mit Blick auf die angerissenen Themen Gerüchte, Vorurteile, Missverständnisse, Mobbing, Macht und Rassismus zu Recht.

Für Darstellerin Leonie Benesch ist der Film vor allem „ein kluger Kommentar zu unserer momentanen Debattenkultur“, wie die 32-Jährige bei der Berlinale sagte. „Wir werfen mit Überschriften um uns und mit 140 Zeichen, und alle haben eine starke Meinung zu allen Themen.“ Während in „Das Lehrerzimmer“ alle versuchten, Recht zu haben, gerate das eigentlich Wichtige aus dem Fokus: die Kinder und der Dialog mit ihnen.

Kinostart: 4. Mai 2023

Schulklassenvorstellungen sind möglich; dazu wenden sich Lehrkräfte an ihr Wunschkino.