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Erste Schritte auf dem Weg zum inklusiven Schulsystem

Behinderte und nichtbehinderte Kinder sollen künftig verstärkt gemeinsam lernen. Das bekräftigte Bundessozialminister Olaf Scholz (SPD) im Rahmen einer Konferenz zur Umsetzung der Rechte von Menschen mit Behinderung in Berlin. Parallel dazu hat Baden-Württemberg angekündigt, die Sonderschulpflicht abschaffen zu wollen.

Der baden-württembergische Kultusminister Helmut Rau (CDU) erklärte in Stuttgart, durch eine Reform des Sonderschulwesens sollten alle behinderten Kinder und Jugendlichen in seinem Bundesland Regelschulen besuchen können.

Laut Presseberichten bedeutet das aber nicht die Abschaffung der Sonderschulen. Diese würden in sonderpädagogische Bildungs- und Beratungszentren umgebaut und weitherhin Sonderschüler unterrichten. Künftig könnten jedoch die Eltern über den Lernort ihres Kindes entscheiden, nachdem sie von einem Expertengremium Vorschläge für Schultypen erhalten hätten. Allerdings könne wohl auch die Sonderschule der einzige Vorschlag des Gremiums sein.


"Nationaler Aktionsplan"

In Berlin kündigte Bundessozialminister Scholz einen "nationalen Aktionsplan" an, der eine langfristige Gesamtstrategie zur Umsetzung des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderung unter Einschluss aller Akteure und Handlungsebenen enthalten soll.

Artikel 24 des VN-Übereinkommens verlange von und in Deutschland ein Bildungssystem, in dem Schülerinnen und Schüler mit Behinderung eine qualitativ hochwertige Bildung erhalten und gemeinsam mit nicht behinderten Altersgenossen lernen, so Scholz. Praktisch bedeute dies mittel- und langfristig eine deutliche Reduzierung der Förderschulen, die Integration von behinderten Kindern und Jugendlichen in Regelklassen sowie die Ausstattung dieser Regelklassen mit geschulten Lehrkräften und Betreuern sowie angemessenen Lehr- und Lernmaterialien.

Etwa 84 Prozent - in Zahlen rund 400.000 - der Schüler mit Behinderungen werden derzeit in Deutschland auf Sonderschulen geschickt. "Das muss sich ändern", so Scholz. Eine echte Chance auf dem Arbeitsmarkt werde der Mehrzahl der Förderschüler verwehrt, kritisierte der Minister. Rund 80 Prozent von ihnen erreichten nicht einmal einen Hauptschulabschluss. Scholz forderte in diesem Zusammenhang: "Wir brauchen Schulen, die kein Kind einfach abschreiben."


Neue Aufgaben für Lehreraus- und fortbildung

Die stellvertretende GEW-Vorsitzende Marianne Demmer betonte im Rahmen der Konferenz, Lehrerinnen und Lehrer müssten in ihrer Ausbildung befähigt werden, mit heterogenen Lerngruppen und in multiprofessionellen Teams zu arbeiten. Die traditionelle schulartspezifische Ausbildung stehe dem entgegen, so Demmer.

Zudem bräuchten Regel- und Förderschullehrkräfte berufsbegleitend regelmäßige gemeinsame Fortbildungsmöglichkeiten. Durch die Reflexion der eigenen Praxis könnten sie ihr professionelles Selbstverständnis weiter entwickeln und z. B. Kenntnisse der Blindenschrift und Gebärdensprache erwerben.

"Gemeinsamer Unterricht soll für alle Jungen und Mädchen gut sein, ob mit oder ohne Behinderung" forderte die GEW-Vize. Niemand dürfe den Eindruck haben, über- oder unterfordert oder ungerecht behandelt zu werden. "Mittelfristig wollen wir eine vollständig inklusive Schule ohne Selektion und Aufteilung in unterschiedlich anspruchsvolle Schularten", so Demmer. "Wir brauchen eine bedarfsgerechte sonderpädagogische, sozialpädagogische und pflegerische Ressourcenzuteilung in den Regelschulen. Wir wollen keine 'Inklusion light' als Sparmodell."

Thöne: Inklusives Schulsystem kostengünstiger und leistungsfähiger

Dem vor allem von Seiten der Landesregierungen immer wieder vorgebrachten Argument, inklusiver Unterricht sei zu teuer, hatte GEW-Vorsitzender Ulrich Thöne tags zuvor am Aktionstag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen vehement widersprochen: "Es ist ein Märchen, dass ein inklusives Bildungssystem nicht zu finanzieren sei. Deutschland leistet sich beispielsweise ein teures, vielgliedriges Schulsystem. Es macht die Bundesrepublik zur Weltmeisterin in (sozialer) Auslese bei im internationalen Vergleich allenfalls mittelprächtigen Lernergebnissen."

Der Blick in andere Länder zeige, so Thöne, dass ein inklusives System zum Beispiel wegen möglicher Synergieeffekte kostengünstiger und leistungsfähiger sein und zudem für mehr Chancengleichheit sorgen könne.

"Die Unterschiedlichkeit der Kinder und Jugendlichen bietet Möglichkeiten, von denen alle Schülerinnen und Schüler in einem gemeinsamen Lernprozess profitieren können", erklärte der GEW-Vorsitzende. "Dazu brauchen wir insbesondere auch die Kompetenzen der unter den gegebenen Bedingungen an Sonder- und Förderschulen hervorragende Arbeit leistenden Lehrkräfte. Die Qualifikation der Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen soll künftig den Schülern aller Schulen zur Verfügung stehen.“