Was tun gegen Rechtsextremismus in der Schule?
„Einen Königsweg gibt es nicht“
Pädagoginnen und Pädagogen sind zunehmend mit rechtspopulistischen und rechtsextremen Einstellungen von Schülerinnen und Schülern konfrontiert. Wie sollen sie darauf reagieren? Fragen an den Politikwissenschaftler Prof. Wolfgang Schroeder.
- E&W: Herr Professor Schroeder, was kennzeichnet den Rechtspopulismus?
Prof. Wolfgang Schroeder: Zunächst müssen wir zwischen dem Populismus als rhetorischem Stilmittel und der Ideologie des Rechtspopulismus unterscheiden. Dass politische Sachverhalte vereinfacht dargestellt und dramatisiert werden, ist keine neue Erscheinung und taucht bei allen Parteien auf. Hingegen ist eine zentrale Grundlage rechtspopulistischer Denkweise die Gegenüberstellung zwischen einer homogen gedachten Bevölkerung, dem Volk, und einer politischen Elite, die als kosmopolitische diffamiert wird. Das „Volk“ wird dabei als ethnisch homogen betrachtet. Die Ablehnung und Ausgrenzung von Personen, die dieser Gruppe nicht angehören, ist ein weiterer wesentlicher Bestandteil rechtspopulistischen Denkens. In Abgrenzung zu einer In-Group wird eine Out-Group als feindliches Gegenüber konstruiert; zu dieser zählen zum Beispiel Migrantinnen und Migranten.
- E&W: Wo liegt der Unterschied zwischen Rechtspopulisten und Rechtsextremisten?
Schroeder: Im Rechtspopulismus wird ein quasi antagonistisches Verhältnis zwischen einer politischen „Elite“ und dem „Volk“ unterstellt. Dieses Verhältnis wird meist im Kontext des Grundgesetzes vorgetragen, wenngleich die Grenzen immer neu ausprobiert, gedehnt und überschritten werden. Gleichwohl bedienen sich Rechtspopulistinnen und -populisten meist einer weniger radikalen Rhetorik als rechtsextreme Gruppen. Meist haben sie kein geschlossenes rechtes Weltbild und stellen keinen offen antisemitischen Bezug zum Nationalsozialismus her. Der Übergang zwischen Rechtspopulismus und Rechtsextremismus ist jedoch häufig fließend.
„Zentrale Grundlage rechtspopulistischer Denkweise ist die Gegenüberstellung zwischen einer homogen gedachten Bevölkerung, dem Volk, und einer politischen Elite, die als kosmopolitische diffamiert wird. Das ,Volk’ wird dabei als ethnisch homogen betrachtet.“
- E&W: Was müssen Pädagogen und Pädagoginnen beachten, wenn sie im Unterricht mit rechten Meinungen von Schülerinnen und Schülern konfrontiert werden?
Schroeder: Jugendliche sind anfällig für populistische Deutungsmuster, wie verschiedene Jugendstudien zeigen. Pädagoginnen und Pädagogen sollten sich bewusst sein, dass sie sich gezwungenermaßen früher oder später mit diesem Phänomen auseinandersetzen werden müssen und dabei die Affinität eines Teiles der Jugendlichen zu rechtspopulistischen oder gar rechtsextremen Deutungsmustern berücksichtigen. In und um die Schulen haben sich mittlerweile rechte Subkulturen gebildet; verstärkt und flankiert durch die entsprechenden Social-Media-Kanäle. Lehrkräfte tragen eine besondere Verantwortung für den Erhalt demokratischer Werte, zu deren Wahrung sie sich in ihrem Diensteid sogar verpflichtet haben. Der Verbreitung von Positionen wie der Ablehnung von Minderheitenrechten sollte von ihrer Seite aus also mit professioneller Verantwortung begegnet werden. Deshalb müssen sie sich das nötige „Rüstzeug“ aneignen, um professionell mit solchen Meinungsäußerungen umgehen zu können.
- E&W: Wie sollte Lehrkräfte reagieren, wenn sie mit rechten Aussagen von Jugendlichen oder auch Eltern konfrontiert werden?
Schroeder: Der moralische Zeigefinger ist unzureichend, häufig sogar kontraproduktiv, unabhängig davon, wie abwegig die Äußerung auch sein mag. Jugendliche, deren politische Ansichten von pädagogischen Bezugspersonen nicht ernst genommen werden, können sich dadurch schnell bevormundet behandelt fühlen. Hinzu kommt, dass Lehrerinnen und Lehrer im rechtspopulistischen oder rechtsextremen Weltbild oft als Teil der „Elite“ angesehen werden, was die Gegnerschaft stabilisiert. Ratsam ist es, die entsprechenden Aussagen dialogisch aufzugreifen und mit den Jugendlichen in den Austausch zu gehen. In Form eines Einzelgesprächs können einzelne Aussagen gezielt hinterfragt werden. Es ist wichtig, den Kontakt aufrecht zu erhalten.
„Lehrkräfte tragen eine besondere Verantwortung für den Erhalt demokratischer Werte, zu deren Wahrung sie sich in ihrem Diensteid sogar verpflichtet haben.“
- E&W: Welche Strategie empfehlen Sie Bildungseinrichtungen?
Schroeder: Einen Königsweg gibt es nicht. Demokratie- und Medienkompetenz sowie ein Verständnis für die jugendspezifischen Entwicklungs- und Alltagsherausforderungen sind für die Auseinandersetzung mit dem Thema aber grundlegende Voraussetzungen. Ebenso ist es notwendig, sich mit den Beweggründen wie auch mit Social-Media-Strukturen und den rechtsextremen „Codes“ auseinanderzusetzen. So benutzt die rechte Szene bestimmte Hashtags und Emoji-Kombinationen, um sich in den Sozialen Medien zu vernetzen. Deshalb ist es wichtig, dass die pädagogischen (Lehr-)Inhalte immer wieder entsprechend angepasst werden. Bildungseinrichtungen sollten dabei berücksichtigen, dass wir es nicht mit einem Phänomen zu tun haben, das schnell wieder verschwinden wird.
Beutelsbacher Konsens
Demokratiebildung ist zentraler Bestandteil des staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrags der Schule. Die Landesschulgesetze beschreiben die Ziele. Lehrkräfte sollen demokratische Werte wie Würde und Gleichheit aller Menschen, Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität vermitteln.
Wenn es in der Schule um politische Bildung geht, müssen sich Lehrkräfte nicht neutral verhalten. Es ist wichtig, verschiedene Blickwinkel zu beleuchten. Lehrkräfte sollen auf Basis des Grundgesetzes eine klare Haltung gegen Rechtsextremismus, Antisemitismus, Gewaltverherrlichung und menschenverachtende Aussagen zeigen.
Oft fällt das Stichwort ’Beutelsbacher Konsens’. Er ist ein in den 1970er-Jahren formulierter Minimalkonsens für den Politikunterricht in Deutschland. Er darf nicht mit dem parteipolitischen Neutralitätsgebot des Staates verwechselt werden. Der Konsens formuliert drei zentrale didaktische Prinzipien politischer Bildung: das Überwältigungs- bzw. Indoktrinationsverbot, das Kontroversitätsgebot sowie das Ziel, dass Schüler*innen zur politischen Teilhabe befähigt werden sollen. Lehrkräfte dürfen ihre eigene politische Meinung ausdrücken, diese aber nicht als allgemeingültig darstellen. Kontroverse Themen müssen multiperspektivisch behandelt werden.
1. Überwältigungsverbot
Es ist nicht erlaubt, den Schüler – mit welchen Mitteln auch immer – im Sinne erwünschter Meinungen zu überrumpeln und damit an der „Gewinnung eines selbständigen Urteils“ zu hindern. Hier genau verläuft nämlich die Grenze zwischen Politischer Bildung und Indoktrination. Indoktrination aber ist unvereinbar mit der Rolle des Lehrers in einer demokratischen Gesellschaft und der – rundum akzeptierten – Zielvorstellung von der Mündigkeit des Schülers.
2. Was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, muss auch im Unterricht kontrovers erscheinen.
Diese Forderung ist mit der vorgenannten aufs engste verknüpft, denn wenn unterschiedliche Standpunkte unter den Tisch fallen, Optionen unterschlagen werden, Alternativen unerörtert bleiben, ist der Weg zur Indoktrination beschritten. Zu fragen ist, ob der Lehrer nicht sogar eine Korrekturfunktion haben sollte, d. h. ob er nicht solche Standpunkte und Alternativen besonders herausarbeiten muss, die den Schülern (und anderen Teilnehmern politischer Bildungsveranstaltungen) von ihrer jeweiligen politischen und sozialen Herkunft her fremd sind.
Bei der Konstatierung dieses zweiten Grundprinzips wird deutlich, warum der persönliche Standpunkt des Lehrers, seine wissenschaftstheoretische Herkunft und seine politische Meinung verhältnismäßig uninteressant werden. Um ein bereits genanntes Beispiel erneut aufzugreifen: Sein Demokratieverständnis stellt kein Problem dar, denn auch dem entgegenstehende andere Ansichten kommen ja zum Zuge.
3. Der Schüler muss in die Lage versetzt werden, eine politische Situation und seine eigene Interessenlage zu analysieren,
sowie nach Mitteln und Wegen zu suchen, die vorgefundene politische Lage im Sinne seiner Interessen zu beeinflussen. Eine solche Zielsetzung schließt in sehr starkem Maße die Betonung operationaler Fähigkeiten ein, was eine logische Konsequenz aus den beiden vorgenannten Prinzipien ist. Der in diesem Zusammenhang gelegentlich erhobene Vorwurf einer „Rückkehr zur Formalität“, um die eigenen Inhalte nicht korrigieren zu müssen, trifft insofern nicht, als es hier nicht um die Suche nach einem Maximal-, sondern nach einem Minimalkonsens geht.
Literaturtipp:
Tipps im Umgang mit rechten Äußerungen gibt das Buch Politische Bildung in reaktionären Zeiten – Plädoyer für eine standhafte Schule. Das Buch liefert Einblicke in die Schwierigkeiten, die sich im Umgang mit menschenfeindlichen Herausforderungen im schulischen Kontext ergeben. Anhand 32 realer Fallsituationen werden Handlungsmöglichkeiten aufgezeigt und diskutiert. Darüber hinaus bietet der Band grundlegende Informationen zur Vertiefung und geht dabei auch auf die wachsenden Gefahren rechtspopulistischer und rechtsextremer Argumentationsweisen ein. Ein eigener Teil des Buches beschäftigt sich mit Lösungsansätzen. Darin sind Argumentationshilfen für Alltagssituationen enthalten, aber auch Material für systemische Zugänge sowie zu schulorganisatorischen Fragen. Im Kapitel „Stolpersteine – oder was Sie unbedingt vermeiden sollten“ gehen die Autorinnen und Autoren auf häufige Reaktionsmuster ein, die man als Lehrkraft vermeiden sollte. Das Buch gibt es auch als kostenloses PDF beim Wochenschau Verlag, Frankfurt am Main.