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Guter Ganztag

Ein Zwischenschritt

Beim Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung in der Grundschule ab 2026 darf die pädagogische Qualität nicht auf der Strecke bleiben. Anmerkungen zum Eckpunktepapier der GEW für einen guten Ganztag.

Der Ganztag an Grundschulen muss kommen. Dafür ist aber noch viel zu tun. (Foto: Dominik Buschardt)

Als eine ihrer letzten Handlungen hat die vorherige CDU-/SPD-Bundesregierung im Sommer 2021 das „Gesetz zur ganztägigen Förderung von Kindern im Grundschulalter“ beschlossen. Verbunden mit diesem bildungs-, familien- und sozialpolitischen Vorhaben wird ab dem 1. August 2026 der stufenweise Rechtsanspruch auf Ganztagsförderung für Kinder der Schulklassen 1 bis 4 eingeführt.

Dessen Kerngedanke lautet, mehr Zeit für individuelle Förderung und bessere Teilhabechancen für alle Kinder zu ermöglichen. Damit soll der Ganztag einen Beitrag leisten, die strukturelle Bildungsungleichheit in der Bundesrepublik abzubauen. Zudem ist der Rechtsanspruch eine wichtige Voraussetzung, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie die Erwerbstätigkeit von Frauen auch nach der Institution Kita zu sichern.

Um dies möglich zu machen, haben viele Bundesländer in den vergangenen Jahren Fortschritte beim Ausbau der Betreuungs- und Ganztagsplätze in unterschiedlicher Form erzielt. Die Nachfrage übersteigt jedoch das Angebot weiterhin deutlich, und es gibt bundesweit große quantitative sowie qualitative Unterschiede zwischen den Ganztagsangeboten. Der Dreiklang von Bildung, Betreuung und Erziehung, der für die frühkindliche Bildung gilt, muss sich daher konsequent in der Ganztagsförderung der Kinder im Grundschulalter fortsetzen, wenn die ausgerufenen Ziele erfüllt werden sollen. Dies gilt unabhängig davon, ob der Ganztag im System der Schule bzw. auf dem Schulgelände oder in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe angeboten wird. Damit dies gelingen kann, brauchen die Träger der Jugendhilfe sowie Schulträger und Bundesländer qualitative Orientierung und einen Konsens, was einen guten Ganztag ausmacht.

12 Empfehlungen der KMK

Voller Spannung wurde daher das erste, lange angekündigte gemeinsame Arbeitstreffen der Kultusministerkonferenz (KMK) und der Jugendministerkonferenz (JFMK) am 12. und 13. Oktober 2023 erwartet. Die bildungspolitischen Erwartungen waren hoch, denn es galt, sich auf Empfehlungen zur Qualitätsentwicklung des Ganztags und zur Umsetzung des Ganztagsförderungsgesetzes zu verständigen. Zum ersten Mal wollten die zuständigen Ministerien der KMK und JFMK ein verbindendes Verständnis von Qualität im Ganztag entwickeln. Ein gemeinsames Papier kam nicht zustande.

Jedoch ist positiv zu bewerten, dass die KMK gemeinsame „Empfehlungen zur Weiterentwicklung der pädagogischen Qualität der Ganztagsschule und weiterer ganztägiger Bildungs- und Betreuungsangebote“ veröffentlicht hat. Die in dem Papier formulierten Qualitätsdimensionen müssen aus Sicht der GEW handlungsleitend für bestehende und neue Ganztagsangebote sein. In den Empfehlungen werden richtigerweise die Förderung und das Wohlbefinden der Kinder in den Mittelpunkt gestellt. Damit wird betont, dass allein ein Platz und ein erweiterter Zeitrahmen noch keine Wirkung im Sinne der Ziele des Ganztags entfalten können.

15 Eckpunkte der GEW

Alle zwölf Empfehlungen hält die GEW für richtig und wichtig. Jedoch ist festzuhalten, dass die KMK mit diesen keine Aussagen zu den erforderlichen Rahmen- und Arbeitsbedingungen macht, damit die pädagogische Qualität und tarifliche Eingruppierung der Beschäftigten sichergestellt werden können. Die Empfehlungen zielen auf die schulischen Angebote im Rahmen der Ganztagsschulen. Für Angebote, die in der Verantwortung der Kinder- und Jugendhilfe sowie der freien und öffentlichen Träger stehen (zum Beispiel Horte), sind die Empfehlungen nicht bindend. Auch werden keine Aussagen zu Zielstandards gemacht, die die Länder unter Berücksichtigung ihrer Ausgangslagen erreichen sollen. Die Qualität von Bildung, Erziehung und Betreuung im Ganztag wird aber maßgeblich von einer ganzheitlichen Entwicklung der Struktur- und Prozessqualität abhängen sowie dem gemeinsamen Bildungsverständnis aller beteiligten Professionen. Die GEW hat deshalb 15 Eckpunkte erarbeitet, die Qualitätsstandards für einen guten und zukunftsfesten Ganztag formulieren.

Bis zum Beginn des Rechtsanspruchs im August 2026 sind noch viele Fragen zu beantworten. Neben jenen der Fachkräftegewinnung und -sicherung gilt es, die KMK-Empfehlungen in die Praxis vor Ort zu übertragen. Dies wird regional sehr unterschiedlich verlaufen und das Engagement aller erfordern. Die KMK und die JFMK haben gemeinsam mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) den Auftrag, diese wichtige gesellschaftspolitische Aufgabe zu meistern. 

15 Punkte für einen guten Ganztag

Eine wichtige Ressource für einen pädagogisch und organisatorisch guten, inklusiven Ganztag ist Zeit. Tages- und Wochenabläufe sollten durch Rhythmisierung einen sinnvollen pädagogischen Wechsel verschiedenster Lernsettings und Lernformen sowie Persönlichkeitsentfaltung ermöglichen und den Kindern Zeit für Bewegung, Spiel, Entspannung und Freizeitaktivitäten geben. Formales, non-formales und informelles Lernen lassen sich dabei gleichermaßen über den ganzen Tag verteilen. Pädagogische Fachkräfte und Lehrkräfte in multiprofessionellen Teams brauchen feste und strukturell verankerte Zeitressourcen für die Vor- und Nachbereitung der Zusammenarbeit sowie für die gemeinsame Qualitätsentwicklung. Die Möglichkeit gemeinsamer Bearbeitung von Lerninhalten, Lernschwierigkeiten und individuellen Förderungsbedarfen und nicht zuletzt die Zusammenarbeit mit Eltern und außerschulischen Partnern müssen in die Arbeitszeit der Beschäftigten integriert sein. Hierfür ist es unerlässlich, gemeinsam mit allen Beteiligten eine verlässliche Zeitstruktur zu entwickeln, die möglichst alle Erfordernisse und Bedürfnisse aufgreift.

Lehrkräfte und pädagogische Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe haben durchaus unterschiedliche Perspektiven auf die Bildung und Erziehung junger Menschen, in mancher Hinsicht sogar einen unterschiedlichen Bildungsauftrag. Der Ganztag bietet die historische Gelegenheit, ein gemeinsames Bildungsverständnis zu entwickeln. In einer von Akzeptanz und Respekt zwischen den diversen Professionen geprägten Zusammenarbeit können in gemeinsamen Prozessen Leitbilder und Konzeptionen für die Schul- und Professionsentwicklung gestaltet sowie eine gemeinsame inklusive Haltung erarbeitet werden. Ein gemeinsames Bildungsverständnis bedeutet, dass alle Beteiligten ihre jeweilige Fach- und berufliche Handlungskompetenz einbringen, eine gemeinsame Verantwortung für die Klassen und Lerngruppen entwickeln und einen gemeinsamen Kompass haben. Zum Beispiel: alle Kinder und jungen Menschen zur Entfaltung ihrer Potenziale in einem inklusiven, demokratischen sowie an Kinder- und Menschenrechten orientierten Bildungswesen zu bringen.

Alle Kinder haben verbriefte Grundrechte. Diese Rechte umzusetzen, erfordert neben der persönlichen und klaren Haltung der Fach- und Lehrkräfte auch die strukturelle Verankerung im System. Demokratisierung und Teilhabe sind dabei als Querschnittsaufgabe der ganzen Schule zu sehen. Ein demokratischer und inklusiver Ganztag benötigt partizipative Strukturen und Beteiligungsmöglichkeiten für Kinder als gemeinsames Angebot von Schule und Jugendhilfe. Das geht weit über die institutionelle Beteiligung - etwa in Form eines „Klassenrats“ oder einer Schüler*innenvertretung - hinaus und erfordert Transparenz und Verbindlichkeit. Demokratie muss für alle erfahrbar und erlebbar sein und bei allen Themen, die die Kinder betreffen, umgesetzt werden. Alle Beteiligten – Kinder, Eltern, Fachkräfte und Lehrkräfte – sind als aktive Mitgestalter des Lebensortes Schule in dessen Weiterentwicklung einzubeziehen und ernst zu nehmen. Funktionierende und abgesicherte Personalvertretungen und Mitbestimmungsgremien - im besten Fall professionsübergreifend - haben bei der Gestaltung eines guten Ganztags eine Schlüsselfunktion.

Die Verpflegung in der Schule ist eine Gemeinschaftsaufgabe von Schule und Schulträger und muss kostenlos sein. Die Qualität der Mahlzeiten sowie die zeitlichen und räumlichen Rahmenbedingungen können kommunikative, gesundheitliche, ökologische und soziale Dimensionen und nicht zuletzt das Wohlbefinden der Kinder in der Schule fördern. In diesem Sinne ist die Gestaltung der Mahlzeiten als pädagogische Aufgabe zu begreifen und schließlich als Teil der fachübergreifenden Ernährungs- und Gesundheitsbildung. Mit Blick auf Kinder aus sozio-ökonomisch benachteiligten Familien sind gesundheitsförderliche Essensangebote auch eine Maßnahme, um soziale Ungleichheit zu verringern. Die Verpflegung ist qualitativ hochwertig, nachhaltig und mindestens nach den DGE-Qualitätsstandards (Deutsche Gesellschaft für Ernährung) auszurichten. Ein konstanter Zugang zu Trinkwasser und gesunden Zwischenmahlzeiten muss gewährleistet werden. Sich an den Bedarfen der Kinder zu orientieren und unterschiedliche Ernährungsgewohnheiten, kulturelle Ernährungskonventionen sowie individuelle Bedürfnisse zu berücksichtigen, muss selbstverständlich sein.

Die Umgebung, in der Lernerfahrungen gesammelt werden, hat einen starken Einfluss auf das individuelle Wohlbefinden der Lernenden. Mit Blick auf das ganztägige Betreuungsangebot an Grundschulen wird diese immer stärker zum Lebens- und Lernort der Kinder. Es ist daher unabdingbar, pädagogisch sinnvolle, inklusive und kindorientierte Räume und Ausstattung sicherzustellen, um Lehr- und Fachkräfte in ihrer täglichen Arbeit zu unterstützen. Für einen inklusiven Ganztag muss es Spiel-, Sozial- und Therapieräume geben, die an den Bedürfnissen der Kinder ausgerichtet sind. Des Weiteren braucht es für alle Beschäftigten Arbeits-, Team-, Beratungs- und Besprechungsräume für die Zusammenarbeit mit Eltern sowie Räume für die Kooperationspartner aus dem mittelbaren Sozialraum. Ebenfalls große Bedeutung haben Rückzugs-, Bewegungs- und Erholungsräume im inneren und äußeren Schulbereich. Dort wo sie noch nicht vorhanden sind, bedarf es Räumlichkeiten zur Verpflegung und Ernährung. Raumkonzepte sollten gemeinsam von allen Akteur*innen geplant und gestaltet werden, um den unterschiedlichen Bedarfen und Bedürfnissen an den Lern- und Lebensort Ganztag gerecht zu werden. 

Schule als „Lebens- und Lernort“ bedeutet immer auch die Öffnung in den mittelbaren Sozialraum im Stadtteil bzw. in der Gemeinde. Schule wird dabei einerseits selbst zum Ort für Begegnungen und Erfahrungen für Kinder, Eltern und Zivilgesellschaft. Andererseits begreift sie sich als Teil eines sozialräumlichen Netzwerks, das die bedarfsorientierte und systemische Kooperation mit außerschulischen Kooperationspartnern wie Vereinen, Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe und sozialpädagogischen Unterstützungssystemen im Sinne der Kinder stärkt. Durch Kooperationen, Exkursionen, Erkundungen und Projekte wird der mittelbare Sozialraum selbst zum Ort von Entdeckungen, Lern- und Lebenserfahrungen, den die Kinder sich mit der Unterstützung der pädagogischen Fachkräfte und der Lehrkräfte erschließen. Die Handlungs- und Kooperationsmöglichkeiten gilt es, für alle im Ganztag Beteiligten transparent zu kommunizieren und niederschwellig darzustellen, z.B. durch mehrsprachige Informationsbroschüren. Die vielfältigen – vor allem informellen - Gelegenheiten zur Kommunikation und Interaktion zwischen Kindern, pädagogischen Fachkräften, Lehrkräften und dem schulischen Umfeld wirken sich positiv auf die Schul- und Vertrauenskultur sowie auf das Wohlbefinden von Kindern aus.

Viele Kolleg*innen im außerschulischen Ganztag arbeiten unter prekären Bedingungen. Bei den sozialpädagogischen Fachkräften sind geringfügige Beschäftigung und der Zwang einer zusätzlichen Erwerbstätigkeit keine Seltenheit. Dies führt dazu, dass insbesondere Frauen, die mit Abstand größte Gruppe im Ganztag an Grundschulen, akut von Altersarmut bedroht sind und das Arbeitsfeld für zukünftige Kolleg*innen kaum attraktiv ist. Auf Seiten der Lehrkräfte führen zunehmende pädagogische, Qualitätsentwicklungs- und Verwaltungsaufgaben sowie steigende gesellschaftliche und psycho-soziale Herausforderungen zu vermehrten Belastungen, höheren Krankenständen oder einem frühzeitigen Ausstieg aus dem Beruf.

Ein guter Ganztag braucht aber die besten Arbeitsbedingungen! Dazu gehört die – institutionen- und lernortübergreifend konzipierte - Ausweitung existenzsichernder Arbeitsverhältnisse für Beschäftigte in freiwilliger Teilzeit sowie regulärer Vollzeitarbeitsverhältnisse. Eine Bezahlung nach Beamtenbesoldung und nach Tarifverträgen von Ländern bzw. Bund und Kommunen muss dabei für alle Beschäftigten gewährleistet sein. Alle Bereiche des Ganztages brauchen eine gute Personalausstattung mit Vertretungsreserven, die eine bedarfsgerechte Fachkraft-Kind-Relation ebenso zulassen wie lernförderliche Klassengrößen. Die Orientierung an kindgerechten Klassen- und Gruppengrößen erhöht die Möglichkeiten, Kinder individuell zu fördern, und damit das Wohlbefinden der Kinder und des pädagogischen Personals zu erhöhen.

Die regional unterschiedlichen Ausprägungen des Ganztags, der erweiterte Bildungs- und Erziehungsauftrag von Schule und die Heterogenität von Gruppen erfordern gerade im Ganztag Beschäftigte, die vielfältige Kompetenzen mitbringen und die individuellen Bedarfe der Kinder und deren Familien in den Mittelpunkt stellen. Damit dies gelingt, bedarf es neben den notwendigen Rahmenbedingungen vieler, gut ausgebildeter Beschäftigter. Lehrkräfte, Erzieher*innen, Sozialpädagog*innen, Kindheitspädagog*innen, Schulsozialarbeiter*innen, Sozialarbeiter*innen, Sonder- und Förderschulpädagog*innen sowie therapeutische Fachkräfte bringen in multiprofessionellen Teams ihre jeweiligen Perspektiven und Kompetenzen ein. Die Kooperation der verschiedenen Professionen muss durch ausreichend Zeit für Absprachen sowie durch konzeptionell verankerte Teamsitzungen und gemeinsame Fortbildungen innerhalb der Arbeitszeit sichergestellt sein. Durch gute Rahmenbedingungen und eine von Respekt und Wertschätzung geprägte Kommunikation lassen sich eine gemeinsame pädagogische Haltung, eine gemeinsame Verortung aller Berufsgruppen in der Einrichtung Schule und nicht zuletzt eine enge Verzahnung von Bildung, Erziehung und Betreuung erreichen. Im Sinne einer Qualitätssicherung bei der Auswahl der externen Fachkräfte muss dabei auf Qualitätsstandards des achten Sozialgesetzbuchs geachtet werden.

Qualität im Ganztag ist nur mit einer hochwertigen Qualifikation sicherzustellen. Ausbildung und Qualifizierung der Lehrkräfte und pädagogischen Fachkräfte müssen sich an Rahmenvereinbarungen der Kultusministerkonferenz (KMK) und an den Deutschen Qualifikationsrahmen (DQR) halten. Sie sind mit Blick auf den Ganztag gemeinsam von Bund und Ländern bzw. von KMK und Jugend- und Familienministerkonferenz weiterzuentwickeln. Angehende Lehr- und Fachkräfte sollten z.B. bereits in der Ausbildung auf die gemeinsame Arbeit in multiprofessionellen Teams im Ganztag vorbereitet werden und perspektivisch die Gelegenheit haben, Teile der Ausbildung gemeinsam zu absolvieren. Einer bereichsübergreifenden Professionalisierung dienen zudem gemeinsame Fort- und Weiterbildungsangebote für alle im Ganztag arbeitenden Berufsgruppen, z.B. durch schul-, sozial- und fachpädagogische Bundes- und Landesinstitute oder auch durch Universitäten. Zur Sicherung der Qualität gehören zudem bundesweit verbindliche Regelungen zur Anerkennung von Qualifikationen und Kompetenzen, die die pädagogischen Fachkräfte in den verschiedenen Bundesländern oder auch im Ausland erworben haben. Auch die Anerkennung, Einordnung und Vergleichbarkeit non-formaler und informeller Kompetenzen und Erfahrungen auf der Grundlage des DQR nimmt für den Zugang zu Qualifikationsprozessen eine Schlüsselrolle ein.

Ganztagsschulen müssen in die Ausbildung der angehenden Lehrkräfte und pädagogischen Fachkräfte als praxisnahe Lernorte curricular einbezogen werden. Um die Motivation der Beschäftigten für die Weiterqualifikation zu erhöhen, müssen Karrierewege und Funktionsstellen im Ganztag rechtlich und tarifpolitisch sichergestellt und Teil der Arbeitszeit sein. Für alle Berufsgruppen im Ganztag müssen berufsbegleitende Qualifikationen angeboten und strukturell wie personell verankert werden.

Der qualitative und quantitative Ausbau der Grundschulen zu Ganztagseinrichtungen hat eine gleichstellungspolitische Dimension: Er trägt dazu bei, die Doppelbelastung insbesondere der Frauen durch Erwerbs- und Familienarbeit zu verringern, und ermöglicht eine höhere Erwerbsbeteiligung und damit die eigenständige Existenzsicherung. Ein inklusiver Ganztag sensibilisiert und unterstützt geschlechtergerechte und vorurteilsbewusste Pädagogik im Sinne einer offenen und demokratischen Gesellschaft der Vielfalt. Ganztag an Grundschulen fördert die Umverteilung unbezahlter Sorgearbeit zwischen den Geschlechtern und unterstreicht die Möglichkeit für Männer, ihre Arbeitszeit zu reduzieren und mehr Verantwortung in der Familie zu übernehmen. Gleichzeitig kann die zu erwartende hohe Nachfrage der erwerbstätigen Eltern an einem Ganztagsangebot die Perspektive auf die Bildungseinrichtung Ganztagsschule positiv verändern und somit mittelbar die Attraktivität des Berufsfeldes steigern. 

Um den Rechtanspruch auf den Ganztag an Grundschulen kindzentriert, bedarfsgerecht und ressourcenorientiert umzusetzen, braucht es eine datenbasierte Planung des quantitativen und qualitativen Ausbaus der personellen Infrastruktur. Nach wie vor ist jedoch nicht bekannt, wie viele Kinder die diversen Angebote des Ganztages nutzen und welche Fachkräfte in den unterschiedlichen Angeboten tätig sind. Bislang wird in keiner einschlägigen amtlichen Statistik das Personal im Ganztag systematisch erfasst. Länder und Kommunen müssen daher zeitnah die evaluationsfähigen Datengrundlagen liefern, um eine quantitative wie qualitative Koordinierung der Bedarfe sicherzustellen.

Der Bund unterstützt die Länder bis Ende 2027 beim Aufbau des Ganztags an Grundschulen mit fast drei Milliarden Euro, die hauptsächlich für bauliche Investitionen in Schulen und kommunalen Bildungseinrichtungen und teilweise für Betriebskosten verausgabt werden dürfen. Die Verteilung der Bundesmittel erfolgt nach dem „Königsteiner Schlüssel“, der jedoch sozial nicht ausgewogen ist und regionalen Bedarfen nicht gerecht wird. Ein guter Ganztag erfordert, neben den finanziellen Spielräumen für Kommunen, eine nachhaltige und nach sozialen Indikatoren gestaltete Verteilung der Gelder, damit Ungleiches auch ungleich behandelt werden kann. Die Mittel müssen dort ankommen, wo sie am dringendsten gebraucht werden: in benachteiligten Stadtvierteln, Regionen und Schulen. Zudem ist eine langfristige Planungssicherheit im Zusammenspiel von Bund, Ländern und Schulträgern auch über 2027 hinaus notwendig.

Bislang hat der Gesetzgeber darauf verzichtet, eindeutige und verbindliche Qualitätskriterien für die ganztägige Bildung, Betreuung und Erziehung im Ganztag zu formulieren. Diese müssen Ziele und Erwartungen an den Ganztag klären, Kinderrechte und -schutz in den Mittelpunkt stellen, als handlungsleitender Rahmen für alle Länder dienen und zugleich unterschiedliche Formen der Umsetzung vor Ort ermöglichen. Die GEW setzt sich dafür ein, dass ein gemeinsames Qualitätsverständnis verbindlich in allen Landesschulgesetzen verankert wird.

Die Schulentwicklungs- sowie die Kinder- und Jugendhilfeplanung müssen integriert und eng abgestimmt arbeiten. Der Aufbau von Kooperationsstrukturen zwischen Schule und Jugendhilfe ist für einen guten Ganztag unerlässlich. Ebenso bedarf es einer kommunalen Verzahnung der Schul- und Jugendhilfeausschüsse, die die lokalen Rahmenbedingungen gestalten können. Zudem sind Qualitätsentwicklung, -sicherung und -evaluation vorzusehen, die sowohl intern als auch extern begleitet sichergestellt.

Um gemeinsam vor Ort einen guten Ganztag zu gestalten, müssen Schulaufsichtsbehörden und die Landesjugendämter ihre Rollen weiterentwickeln und den Bedarfen der bildungspolitischen Entwicklungen anpassen. Die GEW empfiehlt gemeinsame Austauschformate auf der Ebene der übergeordneten Landesbehörden zur Steuerung von Entwicklungen und Ressourcen. Diese Steuerungsprozesse sollten durch entsprechend weiterqualifizierte Schulleitungen bzw. Schulleitungsteams partizipativ begleitet und umgesetzt werden. Die Schulleitungen und Beschäftigten im Ganztag benötigen landes- und bundespolitische „Leitplanken“ für Qualität“, die auf dreierlei basieren: auf dem politischen und gesellschaftlichen Vertrauen in die Kompetenzen und Fähigkeiten des schulischen Personals, auf ausreichend Raum für eigenständige Konzepte sowie auf der Partizipation und Mitbestimmung aller Lehr- und Fachkräfte und nicht zuletzt der Schulgemeinde im Ganztag.