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Deutscher Schulpreis

Eichendorffschule in Erlangen ausgezeichnet

Die Mittelschule in Bayern hat die Jury durch ihr pädagogisches Konzept einer „anregenden Lernumgebung“ überzeugt. Die Laudatio hielt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.

Die Eichendorffschule in Erlangen wurde mit dem Deutschen Schulpreis 2023 ausgezeichnet. (Foto: Max Lautenschläger)

Der Deutsche Schulpreis ging in diesem Jahr an die Eichendorffschule in Erlangen. In der Begründung wird unter anderen gelobt, dass die Mittelschule durch ihr pädagogisches Konzept „eine anregende Lernumgebung“ biete, die insbesondere benachteiligten Kindern und Jugendlichen neue Perspektiven eröffne und damit eine Ausnahme im Freistaat darstelle. In Bayern entspricht die Mittelschule der früheren Hauptschule. Die Rede bei der Preisverleihung Mitte Oktober in Berlin hielt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD).

„Sie alle haben es gelesen und gehört: In den vergangenen Tagen sind die Namen der diesjährigen Nobelpreisträger verkündet worden. Unsere Preisverleihung heute passt also ziemlich gut in die Zeit. Denn der Deutsche Schulpreis ist ja so etwas wie der Nobelpreis unter den Schulpreisen: Die bekannteste und bedeutendste Auszeichnung, die eine Schule in unserem Land gewinnen kann. Entsprechend groß ist die Spannung hier im Saal, besonders natürlich bei Ihnen, den Finalistinnen und Finalisten! Und ich weiß, dass jetzt auch in Ihren Heimatorten viele Mitschülerinnen, Kollegen und Eltern am Bildschirm mitfiebern. Ihnen allen auch von mir ein ganz herzliches Willkommen zur Preisverleihung hier in Berlin!

Ein paar Minuten müssen Sie sich noch gedulden, aber eins steht jetzt schon fest: Sie alle gehören zu den besten und kreativsten Schulen unseres Landes. Sie zeigen, was engagierte Schulleitungen und Lehrkräfte alles bewegen können, auch und gerade unter schwierigen Bedingungen. Sie haben den Unterricht neu gestaltet, Sie haben die Schulgemeinschaft gestärkt und sind jedem Schüler und jeder Schülerin besser gerecht geworden. Ich finde: Darauf können Sie sehr stolz sein! Dieses Schulpreis-Finale ist Dank und Anerkennung für Ihre Leidenschaft, Ihren Mut, Ihre Tatkraft. Und diesen Dank, diese Aufmerksamkeit haben Sie sich alle mehr als verdient!

Der Deutsche Schulpreis rückt Vorbilder ins Licht, aber er soll Probleme nicht in den Schatten stellen. Und seien wir ehrlich: Probleme gibt es an unseren Schulen reichlich viele! Es herrschen Mangel, Ungerechtigkeit und riesige Klassenunterschiede. Wir sind weit, viel zu weit davon entfernt, dass jedes Kind die Unterstützung bekommt, die es braucht.

In unserem Land fehlen tausende Lehrerinnen und Lehrer; viele Schulleiterstellen sind unbesetzt; es mangelt an Sprachförderkräften, Sozialpädagoginnen, Verwaltungsassistenten. Oft sind ausgerechnet die Schulen am schlechtesten ausgestattet, die am meisten leisten müssen: Schulen in ärmeren Stadtvierteln oder Gemeinden, deren Schüler besonders viel Förderung brauchen, weil sie aus schwierigen Familienverhältnissen kommen oder weil ihre Eltern sie nicht unterstützen können.

Die Folgen sind dramatisch: Jedes fünfte Kind in unserem Land kann am Ende der Grundschule nicht gut lesen, schreiben und rechnen. Zehntausende Jugendliche verlassen die Schule Jahr für Jahr ohne Abschluss. Und besonders viele Kinder, die in der Schule den Anschluss verlieren, stammen aus armen oder bildungsfernen Elternhäusern oder sprechen zu Hause kaum oder gar kein Deutsch.

Seit Jahren schon wissen wir: Ob ein Kind in der Schule Erfolg hat oder nicht, das hängt in unserem Land besonders stark davon ab, wo es herkommt. Unser Schulsystem verfestigt und verschärft zu oft soziale Unterschiede, statt sie auszugleichen. Und obwohl wir das wissen, geraten immer mehr Kinder, die von Haus aus benachteiligt sind, in der Schule ins Hintertreffen – und lernen nicht das, was sie brauchen, um später im Berufsleben und in der Gesellschaft Fuß zu fassen.

Wenn wir so weitermachen, wird die Gruppe der Abgehängten von Jahr zu Jahr größer. Das wäre beschämend, weil wir die Zukunft von hunderttausenden Kindern gefährden. Und es wäre auch unklug, weil wir einen guten Teil unserer Zukunft verspielen!

Es ist schon grotesk: Wir alle erleben täglich, dass schon jetzt überall Fachkräfte fehlen; wir wissen, dass wir in den kommenden Jahren noch mehr qualifizierte junge Menschen brauchen, um unser Land weiter zukunftsfest zu machen, den Klimawandel zu stoppen und Hightech- und Industriestandort zu bleiben. Wir beobachten eine Fragmentierung der Gesellschaft, einen Verfall der Debattenkultur, einen Rückgang des Vertrauens in die Demokratie. Viele Lehrerinnen und Lehrer zerreißen sich, ich weiß das. Aber immer noch lassen wir Talente verkümmern und frustrieren junge Menschen, weil wir ihnen keine faire Chance auf einen Aufstieg durch Bildung bieten!

Wie kann das sein? Ich habe den Eindruck, dass die Schuldebatte in unserem Land geradezu ritualisiert ist: Eine Studie erscheint, der öffentliche Aufschrei ist groß, es werden Aufbrüche gefordert, Bildungsgipfel einberufen, Schuldzuweisungen gemacht – nur ändern tut sich wenig, bis dann die nächste Studie kommt und alles wieder von vorn beginnt. In kaum einem anderen Politikfeld ist die Kluft zwischen Wissen und Handeln so groß. Ich glaube: Wir haben kein Erkenntnisproblem, wir haben ein Umsetzungsproblem!

„Jedes Kind in unserem Land soll am Ende der vierten Klasse lesen, schreiben und rechnen können.“

Aber das ist nicht das Einzige: Kaum eine andere öffentliche Institution ist so sehr Adressat von gesellschaftlichen Heilungserwartungen wie die Schule. Wo immer Defizite im gesellschaftlichen Miteinander registriert werden – ob bei Sozialverhalten, der Integration, Umweltbewusstsein, Ernährungsfragen und vielem anderen mehr –, überall soll Schule aushelfen und andernorts Versäumtes nachliefern. Und in einer Zeit, in der neben Elternhaus und Schule mit den sozialen Medien ein dritter, übermächtiger Akteur getreten ist, geraten Lehrerinnen und Lehrer noch mehr an die Grenzen ihrer Möglichkeiten.

Wir müssen ausbrechen aus manchen Routinen der bildungspolitischen Debatten! Wir brauchen mehr gute Schulen, und wir brauchen sie überall in unserem Land. Wir können uns keine einzige schlecht funktionierende Schule leisten!

Es ist nicht Aufgabe des Bundespräsidenten, sich in die tagespolitische Debatte einzumischen oder gar Schulpolitik zu betreiben. Aber der Bundespräsident kann und darf nicht neutral sein, wenn es um die Zukunft unseres Landes und unserer Demokratie geht! Deshalb will ich heute drei Ziele nennen, an denen wir uns jetzt orientieren müssen.

Das wichtigste Ziel zuerst: Jedes Kind in unserem Land soll am Ende der vierten Klasse lesen, schreiben und rechnen können. Wer es bis dahin nicht gelernt hat, lernt es auch später oft nicht mehr richtig. Und der hat es schwer, seine Talente zu entdecken, ein eigenständiges Leben aufzubauen, ein selbstbewusster Bürger zu werden!

Um dieses Ziel zu erreichen, müssen wir die Schulen am besten ausstatten, deren Kinder am meisten Unterstützung brauchen. Gerade dort brauchen wir mehr Lehrkräfte – und die besten! Gerade dort müssen wir Lehrerinnen und Lehrer entlasten, damit sie sich auf ihre Kernaufgabe konzentrieren können: den Unterricht! Gerade dort brauchen wir die stärksten Teams, die meisten Schulbegleiter, die beste Sprachförderung. Und gerade dort brauchen die Schulleitungen noch mehr Gestaltungsfreiheit! Haben wir doch den Mut, die Schulen einfach mal machen zu lassen! Was in ihnen steckt, das sehen wir hier beim Deutschen Schulpreis.

Es ist eine gute Nachricht, dass Bund und Länder sich auf einen Kompromiss beim Startchancenprogramm geeinigt haben. Meine Bitte an die verantwortliche Politik: Sorgen Sie jetzt schnell dafür, dass endlich etwas bei den Schulen ankommt! Und setzen Sie den eingeschlagenen Weg dann gemeinsam fort! Wir müssen jetzt noch mehr tun, um wirklich alle benachteiligten Kinder zu erreichen!

„You have to unlock our potential“, sagte mir letzte Woche ein junger Mann in Washington, der als Kind indischer Einwanderer in die USA gekommen war und stolz war auf seinen Universitätsabschluss. Barrieren einreißen, die dem Aufstieg durch Bildung entgegenstehen, das haben auch die jungen Menschen in unserem Land verdient, und wir als Land sind es uns schuldig.

„Jede Schule in Deutschland muss eine Schule der Demokratie sein. Ein Ort, an dem Schülerinnen und Schüler lernen, einander mit Respekt zu begegnen.“

Das zweite Ziel lautet: Jede Schule in unserem Land soll zu einem Heimatort werden. Alle, die dort lernen und arbeiten, sollen gern in die Schule gehen – Schülerinnen und Schüler ebenso wie Lehrerinnen und Lehrer. Und das erreichen wir nicht dadurch, dass wir auf Anspruch und Leistung verzichten, ganz im Gegenteil. Wir müssen dafür sorgen, dass sich jeder an seiner Schule ernstgenommen, anerkannt und wertgeschätzt fühlt – als Teil der Schulgemeinschaft und als Teil unserer Gesellschaft.

Und das wichtigste Zeichen von Wertschätzung ist eben eine gute Ausstattung, sind gute Lern- und Arbeitsbedingungen. Dazu gehören nicht nur moderne Technik, sondern auch eine Umgebung, in der sich Schülerinnen und Schüler wohlfühlen.

Ich bin überzeugt: Wenn diese Wertschätzung an unseren Schulen zu spüren ist, dann werden sich auch wieder mehr junge Menschen für den Lehrerberuf begeistern. Und Begeisterung für diesen schönen, erfüllenden und unentbehrlichen Beruf, die brauchen wir jetzt überall in unserem Land!

Und drittens: Jede Schule in Deutschland muss eine Schule der Demokratie sein. Ein Ort, an dem Schülerinnen und Schüler lernen, einander mit Respekt zu begegnen, aufeinander Rücksicht zu nehmen, Konflikte mit Argumenten auszutragen, Verantwortung für sich selbst und für andere zu übernehmen. Ein Ort, an dem junge Menschen das Miteinander in unserer vielfältigen Gesellschaft einüben. Jeden Einzelnen in seiner Besonderheit fördern, den Zusammenhalt der Verschiedenen stärken. Das muss der Leitsatz unserer Schulen sein.

Diese drei Aufgaben halte ich für vordringlich. Diese drei Ziele müssen wir erreichen. Jedem Kind bis zum Ende der vierten Klasse Lesen, Schreiben und Rechnen beibringen; jede Schule so ausstatten, dass Schüler und Lehrkräfte gern hingehen; jede Schule zu einem Ort des Respekts und der Toleranz machen – das ist anspruchsvoll, ja. Aber es ist zu schaffen! Und daran sollten wir Schulpolitik in den kommenden Jahren messen!

Schule kann sich verändern! Sie alle sind das beste Beispiel dafür, wie Schule in unserem Land gelingen kann. Sie alle zeigen: So viel Kreativität, so viel Tatkraft, so viel Leidenschaft, so viel Potenzial steckt in unseren Kindern, in unseren Schulen, in unserem Land! Bringen wir das endlich zum Strahlen, holen wir es aus dem Schatten ins Licht!

Sie alle machen Mut, dass wir die Dinge in unserem Land zum Besseren verändern können. Ich wünsche mir, dass Sie andere inspirieren und Ihre Ideen und Erfolge jetzt Schule machen. Und vor allen Dingen will ich Ihnen und den vielen anderen, die sich an unseren Schulen und Kitas engagieren, heute meinen Dank sagen: Es ist großartig, was Sie Tag für Tag leisten. Herzlichen Dank für Ihren großen Einsatz!

Und jetzt wollen wir endlich hören, wer das Rennen gemacht hat und eine der Trophäen mit nach Hause nehmen darf. Ich freue mich auf die Preisverleihung, und ich freue mich auf Sie!“

Hauptpreis von 100.000 Euro

Der Deutsche Schulpreis wird seit 2006 von der Robert Bosch Stiftung und der Heidehof Stiftung für eine besonders gute Schulqualität vergeben. Bewertet werden insgesamt sechs Kategorien: „Leistung“, „Umgang mit Vielfalt“, „Unterrichtsqualität“, „Verantwortung“, „Schulklima, Schulleben und außerschulische Partner“ sowie „Schule als lernende Institution“. Der Hauptpreis ist mit 100.000 Euro dotiert. Neben der Eichendorffschule wurden in diesem Jahr noch sechs weitere Schulen ausgezeichnet (dotiert mit jeweils 30.000 Euro).