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Gleichstellung in der Bildung

Dranbleiben, beharrlich sein

Gleichstellungsbeauftragte gibt es seit 30 Jahren in allen Bundesländern. Wie sieht ihr Alltag aus, und was haben sie bislang erreicht? Eine Stippvisite in Berlin, Bremen und Leipzig.

Gleichstellungsarbeit funktioniert am besten im Team. Davon sind Elke Gabriel, Gesamtfrauenvertreterin bei der Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie (li.), und ihre Stellvertreterin Friederike Peiser (re.) überzeugt. (Foto: Thomas Hedrich)

Elke Gabriel ist guter Stimmung an diesem eiskalten Berliner Sonnennachmittag. Eben hat sich die Gesamtfrauenvertreterin bei der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie mit einer Verantwortlichen über den Stand des neuen Frauenförderplans ausgetauscht und mit der Senatorin einen Termin für die erste berlinweite Frauenversammlung im März ausgelotet. Nun eilt sie durch die breiten Gänge der Bildungsverwaltung am Alexanderplatz. Zweiter Stock, einmal rechts, einmal links. Raum 2A 37. Jetzt ist Pressetermin: Was macht eigentlich eine Gesamtfrauenvertreterin? Und was kann sie bewegen?

Seit etwa 30 Jahren gibt es Frauenförder- und Gleichstellungsgesetze in Bund und Ländern. Sie verpflichten Einrichtungen im öffentlichen Dienst, Frauenbeauftragte ein- und Gleichstellungspläne aufzustellen. Heute hat jedes Bundesland ein Gleichstellungs- oder Frauenfördergesetz. Es gibt hauptamtliche und nebenberufliche Gleichstellungsbeauftragte, Beauftragte für Chancengleichheit in Kultusministerien, auf Bezirksebene, in Schulämtern, Schulen, von weiblichen Beschäftigten gewählte Frauenvertreterinnen. Zudem setzen sich Personalräte und ehrenamtliche Gleichstellungsbeauftragte für mehr Chancengleichheit im Bildungsbereich ein. Unterschiedliche Strukturen also, aber ein Ziel.

Bist du Feministin? Kannst du Widerstand aushalten?

Seit 2008 ist Gabriel Frauenvertreterin, erst auf Bezirks-ebene, jetzt für alle Berliner Schulen, gewählt jeweils für vier Jahre. Für Gerechtigkeit kämpfen, das treibt die Lehrerin um, seit sie denken kann. Im Studium engagierte sie sich gegen den Paragraphen 218 und gab feministische Zeitschriften heraus. Später waren es Themen wie Chancengleichheit für und Förderung von Mädchen an der Schule. Damals stellte ihr die Frauenvertreterin ihres Schulbezirks zwei Fragen: Bist du Feministin? Kannst du Widerstand aushalten? Gabriel nickte und stellte sich zur Wahl. Heute weiß die 59-Jährige: „Widerstand hält man am besten zu zweit aus. Das ist unser Rezept.“

Und deshalb sitzt heute Friederike Peiser, Gabriels Stellvertreterin, auf der anderen Seite des Besprechungstischs im Büro. Entscheidungen, Arbeit, Gespräche, alles läuft 50:50 im Team. Peiser ist gut 15 Jahre jünger als Gabriel, auch sie Lehrerin und vom Wunsch getrieben, etwas zu tun gegen all die Ungerechtigkeiten, die umso mehr auffallen, je genauer man hinschaut. Eine, die früher in Studienseminaren aufstand und sagte: Nein, das sehe ich anders. „Es hat mich gereizt, die Vogelperspektive der Verwaltung mit dem Kleinklein des Schulalltags zu tauschen“, sagt Peiser. „Und dort zu sitzen, wo ich Entscheidungen für mehr Gendergerechtigkeit beeinflussen kann.“

„Bei allen Entscheidungen müssen wir einbezogen werden“ (Elke Gabriel)

Gemeinsam spielen sich Gabriel und Peiser nun seit gut zwei Jahren die Bälle zu. Wie gelingt es, den Schulversuch „Jobsharing in Schulleitung“ durchzusetzen, der so wichtig ist, um Frauen mit Care-Aufgaben in Führungspositionen zu heben – und der doch von der Behörde abgewimmelt wird; das Landesbeamtengesetz lasse das angeblich nicht zu? Wie schafft man, dass Weiterbildungen für Erzieherinnen eingerichtet werden? Wie erreicht man, dass es mehr Funktionsstellen an Grundschulen gibt – statt den meist weiblichen Lehrkräften immer neue, unbezahlte Aufgaben nebenher zuzuschieben? Gabriel: „Oft ist es besser, geschickt vorzugehen, statt formal auf jedem einzelnen Schritt zu beharren.“ Gerade in einer unterbesetzten Verwaltung. Peiser: „Es gibt viele kluge Leute in der Behörde, aber wenig Raum für Innovation.“

Als Gesamtfrauenvertretung macht das Duo keine Einzelfallberatungen, Kern ihrer Arbeit ist der Blick auf die Strukturen. „Bei allen Entscheidungen müssen wir einbezogen werden“, erläutert Gabriel. Von der Ausschreibung der Schulleitungsstellen bis zur Einführung von Leistungszulagen für besonders engagierte Lehrkräfte. Wichtiges Instrument sind die Frauenförderpläne, die alle zwei Jahre aktualisiert werden. Sie klopfen zum Beispiel ab, wo Frauen unterrepräsentiert sind, und legen Quoten fest, wo der Frauenanteil wie erhöht werden muss.

„Auch das Thema Teilzeit kommt in Fahrt.“ (Friederike Peiser)

Die Zeiten, in denen Frauenvertreterinnen belächelt wurden, sind vorbei. Gabriel: „Alle wissen, dass sie uns einbeziehen müssen.“ Peiser: „Die Offenheit ist gewachsen.“ Gabriel: „Und doch bleibt die Diskriminierung von Frauen ein ungeliebter Nebenwiderspruch.“ Ein Zufall, dass ein Schulleiter „vergessen hat“, die Mail der einzigen Bewerberin zu öffnen – und diese dann frustriert die Bewerbung zurückzieht? Dass klassische Frauenberufe im Sekretariat so schlecht bezahlt werden? Dass ein Schulaufsichtsbeamter sich nach dem Bewerbungsgespräch an die Runde wendet: Schafft die das? Dass Frauen den Löwenanteil der Care-Arbeit übernehmen und daher in Teilzeit und kleine Renten rutschen?

Umso befriedigender sind die Erfolge. Endlich werden Fortbildungen für Schulleitungen für den Umgang mit sexueller Belästigung am Arbeitsplatz angeboten. Im September 2022 fand die erste Gleichstellungskonferenz mit allen Referatsleiterinnen und -leitern der Verwaltung sowie Frauenvertreterinnen der Berliner Bezirke statt. Eine neue Dienstvereinbarung gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz, die ein standardisiertes Vorgehen bei Beschwerden garantiert, wird vorbereitet. „Auch das Thema Teilzeit kommt in Fahrt“, so Peiser. „Die Schulen mussten Ende 2022 erstmals offenlegen wie sie die außer-unterrichtlichen Aufgaben – von Elternsprechtagen bis zur Vorbereitung von Festen – an ihrer Schule angemessen zwischen Lehrkräften in Teil- und Vollzeit verteilen.“

Beharrlich bleiben

Knapp 400 Kilometer Richtung Westen hat Maike Rullkötter gerade jede Menge zu tun. Die Grundschullehrerin arbeitet seit 2021 im dreiköpfigen Team der Frauenbeauftragten für die Schulen in Bremen, als „abgeordnete“ Mitarbeiterin. Regelmäßig fragen Frauen nach Rat: Welche Rechte habe ich bei der Gestaltung meiner Arbeitszeit? Wie viele Präsenznachmittage kann die Schule von mir als Teilzeitkraft verlangen? Was mache ich als Erzieherin, wenn ich Unterrichtsaufgaben übernehmen soll? Bei Konflikten begleitet Rullkötter Frauen zum Termin in die Schule. „Meist laufen die Gespräche freundlich und konstruktiv, aber immer ist es wichtig, den Frauen den Rücken zu stärken.“

Genauso wichtig ist die Arbeit in der Behörde selbst. Die Mitglieder der Frauenbeauftragten haben Sprechrecht in Personalversammlungen, entwickeln Leitlinien weiter, nehmen beratend an vielen Sitzungen der Behörde teil, prüfen Besetzungsvorschläge für Schulleitungsposten. Wurde korrekt ausgeschrieben, liefen die Auswahlgespräche fair? „Im Zweifelsfall können wir Widerspruch einlegen“, so Rullkötter. Und beharrlich bleiben. Es lohnt sich. Mittlerweile ist mindestens die Hälfte der Stellen in Bremer Schulleitungen mit Frauen besetzt, außer in Berufsschulen. Immer wieder macht das Team Vorschläge, wie sich die Arbeitsbedingungen an den Schulen verbessern lassen, damit etwa Teilzeit besser realisierbar ist. Mit Erfolg: Bald soll das Pilotprojekt „Jobsharing in der Schulleitung“ starten.

„Bis heute werden viele Fragen nicht als Geschlechterthemen wahrgenommen.“ (Alex Hanke)

Alex Hanke wünschte, sie könnte ähnliche Erfolge aus der Tasche ziehen: „Sie sprechen mit einer sehr frustrierten Frauenbeauftragten“, eröffnet sie das Gespräch. Seit vier Jahren leitet die Gymnasiallehrerin ehrenamtlich die Arbeitsgruppe Gleichstellung in der GEW Sachsen in Leipzig. Und seitdem begegnet ihr, wie sie sagt, vor allem eins: Desinteresse. „Außer am 8. März – wenn der Frauentag organisiert werden muss.“ Ansonsten heißt es meist: Wozu brauchen wir eine Gleichstellungsvertretung? Wir sind doch längst gleichgestellt! „Viele Ältere sind noch von der DDR-Zeit geprägt, in der in der Regel Frauen gute Jobs hatten und Kitas selbstverständlich waren.“

Dass sie nebenher zusätzlich die Care-Arbeit stemmen mussten und es nur selten in Führungspositionen schafften, werde verdrängt. Hanke: „Bis heute werden viele Fragen nicht als Geschlechterthemen wahrgenommen.“ Vereinbarkeit von Beruf und Familie, so heiße es beispielsweise, sei doch genauso Anliegen der Männer. Und so hat in den vier Jahren seit ihrer Wahl nicht eine Frau um Beratung oder Beistand gebeten. Dabei beobachtet Hanke immer wieder: Es gibt Probleme wie anderswo auch. Schulleitungen etwa sind vor allem in Männerhand, Frauen kaum für den Job zu gewinnen. „Zumal Leitung in Teilzeit in Sachsen nicht vorgesehen ist.“ Eine Barriere in einem Bereich, in dem 80 Prozent der Frauen Teilzeit arbeiten.

Neues Gleichstellungsgesetz in Sachsen

„Schon die Strukturen machen es schwer“, sagt die 50-Jährige. Zwar verpflichtet das Landesgleichstellungsgesetz jede Schule, eine Frauenvertreterin zu benennen. Aber eine Ebene darüber, auf Bezirks- und Landesebene, fehlten bisher eigene Ansprechpartnerinnen und -partner. „Wenn eine Frauenvertreterin der Schule dann eine Beschwerde wegen sexueller Belästigung nach oben weiterreichte, übernahm der Bezirkspersonalrat – oft verpuffte das Anliegen“, so Hanke. Doch es tut sich etwas: Demnächst wird in Sachsen ein neues Gleichstellungsgesetz verabschiedet, das Frauenbeauftragte auf Bezirks- und Landesebene vorschreibt.

Einen persönlichen Erfolg gibt es auch: Die Fortbildungen für die schulischen Frauenvertreterinnen, die Hanke alle paar Monate anbietet, sind Wochen im Voraus ausgebucht. Vor allem junge Frauen sind dabei. Hanke: „Vielleicht entsteht da eine Kraft, die mal etwas verändern kann.“