Belarus Free Trade Union
Die Polizei brüllte: „An die Wand! Strammstehen!“
Zwei Gewerkschaftsmitglieder aus Belarus berichten im Interview mit der GEW-Studierendenzeitschrift read.me über ihre Situation im Exil.
Jana gehört zum Vorstand der unabhängigen Gewerkschaft Belarusian Free Trade Union (SPB)., Andrej ist SPB-Mitglied und engagierte sich gewerkschaftlich an seiner Hochschule in Minsk. Wir treffen die beiden im westeuropäischen Ausland, ihre Namen wurden von der Redaktion geändert.
- Read.me: Andrej, Du wurdest Ende Oktober 2020 exmatrikuliert und darfst nicht weiterstudieren. Was genau ist passiert?
Andrej: Ich bin an diesem Tag in Minsk zur Uni-Verwaltung gegangen und habe mich für Kommilitonen eingesetzt, die eine Petition geschrieben hatten. Darin erklärten sie sich solidarisch mit den Protesten vom August. Darauf mussten sie die Uni verlassen. Mich haben sie dann auch exmatrikuliert. Der Hauptgrund für meinen Rausschmiss ist: Ich bin an der Uni bekannt. Ich habe dort viele Freunde, auch unter den Dozentinnen und Dozenten, unter den wissenschaftlichen Mitarbeitern. Das gefiel der Uni-Leitung offenbar nicht.
- Read.me: Was hast Du dann gemacht?
Andrej: Gegen den Rausschmiss habe ich vor dem Distriktgericht geklagt. Ohne Erfolg. Wir alle haben unsere Prozesse gegen die Exmatrikulation verloren.
Jana: In 50 Fällen sind wir vor Gericht gegangen. Wir wissen, dass wir wenig Chancen haben. Aber wir wollen zeigen, dass wir nicht aufgeben. Außerdem geht es uns darum, Informationen und Dokumente zu sammeln. Für später, für ein künftiges Belarus.
- Read.me: Wie viele Studierende insgesamt mussten die Uni verlassen?
Jana: In Minsk wurden etwa 200 Studierende exmatrikuliert. Im übrigen Land waren es weniger. Sie alle hatten sich an den Demonstrationen beteiligt und waren dann eingesperrt worden. Anschließend bekamen viele ihre Einberufung zur Armee. Bei uns sagt man: Das Ticket zum besten Leben überhaupt (lacht).
- Read.me: Am 5. März 2021 fand in Minsk die Gründungsveranstaltung der Studierenden-Gewerkschaft statt, die zur SPB gehört. Etwa 30 Frauen und Männer nahmen teil, ihr wart dabei. Was geschah an diesem Tag?
Jana: Nach einer halben Stunde kam die Polizei, bewaffnet. Sie brüllten: „An die Wand! Strammstehen! Schaut uns nicht an!“ Wir haben davon Videos. Ich war geschockt. 40 Minuten mussten wir stehen, wie Kriminelle. Dann zwangen sie uns, in Busse einzusteigen, ohne unsere Jacken und Mäntel. Es war kalt an diesem Freitag. Vier Stunden haben wir auf einem Polizeirevier verbracht. Vier von uns haben sie dann einsperrt, 15 Tage lang. Ein Gesetz in Belarus verbietet zwar, jemanden ohne Gerichtsprozess länger als 48 Stunden festzuhalten. Doch sie fanden eine Lösung: Sie haben das Gericht am Sonntag tagen lassen. Nur ein Anwalt wurde informiert. Alle vier wurden verurteilt. Sie wollen uns zeigen, was sie mit uns machen können.
Andrej: Danach hat die Polizei zu uns gesagt: Wenn ihr in Belarus bleibt, stellen wir auch euch vor Gericht.
- Read.me: Elf Studierende und ein wissenschaftlicher Mitarbeiter wurden im Juli zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt. Warum?
Jana: Dieser Gerichtsprozess ging bereits im November los. Er dauerte sehr, sehr lang. Sie wurden aber nicht wegen gewerkschaftlicher Aktivitäten verurteilt, sondern weil sie Protestaktionen organisiert hatten.
- Read.me: Nochmal zur SPB: Welche Branchen sind dort organisiert und welche Ziele hat die Gewerkschaft?
Andrej: Wir kämpfen für die Rechte von Arbeiterinnen und Arbeitern in den Fabriken, von Studierenden, von Lehrerinnen und Lehrern und den Beschäftigten im Gesundheitswesen. Wir setzen uns für bessere Arbeitsbedingungen ein, auch im Bildungswesen. Ganz einfach ausgedrückt, wir kämpfen für uns. Denn die Gewerkschaft, das sind wir.
- Read.me: Was erleben Anwältinnen und Anwälte in Belarus, die Studierende und andere Oppositionelle verteidigen?
Jana: Deren Situation? Die Regierung hat ihnen die Lizenz entzogen. Einem nach dem anderen. Etwa 50 Anwälte sind betroffen. In einem Fall haben sie sogar eine Jura-Professorin entlassen, weil deren Sohn als Anwalt für die Opposition gearbeitet hat. Jetzt gibt es keine privaten Anwälte mehr, die Oppositionelle vertreten dürfen. Das dürfen nur noch vom Staat Eingesetzte. Da ist es besser, du verteidigst dich selbst. Oh, wir hatten so tolle Anwälte! Sie waren sogar bereit, ohne Honorar für uns zu arbeiten.
- Read.me: Witaly Schischow, ein regierungskritischer Aktivist aus Belarus, wurde am 2. August in Kiew tot aufgefunden. Was habt ihr gefühlt, als ihr davon erfahren habt?
Andrej: Ich kannte Schischow. Er war ein prima Kerl.
Jana: Diese Frage macht mich nervös. Das war die Arbeit des Geheimdienstes. Sie versuchen uns zu zeigen, dass sie jeden kriegen können. Wir alle sind in Gefahr. Nicht nur in Belarus, überall auf der Welt.
- Read.me: Seit wann seid ihr im Ausland und wie ist eure Lage jetzt?
Andrej: Ich habe Belarus Mitte Juli verlassen. Ich studiere jetzt an einer Uni und habe ein Zimmer im Wohnheim für Studierende. Aber ich möchte in einem Jahr zurück.
Jana: Ich bin seit Anfang September weg von Belarus. Wir beide haben ein Stipendium bekommen. Für ein Jahr. Damit finanzieren wir uns.
- Read.me: Andrej, wie hast Du Dich nach der Ankunft in Deinem Gastland gefühlt? Was ging in Dir vor?
Andrej: In Belarus bin ich immer früh aufgewacht und habe als erstes mein Handy genommen, die Nachrichten gecheckt, meine Freunde angerufen, das Zimmer überprüft. Weil die Polizei immer früh morgens kommt, um sechs oder sieben Uhr. Jetzt wache ich auf und fühle mich in Sicherheit. Das ist wunderbar. Sehr ungewohnt für mich.
- Read.me: Der Bundesausschuss der GEW-Studierenden (BAGS) hat bereits vor Monaten erklärt: Wir sind solidarisch mit den exmatrikulierten und verhafteten Studierenden in Belarus. Was bringt euch diese Unterstützung?
Andrej: Das ist wichtig. Das verhindert nicht, dass Oppositionelle in Belarus weiter bekämpft werden. Aber es lindert den Schmerz. Die Leute wissen dann, dass sie nicht allein sind. Dass ihr Schicksal wahrgenommen wird.
- Read.me: Welche weitere internationale Unterstützung könnte hilfreich sein für Studierende, Dozentinnen und Dozenten und anderen an den Unis Beschäftigte in Belarus?
Jana: Unsere Leute sind abhängig von der Lage im Land. Sie sind abhängig von der Hochschule, vom Rektor, vom Vize-Rektor. Aber wenn sie internationale Kontakte haben, könnten sie freier sein in ihren Aktivitäten, in ihrem Denken. Sie könnten sagen, okay, du schätzt meine Arbeit nicht? Dann Tschüss! Dann gehe ich an eine Uni im Ausland. Und arbeite dort. Europa sollte seine Grenzen öffnen für Menschen aus Belarus. Und ihr könntet über die Lage in Belarus berichten und so Aufmerksamkeit schaffen.
- Read.me: Was könnte der BAGS tun für die Studierenden, die Belarus bereits verlassen haben?
Jana: Viele leben jetzt in Polen und in der Ukraine. Sie brauchen natürlich finanzielle Unterstützung. Es gibt einige im Ausland, die fühlen sich als Verlierer. Die sagen: Was hat das alles gebracht? Ich bin jetzt allein, ohne Freunde und Familie, in einem fremden Land mit fremder Sprache. Für was? Es wäre toll, wenn wir mit eurer Hilfe alle belarussischen Studierenden weltweit vereinigen könnten. In einer großen Organisation. Wo sie die Möglichkeit haben, miteinander zu kommunizieren. Ihre Ideen weiterzuverfolgen. Ihre Oppositionsarbeit fortzusetzen. Denn sie sind die Zukunft des Landes.
- Read.me: Woher nehmt ihr die Kraft, weiterzukämpfen für eine bessere Zukunft in Belarus?
Jana: An jedem Tag gibt es etwas zu erkennen oder zu verstehen. Auch wenn es für dich schlimm aussieht – du lernst daraus. Das ist meine Philosophie.
Andrej: Jeder von uns hat seine eigenen Gründe. Ich liebe Belarus, das Land, meine Familie, meine Freunde. Und ich weiß: Es muss weitergehen. Wenn ich nur rumsitze, ändert sich nichts.