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Kommentar zur Tarifrunde TVöD 2020

Der Zauber der Solidarität

2020 wird ein Wendepunkt sein: Menschen, Land und Leben haben sich verändert. Es stellen sich die großen Fragen nach dem Zusammenhalt einer Gesellschaft. Wir antworten mit Solidarität. Urgewerkschaftlich und zeitlos.

GEW-Vorstandsmitglied Daniel Merbitz (Foto: Kay Herschelmann)

Thomas Bernhard tat es in seinem Schauspiel „Die Macht der Gewohnheit“ allen kund: „Die Wahrheit ist ein Debakel!“ Während dort ein Zirkusdirektor versucht, das „Forellenquintett“ von Franz Schubert mit einer renitenten Bühnentruppe aufzuführen, führt das vereinigte Ensemble der kommunalen Arbeitgeber und des Bundesinnenministeriums während der Tarifrunde für die bei Bund und Kommunen Beschäftigten in Potsdam ein ähnlich absurdes Stück auf.

Noch gestern und vorgestern überschlug sich die Politik mit Lobeshymnen und rhythmischem Klatschen für den unverzichtbaren öffentlichen Dienst in der Corona-Krise. Heute wird zynisch in die Kasse geschaut und mit den Schultern gezuckt. Keine Paraderolle! Nachdem die Gewerkschaften ihre Forderungen und Erwartungen den Kommunen und dem Bund präsentiert hatten, gab es nur eine beschämende Antwort: Kein Angebot, wenn etwas denkbar sei, dann nur mit langer Laufzeit. Dies ist die traurige Wahrheit.

Bitter, nachdem die Beschäftigten im öffentlichen Dienst – so wie ihre Kolleginnen und Kollegen in den anderen Branchen von der Klinik über den Supermarkt bis zum Fernverkehr – monatelang dieses Land in schwieriger Zeit am Laufen gehalten haben und auch weiter halten. Das muss mit einer ordentlichen Gehalts-erhöhung anerkannt und gewürdigt werden.

Bei der zweiten Verhandlungsrunde in Potsdam, nur knapp zwei Wochen vor dem großen Einheitsfestakt, haben sie eine wahre Farce aufgeführt: Die kommunalen Arbeitgeber wollen mit Blick auf die Arbeitszeit den Osten für weitere fünf Jahre abkoppeln.

Solidarität: urgewerkschaftlich und zeitlos

Wir müssen es klar benennen: Nach nunmehr 30 Jahren deutscher Einheit ist die Einheit bei der Arbeitszeit für die kommunalen Beschäftigten längst überfällig. Das sage ich nicht nur als jemand, der aus den nicht mehr ganz so neuen Bundesländern stammt, sondern ganz besonders aus gesamtdeutscher Sicht: Wir können uns dauerhaft keine Sonderwirtschaftszone, kein Tarif-Experimentierfeld zu Lasten der Beschäftigten leisten.

Denn wir stehen vor neuen Umverteilungskämpfen, vor der Frage, wer die Folgen der Abmilderung der Corona-Krise bezahlen soll. Ich vermute vorsichtig, es sollen nicht die Konzerne und die Superreichen sein … Tarifpolitik ist Sozialpolitik ist Wirtschaftspolitik. Wir hörten die Arbeitgeber schon deklamieren, die Schuldenbremse, die leeren Kassen, die sicheren Arbeitsplätze, die es im öffentlichen Dienst gibt. Sie verstecken sich hinter forscher Rhetorik, die sich im Gewand des Neoliberalismus kleidet.

Dies lassen wir ihnen nicht durchgehen. 2020 wird ein Wendepunkt sein: Menschen, Land und Leben haben sich verändert. Es stellen sich die großen Fragen nach dem Zusammenhalt einer Gesellschaft. Wir antworten mit Solidarität. Urgewerkschaftlich und zeitlos. Dieser Zauber bindet immer wieder. Nur so können wir erfolgreich dem Ungeist der neuen alten Kassenwarte und dem Unwesen der Beschäftigtengruppen-Gegeneinander-Ausspieler etwas entgegensetzen. Jetzt sind die Arbeitgeber am Zug, ihr unwürdiges Schauspiel zu beenden und stattdessen ein Stück mit Respekt und Wertschätzung aufzuführen! Tarifautonomie heißt Verantwortung zu übernehmen. Wir fordern dies ein!

Ich erlebe in dieser Tarifrunde viel Zuspruch, die Kolleginnen und Kollegen wollen sich einmischen, auch und gerade unter erschwerten Bedingungen, sie wollen ihren Beitrag leisten, wollen mithelfen. Bereits ein kleiner Einsatz hilft – zum Beispiel, indem die gedruckten Tarif-Infos in den Einrichtungen weitergegeben werden oder in den sozialen Medien ein SharePic geteilt wird.

Alle können und sollen sich einbringen. Die GEW ist eine Mitmachgewerkschaft. Und wir müssen noch mehr Mitglieder gewinnen. Wir haben erlebt, wie wichtig es ist, füreinander da zu sein. Halten wir zusammen, schließen wir uns zusammen. Lassen wir uns verzaubern von der guten alten Solidarität!