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Serie: Traumjob oder Trauma?

„Der schönste Beruf der Welt!“

Aktive und angehende Lehrkräfte berichten, was sie an ihrem Beruf lieben, mit welchen Schwierigkeiten sie konfrontiert sind, was sie trotz alledem im Beruf hält – oder eben auch dazu gebracht hat, das Handtuch zu werfen.

Um gut arbeiten und ihrer pädagogischen Profession gerecht werden zu können, brauchen Lehrkräfte gute Rahmenbedingungen. Dazu zähle eine Entlastung von Verwaltungsaufgaben, sagt Lehrerin Franziska Böhmer. (Foto: IMAGO/Funke Foto Services)

Als ich die Entscheidung traf, Lehrer zu werden, hatte ich schon über 15 Jahre als Kulturjournalist gearbeitet. Mein Job war zwar stressig, konfliktreich und schlecht bezahlt, dennoch liebte ich ihn. Aber dann geriet das Unternehmen in eine schwere Krise und mit Anfang 40 entschloss ich mich, einen kompletten Neubeginn zu wagen. Dass es der Quereinstieg ins Lehramt werden würde, ist einer Reihe glücklicher Fügungen zu verdanken – etwa der Tatsache, dass ich neben der Germanistik auch Musikwissenschaften studiert hatte und Berlin händeringend Musiklehrkräfte suchte.

Eine Schlüsselrolle für meinen Entschluss spielte aber ein guter Freund, der damals mein Kollege war. Dieser Freund sprach in einem derart hochachtungsvollen und dankbaren Ton von einigen seiner ehemaligen Lehrer, wie ich ihn nicht kannte. Meine eigenen Lehrer hatte ich in mehr oder weniger guter Erinnerung. Manche waren nur noch namenlose Schatten, einige hatten sich mit ihren komischen Marotten oder blöden Sprüchen ins Gedächtnis gegraben, die wenigen wirklich wichtigen aber durch einen Unterricht, der Potenziale in uns Schülern weckte, von denen wir selbst nichts geahnt hatten.

Büchner-Preisträger Jan Wagner nannte diese Art Lehrer einmal die „entscheidenden, auf immer prägenden Persönlichkeiten, auf die es ankommt und die uns helfen, zumindest die wichtigsten, folgenreichsten Entscheidungen nach bestem Wissen und reinen Herzens zu treffen“. Kann man sich einen schöneren Beruf denken? „Diese Lehrer“, so Wagner weiter, „brachten mir etwas bei, was nicht auf den offiziellen Lehrplänen zu finden war – die Leidenschaft, die Begeisterung also für etwas, das in meinem Fall die Literatur und die Poesie waren.“

Es ist ein beglückendes Gefühl, während einer gelungenen Unterrichtsstunde das Knistern zwischen Lehrerpult und Klasse zu spüren, das entsteht, wenn ein Funke überspringt.

Ich teile diese Erfahrungen. Ohne meine Musiklehrerin hätte ich wohl kaum im Schulchor gesungen, hätte ich mich nicht getraut, in einer Band zu spielen, wäre ich nie auf die Idee gekommen, Musikwissenschaft zu studieren. Mein Faible für Sprache und Literatur war zwar schon immer ausgeprägt, dennoch hat der kreative, kontroverse, Horizonte erschließende Unterricht, den ich dank meiner Deutschlehrerin genießen durfte, maßgeblichen Anteil daran, dass ich dieses Hobby zum Beruf machte.

Diesen Lehrerinnen nachzueifern, ist für mich schon Grund genug, den Beruf mit Leidenschaft auszuüben. Es ist ein beglückendes Gefühl, während einer gelungenen Unterrichtsstunde das Knistern zwischen Lehrerpult und Klasse zu spüren, das entsteht, wenn ein Funke überspringt. Natürlich sind das Ausnahmemomente im Schulalltag mit all seinen menschlichen, organisatorischen, bürokratischen Widernissen. Aber es gibt sie. Und ihretwegen lohnt es sich, Lehrer zu sein.

Schülerinnen und Schüler ermutigen

Mein eingangs erwähnter Freund hat mir aber noch eine weitere Motivation aufgezeigt, diesen Beruf zu ergreifen, als er von seinen Lehrkräften schwärmte. Er stammt aus einer Arbeiterfamilie, in der es nie jemand bis zum Abitur geschafft hatte. Sein Vater war alkoholkrank und gewalttätig. Seine Mutter starb, als er noch ein Kind war. Obwohl er in der Grundschule gute Noten hatte, wäre ihm ein höherer Bildungsweg wohl verbaut geblieben – wenn er nicht das Glück gehabt hätte, auf Lehrer zu treffen, die an ihn glaubten. Lehrer, die ihn ermutigten.

Ich bin froh, an einem Gymnasium arbeiten zu dürfen, dessen Schülerschaft sozial und kulturell äußerst vielfältig ist. Neben den Kindern aus wohlbehüteten Elternhäusern, die keine Sprachbarrieren überwinden müssen und oft mit umfangreichem Vorwissen zu uns stoßen, gibt es viele, denen das nicht in die Wiege gelegt wurde. Schnell gelten einige von ihnen als „Problemschüler“. Anfangs war ich geschockt, wenn ich in Lehrerzimmergesprächen den Satz hörte: „Der hat hier sowieso keine Chance!“

Ich bin Lehrer geworden, um manchen dieser Menschen eine Perspektive zu eröffnen.

Ich bin Lehrer geworden, um manchen dieser Menschen eine Perspektive zu eröffnen. Das gelingt nicht bei allen. Aber bei einigen eben doch. Der Schülerin, der es in der 7. Klasse kaum einer zugetraut hätte, in die leuchtenden Augen zu schauen und zum bestandenen Abitur zu gratulieren, macht mich stolz und glücklich. Lehrer, denke ich dann, ist der schönste Beruf der Welt.