Interview zum Auslandsschuldienst
„Der Leistungsdruck für alle Beteiligten ist höher“
Niko Jäger ist seit sechs Jahren Auslandsschullehrer an der Deutschen Schule Athen und beschreibt, wie sich seine Arbeit von der in Deutschland unterscheidet.
- Franz Dwertmann: Was hat dich persönlich am Auslandsschuldienst gereizt?
Niko Jäger: Schon seit meiner Kindheit war ich gerne im Ausland und bin offen auf neue Kulturen und Menschen zugegangen. Auslandserfahrungen erweitern sicherlich den eigenen Horizont und wirken vielen Vorurteilen entgegen. Zugegebenermaßen haben mich aber auch das südliche Lebensgefühl und Klima gereizt mit der Aussicht auf mehr Sonnentage als in nördlichen Gefilden. Beruflich habe ich den Auslandsschuldienst als eine Möglichkeit gesehen, mich neuen Herausforderungen zu stellen und Verantwortung an einer deutschen Auslandsschule zu übernehmen.
- Wie kam es dazu, dass du an die Deutsche Schule Athen geraten bist?
Mit Sicherheit ist die Deutsche Schule Athen (DSA) auch mit meiner eigenen Biografie verbunden. Meine Mutter ist Griechin und ich bin bis zum 11. Lebensjahr in Athen aufgewachsen. Wie viele meiner eigenen Schüler*innen bewegte sich auch meine Familie im Spannungsfeld zwischen deutscher und griechischer Realität. Als wir den Entschluss fassten, für einige Jahre auch unseren Kindern einen Zugang zur griechischen Kultur und Sprache zu ermöglichen, habe ich mich initiativ für die DSA beworben und alles Weitere nahm dann seinen Lauf.
- Kannst Du die Schule ein bisschen beschreiben?
Die DSA versteht sich als Begegnungsschule, die alle in Deutschland anerkannten Bildungsabschlüsse anbietet, und der ein deutsches Curriculum mit Berücksichtigung griechischer Bildungsthemen und Fächer zugrunde legt. Schüler*innen, welche die DSA schon ab dem Kindergarten- oder Grundschulalter besuchen, besuchen das Profil D. Diejenigen Schüler*innen, die über eine erfolgreich abgelegte Einstiegsprüfung in der 7. Klasse zu uns stoßen, besuchen das Profil E.
Ab der 10. Klasse lernen alle gemeinsam mit dem Ziel, das Deutsche Internationale Abitur (DIA) zu erwerben. Insgesamt lernen über 1100 Kinder und Jugendliche an der DSA, ab der 7. Klasse besteht eine Fünfzügigkeit. Der letztjährige Abiturjahrgang hat einen Notendurchschnitt von 1,6 erreicht. Die DSA zählt weltweit zu den ältesten* und erfolgreichsten Deutschen Auslandsschulen, was die Zentralstelle für das Auslandsschulwesen zuletzt mit der Auszeichnung „Exzellente Deutsche Auslandsschule“ bestätigt hat.
*(1896 auf Initiative des deutschen Architekten und Archäologen Wilhelm Dörpfeld gegründet)
- Was unterscheidet deine Arbeit dort von der Arbeit an deiner früheren Schule in Findorff?
Zum einen ist der Leistungsdruck für alle Beteiligten höher: Sowohl die Eltern als auch die Bund-Länder-Inspektion stellen hohe Erwartungen an die Schule, eine „3“ wird seitens der Schüler*innen beispielsweise oft als defizitäre und nicht wie im deutschen Bildungssystem als befriedigende Note wahrgenommen.
Zudem müssen die Lehrkräfte hier in Athen mehr Aufgaben übernehmen, als in Deutschland üblich. Auch die Organisation der Aufgaben gestaltet sich bei uns anders als an meiner früheren Schule. Eine der Herkulesaufgaben ist mit Sicherheit das Erstellen von Abituraufgaben und Oberstufen-Curricula, die in Kooperation mit sechs weiteren deutschen Auslandsschulen unserer Prüfungsregion entwickelt werden.
Zum anderen fallen aufgrund unserer Schulgröße deutlich mehr Prüfungen als in Bremen, auch Fortbildungen und Nachmittagsveranstaltungen sind hier zahlreicher. Durch die regelmäßigen Besuche von Vertretern der ZfA ist auch der schulinterne Blick stets auf die Verbesserung und Weiterentwicklung von Bildungsstandards gerichtet, was mit Mehrarbeit einhergeht. Einer meiner persönlichen Arbeitsschwerpunkte ist der Bereich Deutsch als Fremdsprache sowie unsere schulinterne Einstiegsprüfung, für die ich verantwortlich bin.
- Die 145 Deutschen Schulen im Ausland sind juristisch ja Privatschulen. Wie wirkt sich das im Schulalltag aus?
Unter anderem durch den oben erläuterten Erfolgsdruck, durch wöchentliche Sprechstunden mit den Eltern, durch die Schulgebühren, durch einen aktiven Schulvorstand, der sich regelmäßig mit der Schulleitung trifft sowie durch eine vielschichtige Schülerschaft aus allen Teilen des Großraums Attika.
Mit Sicherheit ist der Charakter der Privatschule auch geprägt durch den indirekten Einfluss sogenannter Frontistirien (private Nachhilfeschulen) und zusätzlichem Nachmittagsunterricht mit Privatlehrer*innen. Diese Form des zusätzlichen Lernens ist in Griechenland derart fest verankert, sodass die allermeisten Schüler*innen die bereits im Unterricht behandelten Themen an Nachmittagen mit Privatunterricht oder eben auch in Frontistirien vertiefen.
Durch den Umstand, dass die Abiturprüfungen im Profil E nach nur sechs Jahren erfolgen, ist der Erfolgsdruck für die Lernenden enorm.
- Wie ist die Zusammensetzung der Lehrerschaft?
Das Gros der Lehrkräfte bilden griechische oder deutsche Ortslehrkräfte. Zusammen mit Kindergarten und Grundschule zählt unsere Schule aktuell ca. 110 Kolleg*innen, bei denen es sich zu ca. einem Viertel um Lehrkräfte handelt, die aus dem deutschsprachigen Ausland vermittelt wurden.
- Gibt es Interessenskonflikte zwischen den verschiedenen Gruppen?
Interessenskonflikte zwischen den verschiedenen Gruppen sind mir nicht bekannt, sicherlich gibt es jedoch unterschiedliche Auffasungen zur Frage, was guten Unterricht ausmacht.
- Welche Mitbestimmungsmöglichkeiten hat das Kollegium? Sind die griechischen Ortskräfte gewerkschaftlich organisiert?
Es gibt an der DSA einen Vertreter der griechischen Lehrergewerkschaft. Darüber hinaus haben wir einen Lehrerbeirat, der gegenüber der Schulleitung Interessen des Kollegiums vertritt. Im Gegensatz zu einem Personalrat in Deutschland, der von übergeordneten Instanzen unterstützt werden kann, beschränkt sich die Rolle des Lehrerbeirats auf die Kommunikation zwischen Kollegium und Schulleitung, also z.B. um als Sprachrohr des Kollegiums Umfragen, Wünsche, Kritik und Anliegen entsprechend weiterzuleiten. Zu Gewerkschaften hat der Lehrerrat keine Verbindung.
- Wie groß ist der Einfluss der Lehrergewerkschaften?
In Griechenland gibt es zwei Lehrergewerkschaften: Eine für Lehrkräfte privater Schulen und eine für Lehrkräfte öffentlicher Schulen. Ich persönlich kenne wegen meiner Tätigkeit an der DSA nur die Erstgenannte, die ich als sehr aktiv erlebt habe. Sie kämpft gegen fragwürdige bildungspolitische Maßnahmen (zum Beispiel das Vorhaben der verpflichtenden, standardisierten Evaluierung von Lehrkräften auch durch die Schulleitungen, wodurch im schlimmsten Fall Versetzungen befürchtet werden), fordert Gehaltserhöhungen oder eine höhere Wertschätzung von Lehrkräften privater Bildungseinrichtungen, die in den letzten Jahren viele elementare Rechte wie z. B. ihren Kündigungsschutz quasi verloren haben.
- Wie erlebst du die politischen und sozialen Verhältnisse in Griechenland?
Das Land befindet sich in einem großen Umbruch! Kaum hatte sich die Wirtschaft nach der Finanzkrise 2010 halbwegs stabilisiert, folgte die Corona-Pandemie, die viele Menschen in eine erneute Krise gestürzt hat. Insbesondere der private Sektor war betroffen. Aber auch im öffentlichen Sektor fehlt es vielfach an Personal und an der nötigen finanziellen Ausstattung.
Im Zuge der Digitalisierung konnten zwar manche administrativen Abläufe verbessert werden durch Reformen, die durch die Schudenkrise nötig geworden waren, insgesamt fragt man sich als Beobachter dennoch, wie die Menschen heute überleben können angesichts der exorbitanten Preise, die schon vor der Inflation deutlich höher waren als in Deutschland.
- Wie wirkt sich der Auslandsaufenthalt auf deine Familie aus?
Meine Familie hat in jeder Hinsicht enorm profitiert von unserem mittlerweile sechsjährigen Auslandsaufenthalt. Einer der größten Vorteile ist die sprachliche Entwicklung, weil unsere beiden Söhne in der Zwischenzeit Griechisch quasi wie eine zweite Muttersprache beherrschen. Auch meine Frau hat sich sehr gut eingelebt und fühlt sich hier mittlerweile heimisch.
Unsere Rückkehr nach Bremen muss gut vorbereitet werden, um sie nicht als zu plötzlichen Bruch zu erleben, sondern als Chance, die neue Herausforderungen mit sich bringt.