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Mobbing

Den Teufelskreis durchbrechen

Nicht nur unter Kindern und Jugendlichen ist Mobbing trauriger Alltag. Auch Beschäftigte mobben und werden gemobbt. Viel spricht dafür, dass die Gefahr des Mobbings mit steigendem Druck am Arbeitsplatz größer wird.

Dienstvereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Betriebs- bzw. Personalräten sind ein wichtiges Instrument gegen Mobbing am Arbeitsplatz. (Foto: IMAGO/Pond5 Images)

Haben Sie Erfahrungen mit Mobbing? An deutschen Arbeitsplätzen antwortet darauf nur gut jede und jeder Zweite: nein. Mehr als ein Viertel (27 Prozent) gibt an, schon einmal gemobbt worden zu sein, knapp ein Fünftel (17 Prozent) kennt es von Kolleginnen oder Kollegen. 4 Prozent sagen: Ich habe gemobbt! Erhoben wurden die Zahlen in einer Online-Umfrage im März 2021 von dem Unternehmen YouGov. Mitten in der Corona-Pandemie also, woran sich eine überraschende Erkenntnis anschließt: Mobbing im Internet spielt – anders als bei Kindern und Jugendlichen – unter Erwachsenen offenbar eine untergeordnete Rolle. Die allermeisten gaben an, „in sozialer Interaktion“ gemobbt worden zu sein.

Aktuelle Zahlen für den Bildungsbereich liegen nicht vor. Im Schulkontext blickt man deswegen immer noch auf die Studie des Erziehungswissenschaftlers Reinhold Jäger (Uni Koblenz-Landau), der 2012 rund 1.800 Lehrkräfte befragte. Rund jede und jeder Zweite unter ihnen fühlte sich gemobbt. Weil nicht jeder Streit als Mobbing zu bewerten ist und Selbsteinschätzungen meist zu hoch ausfallen, fragte Jäger auch nach mehrmaliger Schikane. So errechnete er ein Mobbing-Risiko, das bei Frauen mit 22 Prozent deutlich höher liegt als bei Männern mit 16 Prozent. Mehr als jede zweite betroffene Lehrkraft (54 Prozent) fühlte sich von der Schulleitung gemobbt, wofür es auch den Begriff „Bossing“ gibt. Dahinter folgt Mobbing durch Kolleginnen und Kollegen (48,4 Prozent); Eltern und Schülerinnen oder Schüler waren für weit weniger Mobbing verantwortlich.

„Um angemessen zu reagieren, müssen wir wissen, wie die Lage ist. Dazu braucht es auch mehr Forschung.“ (Anja Bensinger-Stolze)

„Um angemessen zu reagieren, müssen wir wissen, wie die Lage ist. Dazu braucht es auch mehr Forschung“, erklärt Anja Bensinger-Stolze, GEW-Vorstandsmitglied für Schule. Sie befürchtet, in der aktuellen Mangellage werde deutlich mehr gemobbt als zuvor: „Wird die Personaldecke dünner, wirkt sich das negativ auf das Miteinander und das Schulklima aus. Raum für Kommunikation ist eine entscheidende Ressource“, so Bensinger-Stolze.

Die Entstehung von Mobbing sei „sehr oft ein Prozess, der zum Beispiel durch Personalreduktion gefördert wird“, schreibt die Deeskalationstrainerin Heike Leye in dem Ratgeber „Mobbing in der Schule: Das Praxisbuch“. Wenn es zur Normalität werde, dass Kolleginnen und Kollegen „immer mehr auffangen“ müssten, erhöhe das den „Frustpegel“ – erst recht, wenn, wie an vielen Schulen empfunden, „die mögliche Einflussnahme vergleichsweise gering“ sei. Leye beschreibt auch als problematisch, dass Lehrkräfte immer noch oft isoliert arbeiteten – „je größer die Kollegien, desto verschlossener ist oft die Arbeitsweise“.

Rechtzeitig aktiv werden

Andreas Fischer kennt als langjähriger Sozialarbeiter an einer Berliner Gemeinschaftsschule zahlreiche Mobbingfälle aus der Praxis. Er sagt: „Ob im Hort oder in der Schule: Die aktuellen Strukturen sind sicher nicht darauf angelegt, Mobbing zu minimieren.“ Krankheit und Teilzeit seien typische Faktoren, die Mobbing-Prozesse in Gang setzen könnten. „Wer nicht zur Verfügung steht, läuft schnell Gefahr, dass sich andere gegen ihn oder sie verbünden“, beobachtet er. Vor allem für Betroffene, die mit einer Erkrankung kämpfen, entstehe so oft ein Teufelskreis: „Steigt der Druck, sinkt die Chance, wieder gesund zu werden. Nicht selten kommt es so zu einem erst vorübergehenden, dann dauerhaften Ausstieg.“

Fischer appelliert, rechtzeitig aktiv zu werden, wenn jemand Mobbing erlebt: „Im streng hierarchischen System Schule ist das immer noch nicht der Normalfall.“ Und er fordert, im Rahmen der zurzeit an Schulen entstehenden Schutzkonzepte, die unter anderem ein Beschwerdemanagement vorsehen, an die Beschäftigten zu denken: „Meist werden diese gar nicht einbezogen.“ Auch im betrieblichen Eingliederungsmanagement – das regelhaft nach einem zeitweisen Ausstieg greift – fehle oft die Zeit, dieses angemessen zu führen.

„Doch die Erfahrung zeigt leider: Auch Schulleitungen können an Mobbing beteiligt sein.”

Zuständig für das dienstliche Wohlergehen ist die Schulleitung; dazu zählt Prävention ebenso wie das Unterbinden psychischer und physischer Grenzverletzungen. Im besseren Fall, zum Beispiel in Frankfurt am Main, beschreibt eine Dienstvereinbarung zum Umgang mit Mobbinghandlungen, was die Schulleitung in diesen Fällen zu tun hat: Zunächst einzeln, dann gemeinsam muss sie Gespräche mit den Beteiligten führen und eine Vereinbarung auf den Weg bringen, welche Verhaltensweisen unterlassen werden müssen. Auch die regelmäßige Überprüfung steht in der Vereinbarung.

GEW-Vorstandsmitglied Bensinger-Stolze hält Dienstvereinbarungen für einen richtigen Weg: „Doch die Erfahrung zeigt leider: Auch Schulleitungen können an Mobbing beteiligt sein.” In der Stufe über ihnen, in den Schulverwaltungen, gebe es wiederum oft eine große Nähe zu den Leitungen. Wichtig seien deshalb unabhängige Beratungsstellen, angegliedert etwa an die Arbeitsmedizinischen Dienste. Betroffenen rät Bensinger-Stolze, sich an den Personalrat und/oder die örtliche GEW zu wenden: „Die Kolleginnen und Kollegen können an kompetente Stellen weitervermitteln – im Zweifel auch an den gewerkschaftlichen Rechtsschutz.“

„Klares Bekenntnis zur Gestaltung der Schule als sicherer Ort“

Damit es gar nicht erst zu Fällen kommt, können Schulen etwas tun. Jäger stellte in seiner Studie fest: An Schulen ohne „Maßnahmen gegen Mobbingattacken“ sei die Wahrscheinlichkeit, Opfer von Mobbing zu werden, rund doppelt so hoch wie in Einrichtungen, in denen es Maßnahmen gegen Mobbing gibt. Der österreichische Mobbing-Experte Florian Wallner fordert in dem vom Verein Aktion Courage e. V. herausgegebenen Baustein „Mobbing in Schule & Jugendarbeit“ deshalb: Es brauche ein „klares Bekenntnis zur Gestaltung der Schule als sicherer Ort“, beginnend im Leitbild: „Gewalt und -Mobbing haben bei uns keinen Platz.“ Wichtig außerdem: eine Kultur, in der Konflikte angesprochen und konstruktiv bearbeitet werden.

Mobbing hat immer auch mit Macht zu tun

Wallner macht auf noch etwas aufmerksam: Es braucht eine Kommunikation, die von Gleichwertigkeit geprägt ist: Der „Umgang einer Gemeinschaft mit Diversität und Konflikten“ sei für die „Ermöglichung eines Mobbingsystems ein zentraler Faktor“. Auch ein Blick in Fallstudien, wie sie in Lehrerforen oder Büchern stehen, zeigt: Oft werden die gemobbt, die „anders“ sind – weil sie mit neuen Methoden von der Hochschule oder aus dem Referendariat kommen oder eine „andere“ Herkunft haben. Mobbing hat immer auch mit Macht zu tun. Und: Mobbing findet nicht zwischen Opfer und Täter statt – sondern wird erst möglich durch die Unterstützerinnen und Unterstützer, die Wallner „Möglichmacher“ nennt.

In anderen Bildungsbereichen gilt das Gleiche wie in der Schule: „Unter Erzieherinnen und Erziehern greifen die gleichen Mechanismen wie bei Lehrkräften“, sagt Fischer. Auch die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers greift grundsätzlich. Bei den Kitas ist das zunächst die Kita-Leitung; der Verein Pro Kita rät zudem: „Mitunter gibt es auch bei den Trägern einen Ansprechpartner, der sich Mobbingfällen annimmt.“ Selbiges gilt für Weiterbildungsträger.

Unübersichtliche Lage an den Hochschulen

Unübersichtlich ist die Lage an den Hochschulen mit ihren Instituten, Fakultäten, Zentralstellen und Leitungen: Zwar gibt es mit Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten, psychosozialen Beratungsstellen und Ombudspersonen eine Reihe potenziell Zuständiger. Was es meist nicht gibt, ist ein zentraler Ansprechpartner für Mobbing-Fälle.

Für speziellen Druck sorgt an Hochschulen die massenhafte befristete Beschäftigung: Laut einer 2021 veröffentlichten Studie des aus Promovierenden der Helmholtz- und Leibniz-Gemeinschaften sowie der Max-Planck-Gesellschaft bestehenden Netzwerks „N hoch 2“ fühlten sich zwischen 10 und 13 Prozent der Promovierenden an außeruniversitären Forschungseinrichtungen mindestens einmal von Vorgesetzten schikaniert. Gemeldet wurde das demnach nur in jedem dritten Fall – und dann waren auch noch drei Viertel unzufrieden, wie mit der Meldung umgegangen wurde. Als Konsequenz fordert das Netzwerk unter anderem Prüfungskomitees statt „allmächtiger“ Doktorväter oder -mütter.

Die GEW setzt sich seit Jahren in der Kampagne „Dauerstellen für Daueraufgaben“ für eine „wirksame Antidiskriminierungs- und Beschwerdestruktur an Hochschulen und Forschungseinrichtungen“ sowie demokratische Governance-Strukturen ein. Die Hochschulen und Forschungseinrichtungen müssten die „Einhaltung aller Standards des Arbeits- und Gesundheitsschutzes garantieren“.