fair childhood – Bildung statt Kinderarbeit
Das Ende der Freiwilligkeit
Kindersklaven, Dumpinglöhne, tote Minenarbeiter und Näherinnen: Menschen- und Arbeitsrechte werden noch immer entlang der gesamten Lieferkette von Produkten, die in Deutschland gekauft werden können, verletzt. Ein Gesetz soll das ändern.
Arme und Beine sind wund und blutig, die Rücken kaputt – zwei Millionen Kinder schuften in der Elfenbeinküste und Ghana auf Kakaoplantagen. Das Leid auf diesen Plantagen versüßt unser Leben. Denn Westafrika liefert rund 70 Prozent des weltweiten Kakaobedarfs. Der Kakao landet in Schokotafeln, Pralinen, Getränken oder Keksen von Mars, Nestlé, Ferrero & Co. oder bei Verarbeitern wie Barry Callebaut. Der weltgrößte Nahrungsmittelkonzern Nestlé versichert auf seiner Homepage: „Kinderarbeit hat keinen Platz in unseren Lieferketten!“ Nestlé ist auch Mitglied des Forums Nachhaltiger Kakao. Dieses nannte gefährliche oder missbräuchliche Kinderarbeit im Kakaoanbau erst kürzlich „eine der größten Herausforderungen“.
„Deutsche Unternehmen müssen verpflichtet werden, entlang ihrer gesamten Produktlinie menschenrechtliche Standards sicherzustellen und Kinderarbeit auszuschließen.“ (Marlis Tepe)
Kinder- und Menschenrechte werden auch bei der Herstellung anderer Lebensmittel und Waren wie Autos, Handys oder T-Shirts häufig verletzt, weil Unternehmen nicht gezwungen werden, ihre Lieferketten sauberzuhalten. Das kritisieren nicht nur Organisationen wie Oxfam, INKOTA, Südwind und das Forum Fairer Handel, sondern auch Brot für die Welt und Misereor sowie Gewerkschaften, etwa der DGB und die GEW. Rund 80 Organisationen haben sich zur Initiative Lieferkettengesetz zusammengeschlossen. „Deutsche Unternehmen müssen verpflichtet werden, entlang ihrer gesamten Produktlinie menschenrechtliche Standards sicherzustellen und Kinderarbeit auszuschließen“, fordert GEW-Vorsitzende Marlis Tepe.
Dies soll über ein Gesetz geschehen, das Nichtregierungsorganisationen (NRO) seit langem fordern – und das auch Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) und Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) unterstützen. Dieses Lieferkettengesetz würde alle Unternehmen, die in Deutschland tätig sind, zwingen, entlang der Produktions- und Transportkette für sichere Arbeitsbedingungen und faire Löhne zu sorgen sowie Umweltschäden zu vermeiden. „Weltweit arbeiten 450 Millionen Menschen in globalen Wertschöpfungsketten“, sagt Müller. „Ihre Rechte dürfen im Kampf um Profite und billige Rohstoffe nicht auf der Strecke bleiben!“ Doch bislang gilt: Sterben Näherinnen in brennenden Textilfabriken oder werden Kleinbauern für Palmölplantagen von ihrem Land vertrieben, weisen hiesige Unternehmen oft jede Verantwortung von sich.
„Freiwillige Vereinbarungen und Gütesiegel können zwar die Situation verbessern, aber gesetzliche Regelungen sind ein besseres Instrument.“
Minister Müllers Drohung vor zwei Jahren war deutlich: Schaffe es nicht mindestens jedes zweite Unternehmen, freiwillig seine Sorgfaltspflicht zu belegen, komme ein Gesetz. So steht es auch im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD. Dafür fragte Müllers Ministerium 3.000 Unternehmen, ob sie eine firmeneigene Menschenrechtspolitik verfolgen, Gewerkschaften erlauben oder einen Beschwerdemechanismus haben. Das Ergebnis liegt nun vor. Weniger als 500 haben geantwortet. Von diesen haben nur 20 Prozent die Vorgaben erfüllt – trotz der ohnehin „skandalös niedrigen Messlatte – die Angaben beruhen ja größtenteils auf Selbsteinschätzungen der Firmen“, kritisiert Johannes Schorling von INKOTA. Das Monitoring „ist krachend gescheitert“, bilanziert Johannes Heeg, Sprecher der Initiative Lieferkettengesetz.
„Freiwilligkeit führt nicht zum Ziel“, sagt Minister Müller heute. Er will nun Eckpfeiler für das Gesetz vorlegen; es soll für Firmen mit mehr als 500 Mitarbeitern gelten. Dagegen machen Wirtschaftsvertreter mobil. Ein Lieferkettengesetz, wie es bereits Frankreich und in Ansätzen Dänemark und Norwegen eingeführt haben, sei „großer Unfug“, wettert Ingo Kramer, Chef der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände. Es gefährde den Wirtschaftsstandort Deutschland. Man produziere bereits „nach den höchsten Umwelt- und Sozialstandards“, betont Wolfgang Steiger vom CDU-Wirtschaftsrat. Das sieht GEW-Vorsitzende Tepe anders: „Freiwillige Vereinbarungen und Gütesiegel können zwar die Situation verbessern, aber gesetzliche Regelungen sind ein besseres Instrument.“
„Aber ein Gesetz würde Druck auf die Firmen ausüben – sie müssten damit rechnen, zur Verantwortung gezogen zu werden.“ (Johannes Schorling)
Die Unternehmen stören sich vor allem daran, dass sie für vermeidbare und vorhersehbare Rechtsverstöße nicht nur von Tochterfirmen und Zulieferern, sondern auch Dritter haften sollen. Sublieferanten könne man nicht kontrollieren, argumentieren sie. Dem widerspricht Schorling: „Qualität wird ja auch überprüft – selbst Automobilhersteller sagen, dass man die Lieferkette transparent machen kann, wenn der Wille da ist.“ Betroffene müssten die Firma vor einem deutschen Gericht verklagen können. Ansonsten „bleibt das Gesetz ein zahnloser Tiger“.
Das befürchten inzwischen sogar einzelne Wirtschaftsvertreter. Rund 50 Unternehmen haben im vergangenen Dezember das Ende der Freiwilligkeit gefordert. Darunter sind neben den Fair-Händlern WeltPartner, Gepa oder El Puente auch Konzerne wie -Nestlé Deutschland, Ritter Sport, Vaude, Rewe, Hapag Lloyd oder Tchibo. Sie wollen nachhaltig sein, aber nicht mehr gegenüber rücksichtslosen Billigkonkurrenten einen Wettbewerbsnachteil haben. „Eine gesetzliche Regelung würde sicherstellen, dass für alle der gleiche Standard gilt und kein Unternehmen sich ohne Konsequenzen seiner Verantwortung entziehen oder Gewinne auf Kosten von Mensch und Natur machen darf“, so die Unterzeichner in ihrem Statement.
Aber kann ein Lieferkettengesetz Kinderarbeit wie auf Kakaoplantagen verhindern? „Nicht von heute auf morgen“, sagt Schorling. „Aber ein Gesetz würde Druck auf die Firmen ausüben – sie müssten damit rechnen, zur Verantwortung gezogen zu werden.“ Schließlich scheue jeder Unternehmer „Schlagzeilen, die schlecht fürs Image sind“.