Bildung für nachhaltige Entwicklung
CO2 und Photosynthese
In der frühen Kindheit werden die Grundlagen für Werte, Haltungen und Überzeugungen gelegt. Umwelterziehung in der Kita ist also besonders wichtig. Eine Einrichtung im brandenburgischen Rangsdorf gehört zu den Pionieren in diesem Bereich.
„Hört ihr was?“ Die Kinder bleiben stehen. Lauschen. „Ich hör den Wind“, ruft Marlen. „Ein Brummen von der Autobahn“, sagt Julian. „Die Bauarbeiter“, meint Till. Weiter geht’s. Die zwölf Vorschulkids der Kita L.i.n.O. im brandenburgischen Rangsdorf trappeln Hand in Hand an den Einfamilienhäusern entlang. Erzieherin Katrin Magalowski hebt den Arm. „Stopp! Wisst ihr, welche Pflanze das Gelbe da ist?“ „Eine Goldrute.“ „Und was verrät sie uns?“ „Dass es bald Herbst wird.“ Magalowski nickt. „Sehr gut.“
In der Kita L.i.n.O. – „Liebevolle, individuelle, naturnahe Obhut“ – steht die Erziehung zu Nachhaltigkeit ganz oben auf der Agenda. „Nachhaltigkeit ist bei uns Grundlage für alles“, sagt Kita-Gründerin Melanie Eichhorst. Die Möbel in der Einrichtung kommen wenn möglich aus nachhaltiger Produktion, gegessen werden nur saisonale Produkte aus der Region.
Einmal im Jahr besucht ein Team des Berliner Vereins Kate die Kita zum „Klimafrühstück“. Gemeinsam wird untersucht: Welchen Weg haben die Lebensmittel auf dem Frühstückstisch hinter sich? Wann wächst was? Wie können wir uns umweltgerecht ernähren? Regelmäßig sind Mitarbeiter des Südbrandenburger Abfallverbandes vor Ort, dann erklärt „Freddy, der Hamster“, was in die blauen, gelben und schwarzen Tonnen in jedem Kita-Raum reingehört. Danach wird im Wald Müll gesammelt und damit gebastelt. Manchmal experimentieren die Kids mit Solarzellen, mal gibt es einen Ausflug zu einem Windrad – wie entsteht eigentlich Windenergie?
Doch das Wichtigste ist für Eichhorst eine intensive Naturerfahrung. Geräusche wahrnehmen, Tiere entdecken, Blätter, Rinden, Moose fühlen. „Nur so lernen Kinder einen respektvollen Umgang mit den Ressourcen der Erde.“ Deshalb geht es jeden Tag raus, bei Wind und Wetter, und einmal in der Woche in den Wald.
Wie baut man ein Waldsofa?
Der Wind streicht durch die Wipfel, die Sonne malt Tupfen auf den Waldboden. Magalowski hebt die Stimme. „Kommt mal alle in den Kreis. Wisst ihr noch, was wir heute bauen wollen?“ „Ein Waldsofa“, ruft es aus einem halben Dutzend Kinderkehlen. Aber wie finden wir heraus, wie groß es sein muss, damit alle draufpassen? Till schnappt sich einen Stock und malt eine Linie um den Kinderkreis. Sie ist nur blass zu sehen, aber das reicht schon, weil Max flink ein paar Stöcke die Linie entlang legt. „Da müssen wir jetzt einfach mehr Stöcker draufstapeln“, schlägt Emelie vor. Keuchend werden große Äste, lange Äste, dicke Äste herangeschleppt und auf den Kreis gehievt. Erstaunlich schnell wächst er zu einem richtigen Waldmöbel.
Vor gut zehn Jahren, als Eichhorst ein Umweltprojekt in der Kita ihrer eigenen Kinder auf die Beine stellen wollte, wurde sie noch belächelt. Wozu brauchen wir das denn? Damals stand Bildung zur Nachhaltigkeit in keinem Bildungsplan. Also eröffnete Eichhorst 2009 mit Freunden eine eigene Kita. 2017 wurde diese von der UNESCO und dem Bundesbildungsministerium als nachhaltiger Lernort ausgezeichnet.
Heute ist „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ (BNE) in den Bildungsplänen vieler Bundesländer verankert, von Berlin bis Hessen. Auch Eichhorst gibt Fortbildungen für Fachkräfte und unterrichtet im Masterstudiengang „Umwelt und Bildung“ an der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin. Zwar wächst seit zwei Jahren die Nachfrage nach klassischen Angeboten zum Thema Natur. „Aber die Resonanz auf Fortbildungen zur Nachhaltigkeit ist verhalten“, sagt sie. Vermutlich, weil sich Fachkräfte darunter nichts Genaues vorstellen können. „Aber wenn sie einmal selbst erleben, was wir machen, sind sie begeistert.“
Das Waldsofa ist fertig. Ein Sitzring aus Geäst, der ein wenig an einen überdimensionalen Adventskranz erinnert. Zeit für das Picknick. Es wird still. „Ich finde das total gemütlich hier“, meint Emelie. „Und wenn wir das nächste Mal kommen, schauen wir mal, ob sich das Sofa verändert hat“, sagt Erzieherin Magalowski. „Zum Beispiel durch Regen und Wind, Tiere oder andere Kita-Gruppen, die hier Rast machen.“
Kooperation mit der Kommune
Alle Fachkräfte der Kita haben eine BNE-Fortbildung gemacht, finanziert von der Einrichtung. Permanent entwickelt das Team neue Ideen. Ein Projekt zum Artenschutz, zur Naturveränderung im Herbst. Immer ist Nachhaltigkeit dabei verwoben mit anderen Bildungszielen. Wie beim Waldsofabau: konzentriert an etwas arbeiten lernen, im Team anpacken, Größenverhältnisse einschätzen, Gemeinschaft leben.
Zur nachhaltigen Entwicklung gehört auch die Kooperation mit der Gemeinde. Unterstützt von der Kommune ließ die Kita für das UN-Projekt „Wir sammeln grüne Meilen“ Postkarten mit Wochentagen zum Abstempeln drucken und verteilte sie im Ort. Alle Einsendungen wurden ausgewertet: Wer sich jeden Tag zu Fuß oder mit dem Fahrrad statt mit dem Auto fortbewegt hatte, wurde auf einem Stadtfest vom Bürgermeister ausgezeichnet.
Eichhorst begeistert es immer wieder, welche komplexen Sachverhalte Kindergartenkinder verstehen können – wenn man es richtig erklärt. Zum Beispiel die Photosynthese. Unermüdlich hatten Kinder gefragt: Wieso sind Blätter grün? Die Fachkräfte entwickelten den kleinen Comic vom Blattwichtel, der Stück für Stück durch die Phasen des Umbaus von Wasser und CO2 in Glucose und Sauerstoff führt. Die Kinder schienen zu verstehen. Aber blieb wirklich etwas hängen?
Zwei Monate nach dem Projekt waren wieder die Mitarbeiter des Vereins Kate zu Besuch. Sie erzählten von zu viel CO2 in der Luft und Treibhausemissionen. Und die Kinder lachten: „Ach, das kennen wir schon. Das hängt mit der Photosynthese zusammen und die erklären wir euch jetzt mal mit der Geschichte vom Blattwichtel.“