Foto: M. Brinkmann
Der Tag beginnt mit strahlend blauem Himmel und einem fantastischen Sonnenaufgang über dem Hudson-River und Manhattan. Wie jeden Morgen wachen wir mit dem Lärm der Pressluftbohrer auf, der von der Baustelle des World Trade Centers zu uns ins Hotel hinauf dröhnt. Von unseren Zimmern im Hochhaus des Millenium Hilton Hotels blicken wir direkt auf Ground Zero hinab, wo die Bauarbeiter die ganze Woche über (auch am Sonntag!) 24 Stunden täglich den Neubau des World Trade Center hochziehen, dessen langsames Wachsen wir beobachten können. Das Millenium Hilton hat die UFT für uns gebucht, weil das Hotelpersonal hier gewerkschaftlich organisiert ist und weil die New Yorker Gewerkschaften sich gegenseitig unterstützen.
Am frühen Morgen geht es mit der U-Bahn nach Queens, einem der fünf Stadtteile von New York. Dort besuchen wir die Aviation High School, eine sehr begehrte öffentliche Schule, die SchülerInnen die Möglichkeit gibt, eine Berufsausbildung und gleichzeitig die Zulassung zur Universität zu erwerben. Wie immer müssen wir uns bei der Ankunft zunächst beim Polizeiposten am Eingang der Schule registrieren lassen, bevor wir eintreten dürfen.
Die Finanzierung der Aviation High School erfolgt über öffentliche Mittel und Zuwendungen von führenden Unternehmen der US-Luftfahrtbranche, die später von den Absolventen profitieren. Die Schule wurde 1925 in Manhattan mit zunächst nur drei Lehrkräften und einer geringen wöchentlichen Unterrichtszeit gegründet. Schon bald platzte sie aus allen Nähten, so dass 1957 der Umzug nach Queens in ein neues und großes Gebäude stattfand.
Derzeit werden an der Aviation High School etwa 300 Mädchen und 1.800 Jungen unterrichtet, davon 105 IntegrationsschülerInnen. Die Ausbildung dauert fünf Jahre. Die SchülerInnen beginnen im Alter von 13 bzw. 14 Jahren und kommen aus allen Stadtteilen New Yorks. Da die Nachfrage nach Ausbildungsplätzen die Kapazitäten bei weitem überschreitet, findet ein Auswahlverfahren statt.
Der Unterricht gliedert sich in theoretische und praktische Bereiche. Erworben werden können zwei Ausbildungslizenzen – Airframe und Powerplant. Achtzig Prozent der SchülerInnen schließen ihre Ausbildung erfolgreich ab. Absolventen, die ein technisches Studium an einer Universität beginnen möchten, wird die Ausbildung an der Schule auf die Studienzeit angerechnet. Durch zahlreiche Präsentationen an den Wänden und durch wie Appelle und Übungen der SchülerInnen zur Wachablösung ist eine Verbindung zum Militär erkennbar. Beim Einstieg in eine militärische Laufbahn starten die Absolventen mit einem höheren Dienstgrad.
Schulleiter, Lehrer und VertreterInnen der UFT begrüßen uns freundlich und informieren uns ausführlich über die Arbeit der Schule. Das Verhältnis zwischen Schulleitung und Gewerkschaft ist gut, wie uns Diane Ganz, die zuständige UFT-Gewerkschaftssekretärin für Queens, bestätigt: „Hier gibt es keine Probleme. Wir arbeiten alle gut zusammen.“
Man präsentiert uns zunächst ein von den SchülerInnen selbst gedrehtes Video über die Aviation High School. Anschließend haben wir Gelegenheit, uns in den Klassenräumen und Werkstätten, in denen die SchülerInnen ihre theoretischen und praktischen Kenntnisse erwerben, umzuschauen und umzuhören.
Der selbstverständliche Zugang für Mädchen zu einer technischen Ausbildung beeindruckt uns sehr. Die SchülerInnen erhalten Grundkenntnisse in der Metall- und Holzbearbeitung, sogar ein Fachraum zum Erlernen des Schweißens ist vorhanden. Vielfältig sind die Möglichkeiten an echten Flugzeugen und technischen Bauteilen wie Triebwerken, Motoren und Höhenrudern zu arbeiten. Fasziniert sind wir vom eigenen Hangar der Schule mit vielen Fluggeräten, an denen SchülerInnen gemeinsam und konzentriert an den ihnen gestellten Aufgaben arbeiten und ihre Arbeitsergebnisse überprüfen können.
Die Schule besitzt auf dem John F. Kennedy-Flughafen sogar ein eigenes Flugzeug, an dem jeweils eine Klasse von 25 Schülern arbeitet. Insgesamt ist auf unserem Rundgang eine angenehme und harmonische Arbeitsatmosphäre zu spüren, die von Disziplin und Konzentration geprägt ist.
Mit den vielen Eindrücken im Gepäck begeben wir uns zum Mittagessen. Unterwegs machen uns Tony Sclafani und Diane Ganz auf eine große aufgeblasene Ratte aufmerksam, die auf dem Gehweg vor einer Baustelle steht. Hier protestieren Bauarbeiter mit ihrer Gewerkschaft gegen den Besitzer einer Baufirma, der seine Arbeitskräfte schlecht behandelt, lausig bezahlt und keine Gewerkschaft im Betrieb zulässt. Da die Arbeiter kaum englisch sprechen, verständigen wir uns auf Spanisch und versichern ihnen unsere gewerkschaftliche Solidarität. Wir sind beeindruckt, wie mit diesem einfachen Mittel öffentlichkeitswirksam Aufmerksamkeit erreicht werden kann.
Am Nachmittag haben wir schließlich ein wenig Zeit, New York zu erkunden, noch einige Sehenswürdigkeiten aufzusuchen und die einzigartige Atmosphäre der Stadt aufzunehmen. Abends sind wir dann zum Abschied bei Diane eingeladen, die unsere GEW-Delegation und auch die Kolleginnen und Kollegen der UFT, die uns während der Woche in New York betreut haben, in ihrem Haus in Queens mit einem üppigen Abendessen bewirtet. Im gemütlichen Rahmen lassen wir unsere vielen Eindrücke noch einmal Revue passieren und genießen ein letztes Mal die amerikanische Gastfreundschaft.