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Personal- und Betriebsratsarbeit

Auch nach 100 Jahren nötiger denn je

Die Veränderungen in der Arbeitswelt stellen die Betriebs- und Personalräte vor Herausforderungen. Das gilt für die Digitalisierung, aber auch die Folgen des ökologischen Umbaus der Wirtschaft und Verwaltung sowie der Globalisierung.

Die betriebliche Mitbestimmung ist Ausdruck eines bestimmten Menschenbildes: Niemand darf in einem Bereich des Lebens, zumal in einem so wichtigen wie dem Arbeitsleben, völlig fremdbestimmt sein. (Foto: IMAGO/Zoonar)

Mit der Arbeitswelt insgesamt verändern sich die Anforderungen an Betriebs- und Personalräte grundlegend. Insbesondere die Digitalisierung hält die Gremien in Atem: von den Chancen und Fallstricken digitaler Gremiensitzungen über die Kontaktaufnahme zu Beschäftigten im Homeoffice bis hin zum Schutz vor Überwachung und Diskriminierung bei der Einführung komplexer IT-Systeme oder dem Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) im Personalbereich. Aber auch im Zuge des ökologischen Umbaus der Wirtschaft und Verwaltung stellen Unternehmen und Dienststellen ihre Arbeitsabläufe um. Dadurch steht vielerorts das Thema Klima- und Umweltschutz erstmals auf der Agenda der Gremien. Der dritte Megatrend, die Globalisierung, hat seine Dynamik zuletzt verändert. Dennoch schreitet die globale Vernetzung in vielen Unternehmen voran.

Aktuelle Veröffentlichungen weisen darauf hin, dass Personal- und Betriebsräte die Herausforderungen annehmen und eine wichtige Rolle für die soziale Dimension der Transformationsthemen spielen. Man denke nur an die Vereinbarungen zum Homeoffice, aber auch zum Kurzarbeitergeld, die in der Corona-Pandemie Beschäftigung gesichert haben, wie eine Auswertung der Betriebsrätebefragung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) zeigt.

Zahl der Beschäftigten mit Personal- oder Betriebsrat sinkt

Sorgen bereitet allerdings der Trend, dass immer weniger Beschäftigte in Deutschland durch einen Personal- oder Betriebsrat vertreten werden; nach Daten des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) betraf dies 2022 nur noch 43 Prozent der Beschäftigten, im Bildungsbereich wird gerade im Osten Deutschlands von einer weiter sinkenden Verbreitung berichtet. Das ist aus verschiedenen Gründen ein Problem. Betriebs- und Personalräte haben die Aufgabe, darüber zu wachen, dass die zu Gunsten der Beschäftigten eingreifenden Gesetze und sonstigen Rechtsvorschriften eingehalten werden. Staatliche Kontrollen sind selten – in den Betrieben gibt es statistisch gesehen nur alle 40 bis 50 Jahre eine Arbeitsschutzkontrolle. Mitbestimmungsfreie Zonen führen also zu Lücken bei der Einhaltung grundlegender Beschäftigtenrechte.

Die Aufgaben der Betriebs- und Personalräte gehen aber weit über eine Kontrollfunktion hinaus. Durch betriebliche Vereinbarungen gestalten sie wichtige Regeln in Betrieb und Dienststelle. Dies entlastet den Staat als Regelsetzer, weil allgemeine Gesetze auf betriebliche Besonderheiten heruntergebrochen werden. Verschiedene Studien zeigen zudem, dass mitbestimmte Unternehmen erfolgreicher sind, weil beispielweise die Aus- und Weiterbildung passgenauer funktioniert oder Digitalisierung und Nachhaltigkeit erfolgreicher laufen. Ein weiteres Beispiel: Mit dem Lieferkettengesetz haben die Gremien Instrumente, internationale Solidarität voranzubringen, wie die Arbeitsrechtsprofessorin Reingard Zimmer in einer Studie des Hugo Sinzheimer Instituts aufzeigt.

Niemand darf in einem Bereich des Lebens, zumal in einem so wichtigen wie dem Arbeitsalltag, völlig fremdbestimmt sein.

Vor allem aber ist die betriebliche Mitbestimmung Ausdruck eines bestimmten Menschenbildes: Niemand darf in einem Bereich des Lebens, zumal in einem so wichtigen wie dem Arbeitsalltag, völlig fremdbestimmt sein. Lohnabhängig Beschäftigte brauchen daher eine Stimme und eine ernsthafte Möglichkeit, Einfluss auf Entscheidungen zu nehmen, die sie betreffen. Hierzu trägt die betriebliche Mitbestimmung entscheidend bei – und zwar neben den bekannten Elementen wie dem Abschluss von Vereinbarungen auch durch ein oft unsichtbares Engagement: die vielen Gespräche in den Sprechstunden der Betriebs- und Personalräte und an den Arbeitsplätzen im Betrieb, das mühsame Studium der Gesetzestexte, die vielen Verhandlungen mit dem Arbeitgeber.

Die betriebliche Mitbestimmung ist damit Ausdruck grundlegender Prinzipien des Grundgesetzes. Dieses bildet zwar das rechtliche Fundament der unternehmerischen Macht in der Wirtschaft – aber nicht schrankenlos. Ob Demokratieprinzip, Sozialstaatsgebot oder Menschenwürde: Dass die betriebliche Mitbestimmung ein Gut mit Verfassungsrang darstellt, ist unbestreitbar.

Mitbestimmung an moderne Arbeitswelt anpassen

Seit ihrer Entstehung ist dieses Gut eng mit der Gewerkschaftsbewegung verbunden. Der Vorläufer des heutigen Betriebsverfassungsgesetzes, das Betriebsrätegesetz von 1920, wurde von großen Teilen der Rätebewegung seinerzeit zwar abgelehnt. Dennoch war das Gesetz eines der Ergebnisse der gewerkschaftlichen Kämpfe für mehr Mitbestimmung. Auch heute noch werden Betriebsrat und Gewerkschaft oft in einem Atemzug genannt. Durch die juristische Brille betrachtet handelt es sich um zwei voneinander getrennte Institutionen. Erst der demokratische betriebliche Wahlakt verbindet sie: Belegschaften wählen meist (aber nicht immer) eine gewerkschaftliche Vertretung. Und umgekehrt gelingt es den Gewerkschaften in mitbestimmten Unternehmen besser, eine Tarifbindung herzustellen. Auch im Interesse guter, tariflich geregelter Arbeit brauchen wir daher betriebliche Mitbestimmung.

„Die sozial-ökologische Transformation und die Digitalisierung können nur mit den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern wirksam gestaltet werden.“ (aus dem Koalitionsvertrag)

Wie also lässt sich der Trend umkehren und die betriebliche Mitbestimmung stärken? Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat eine klare Antwort gefunden: Die gesetzlichen Grundlagen der betrieblichen Mitbestimmung müssen an die neuen Entwicklungen in der Arbeitswelt angepasst werden. So liegt die letzte grundlegende Reform des Betriebsverfassungsgesetzes mehr als 50 Jahre zurück. Ein Gesetzentwurf, der auf die Vorarbeit wichtiger Gewerkschaftsjuristinnen und -juristen zurückgeht, wirft die zentralen Themen auf. Innovativ ist etwa der Vorschlag, eine Demokratiezeit einzuführen, in der sich die Angehörigen des Betriebs – ob aus dem Homeoffice, dem Außendienst oder vom Präsenzarbeitsplatz – während der Arbeitszeit über betriebliche Themen austauschen – und sei es über die Notwendigkeit einer Interessenvertretung.

Der Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung enthält die schöne Aussage: „Die sozial-ökologische Transformation und die Digitalisierung können nur mit den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern wirksam gestaltet werden.“ Diese Erkenntnis muss dringend mit Leben gefüllt werden.