Zum Inhalt springen

Bildung für nachhaltige Entwicklung

500 Lux mit sieben Jahren Garantie

Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) soll Menschen zu zukunftsfähigem Handeln befähigen. Was liegt da näher, als den ökologischen Fußabdruck der eigenen Schule zu verkleinern? Ein Besuch in Berlin.

„Wissen ist Macht“ haben Schülerinnen und Schüler des Robert-Havemann-Gymnasiums an die Fassade gesprüht – und das gilt auch für das Ziel, das sich der Physik-Kurs von Christian Strube gesetzt hat: Bei der Suche nach Alternativen zu den alten 60-Watt-Leuchtstoffröhren in ihrem Raum haben sie verschiedene Lichtquellen auf Leuchtkraft, Lebensdauer und Lichtqualität geprüft. Dabei erwiesen sich die billigsten LED-Leuchten als wenig günstig: „Wir haben gemessen, dass nach 5.000 Stunden nur noch 60 Prozent Leuchtkraft übrig sind“, erklärt Strube, „für einen Klassenraum, in dem 500 Lux vorgeschrieben sind, ist das zu wenig.“ Zudem flackern die Röhren, für die Augen kaum wahrzunehmen, für das Hirn dennoch anstrengend.

Der Kurs entschied sich – unterstützt durch ein Klimaschutz-Projekt der Senatsumweltverwaltung – für nachhaltigere, aber teurere LED-Röhren mit sieben Jahren Garantie. Heute werden diese von Hausmeister Michael Weihrauch angebracht. Zuvor messen die Schülerinnen und Schüler mithilfe einer an der RWTH Aachen für physikalische Experimente entwickelten App, wieviel Lux die alten Röhren noch hergeben; und rechnen aus, was sie künftig durch die neuen Röhren an Euro und C02 -einsparen.

Bildung für nachhaltige Entwicklung kann viele Formen und sich einer Vielzahl von Themen annehmen. Die UNESCO, die das Thema seit Beginn des Jahrtausends mit einer UN-Dekade, weltweiten sowie nationalen Aktionsplänen, Plattformen und Projekten voranbringt, spricht von einer Bildung, die Menschen „zu zukunftsfähigem Denken und Handeln befähigt“ und so ermöglicht, „die Auswirkungen des eigenen Handelns auf die Welt zu verstehen und verantwortungsvolle Entscheidungen zu treffen“.

In Deutschland sind unter dieser Prämisse eine Reihe Titel entstanden, in denen die Bundesländer BNE – mehr oder weniger tief – in Curricula und Rahmenlehrplänen verankert haben. Ebenso können sich Schulen an einer Reihe von Siegeln, Zertifikaten und Wettbewerben beteiligen, die ein Netzwerk, den Zugang zu Materialien, Beratung und Geld oder Kombinationen dessen bieten. Es gibt Klima- und Umweltschulen, UNESCO-Schulen, Faire und Fairtrade-Schulen.

„Köpfchen statt Kohle“

Das Havemann-Gymnasium wurde jüngst bereits zum sechsten Mal als „Berliner Klimaschule“ ausgezeichnet. Zwischen Lernwerkstatt Energie und Solarlabor zeugt eine Wand voller weiterer Urkunden von den Erfolgen der Schule. „Wir machen immer mit“, erklärt Strube, „vieles können wir uns nur leisten, weil wir an Programmen und Wettbewerben teilnehmen.“ Für vier spezielle Energielernlabors und -räume sowie eine Wind-, Solar- und Biogasanlage auf dem Dach gilt das ebenso wie für die neuen LED-Lampen und bereits länger installierte CO2-Messgeräte. Letztere zeigen in etwa einem Drittel der Räume an, ob wieder einmal stoßgelüftet werden sollte.

Wie wenig Energiesparen im Regelbetrieb angekommen ist, macht die Anekdote deutlich, die 2013 den Anstoß für das Engagement gab: Nach einem Umbau fiel eher zufällig auf, dass das Licht in den mehreren Hundert Metern Flur Tag und Nacht brannte; ausstellen konnte es nur der Hausmeister am Sicherungskasten. Versuche, das Bezirksamt zu mobilisieren, schlugen zunächst fehl. „Das ist ja auch nicht so einfach“, konstatiert Strube, „für Schulisches ist die Schulstadträtin zuständig, für Bauliches der Baustadtrat. Und für die Umsetzung muss das Hochbauamt an den Tisch. Aktuell plant das Hochbauamt zwölf Schulen gleichzeitig. Und dann kommen noch Lehrer, die sagen: Dies und das funktioniert nicht.“

Auch hier half ein außerschulisches Projekt namens „Köpfchen statt Kohle“ bei der Vermittlung eines Termins und unterstützte ein erstes Energiebildungsprojekt – die Ausbildung von Schülerinnen und Schülern zu Energiemanagern. Inzwischen, ergänzt Strube, sei der Draht zum Bezirks-amt „erfreulich kurz“. Und außer den Schülern ziehen die Schulleitung und der Hausmeister mit: „Wenn der nicht dabei ist, können Sie das vergessen“, sagt Strube.

„Köpfchen statt Kohle“, das über acht Jahre Schulen in den Berliner Bezirken Pankow und Lichtenberg beim Energiesparen begleitete, lief allerdings 2018 aus. Arbeitslehre-Lehrer Lutz Prill, der in der mit Projektgeldern eingerichteten Energiewerkstatt am Havemann-Gymnasium schon Grundschülerinnen und -schüler an das Thema heranführt, sagt, damit falle wichtige Unterstützung weg: „Wir bauen zum Beispiel mit den Kindern solarbetriebene Mikroventilatoren, die sie mit nach Hause nehmen können. Ohne das Projekt müssen wir die Lehrkräfte bitten, von jedem Kind fünf Euro einzusammeln. Das macht es für alle Beteiligten komplizierter.“

„Bildung für nachhaltige Entwicklung basiert auf einem dreistufigen Kompetenzmodell: erkennen, bewerten, handeln. Mit reiner Wissensvermittlung ist es nicht getan.“ (Nicola Fürst-Schuhmacher)

Der Berliner Rahmenlehrplan unterstützt das Engagement im Grunde. Seit 2017 ist „Nachhaltige Entwicklung/Lernen in globalen Zusammenhängen“ als Querschnittsaufgabe festgeschrieben. „Das ist gut“, sagt Strube, „jonglieren müssen wir dennoch: Den Physik-Lehrplan, der mit G8 noch einmal straffer geworden ist, müssen wir auch erfüllen. Nicht immer passt das gut zusammen.“ Harry Funk, der in der Senatsschulverwaltung Klimabildung und BNE mitverantwortet, sagt, Berlin habe mit dem Rahmenlehrplan eine Vorreiterrolle übernommen, die Schulstruktur im Sinne von BNE zu verändern: „Die Schulen sind erstmals gefordert, in ihren schulinternen Curricula festzuhalten, wann und wie sie sich dem Thema widmen.“

Immer mehr fänden seither Wege, einen Gesamtansatz in ihre Schulentwicklung zu integrieren. Funk: „Dennoch kann es für Schulen richtig sein, zunächst mit einzelnen Projekten zu starten – aus denen später ein Gesamtkonzept entstehen kann. Das erleben wir immer wieder.“ Auf dem Weg dorthin sei das Mitmachen bei einschlägigen Programmen hilfreich, die außerdem häufig – so etwa die Umweltschulen in Europa – ebenfalls auf schulweite und nicht nur projektweise Verankerung setzten. Große Bedeutung in dem weiten Feld BNE hätten zudem außerschulische Kooperationspartner.

„Bildung für nachhaltige Entwicklung basiert auf einem dreistufigen Kompetenzmodell: erkennen, bewerten, handeln. Mit reiner Wissensvermittlung ist es nicht getan.“ Deswegen sei es wichtig, von schulinternen Projekten über die Kultusministerien bis zur nationalen und der UN-Ebene „an ganz vielen Rädern zu drehen“. Das erklärt Nicola Fürst-Schuhmacher, Leiterin der Abteilung Schulische Bildung bei Engagement Global. Die Servicestelle wurde 2012 als zentrale Ansprechpartnerin für entwicklungspolitisches Engagement gegründet; Auftraggeberin ist die Bundesregierung, das Geld kommt vom Bundesentwicklungsministerium (BMZ). 150 der 600 Beschäftigten befassen sich mit Fragen von BNE in Bildungseinrichtungen.

Wer sich allerdings von außen kommend dem Thema widmet, dem schwirrt schnell der Kopf – nicht nur vor Wettbewerben, sondern auch vor Papieren: Es gibt einen vom Bundesbildungsministerium (BMBF) herausgegebenen Nationalen Aktionsplan Bildung für nachhaltige Entwicklung, einen Orientierungsrahmen für den Lernbereich Globale Entwicklung im Rahmen einer Bildung für Nachhaltige Entwicklung (KMK, BMZ), beide basierend auf Material der Vereinten Nationen und der UNESCO. Hinzu kommen Leitperspektiven, Strategien und Rahmenlehrpläne in den Bundesländern.

Achim Beule, der als – inzwischen ehemaliger – Berichterstatter der Kultusministerkonferenz (KMK) für BNE den Orientierungsrahmen federführend mit betreute, sagt: „Nicht jede Lehrkraft muss die Dokumente im Detail gelesen haben. Doch jedes hat jene gestärkt, die sich in Bildungsverwaltungen und zivilgesellschaftlichen Organisationen für das Thema einsetzen – nach dem Motto: ‚Schaut, wir müssen etwas machen‘.“ In Baden-Württemberg, wo Beule im Kultusministerium als Fachreferent für das Bildungskonzept BNE zuständig ist, wurde BNE im 2016er-Bildungsplan als allgemeine Leitperspektive in fast allen Fächern festgeschrieben.

„Die bisherigen Anstrengungen, die Entwicklung der Welt nachhaltiger zu gestalten, reichen bei weitem nicht aus.“ (Mannheimer Appell der Deutschen UNESCO-Kommission)

Zuletzt machten Entwicklungen in der Lehrkräftebildung Mut – etwa die Verankerung von BNE als Querschnittsaufgabe in der ersten Phase der Lehrkräftebildung sowie Seminare für die Aus- und Fortbildung in der zweiten Phase der Ausbildung. „Bildung für nachhaltige Entwicklung ist kein schnuckeliges Beiwerk mehr“, konstatiert Beule. Auch die Fridays-for-Future-Bewegung bewirke Positives: „Diese motiviert nicht nur Schülerinnen und Schüler, sondern auch Lehrkräfte und Ministerien, sich noch intensiver mit Themen einer nachhaltigen Entwicklung auseinanderzusetzen.“

Motiviert hat das Engagement von Schülerinnen und Schülern auch Erik Harloff. Vor der Gesamtkonferenz seines Berliner Gymnasiums hielt der Informatiklehrer zu Schuljahresbeginn angesichts der „Schieflagen auf der Welt bei Klima und Umwelt“ ein deutliches Plädoyer für mehr Zusammenarbeit. Über den Sommer gründete Harloff das Netzwerk „Schools For Future“.  Die Idee: An möglichst vielen Schulen sollen Teams entstehen, die sowohl die außerschulischen Fridays-for-Future-Aktivitäten stärken wie auch innerschulisch wirken. Via Netzwerk-Website soll über einzelne Projekte informiert werden. Insgesamt, bilanziert er, könnten die „gesellschaftlichen Epizentren Schulen“ noch deutlich mehr bewirken.

Wie die protestierenden Schülerinnen und Schüler glaubt auch Harloff, es sei „allerhöchste Eisenbahn“, von der „ganz normalen Behäbigkeit“ im Schulalltag Abstand zu nehmen: „Viel Zeit bleibt uns nicht.“ Wem das zu alarmistisch klingt: Die Deutsche UNESCO-Kommission sieht das übrigens ganz ähnlich. In deren „Mannheimer Appell“ von Juni dieses Jahres steht als oberster Satz: „Die bisherigen Anstrengungen, die Entwicklung der Welt nachhaltiger zu gestalten, reichen bei weitem nicht aus.“