Zum Inhalt springen

Feministische Zeitpolitik

32-Stunden-Woche für alle!

Fachleute sind überzeugt: Ein Schritt zu mehr Geschlechtergerechtigkeit auf dem Arbeitsmarkt führt über eine gerechtere Aufteilung von Sorge- und Lohnarbeit. Dazu braucht es neue Arbeitszeitmodelle.

Kürzere Schichten, kürzere Arbeitszeiten, denn acht Stunden sind kein Tag, wie schon Rainer Werner Fassbinder erkannte. (Foto: IMAGO/Winfried Rothermel)

Frauen wenden im Schnitt täglich 1,5 Stunden mehr für Sorgearbeit auf als Männer, der Gender-Care-Gap beträgt 52 Prozent. Um dieses Ungleichgewicht zu verändern, muss nicht nur die Erwerbstätigkeit der Frauen gesteigert werden: Auch Männer müssen aktiviert werden, mehr Sorgearbeit zu übernehmen. Ein wichtiges Instrument, um eine partnerschaftliche und gerechte Aufteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit zu fördern, sind flexiblere Arbeitszeitmodelle.

Dazu liegen bereits verschiedene Konzepte und Vorschläge auf dem Tisch, von denen hier eine Auswahl vorgestellt wird. Unter den Akteuren ist auch die GEW, die eine verkürzte Vollzeit für alle fordert. 2021 veröffentlichte sie das Diskussionspapier Feministische Zeitpolitik, darin plädiert sie für eine 32-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich.

Optionszeitmodell und Wahlarbeitszeitgesetz

Zu den Pionieren beim Thema Arbeitszeit zählt die IG Metall: Sie setzte 2018 die zeitweise verkürzte Vollzeit bis auf 28 Wochenstunden durch. Möglich ist dies für sechs bis 24 Monate, dann kann ein Folgeantrag gestellt werden. Wer Kinder erzieht oder Angehörige pflegt, kann zudem das Tarifliche Zusatzgeld (T-ZUG) in Zeit umwandeln und maximal acht weitere Tage im Jahr freinehmen.

Das Deutsche Jugendinstitut (DJI) und die Universität Bremen entwickelten das Optionszeitmodell mit Care-Zeitbudget. Dieses sieht vor, dass alle Beschäftigten etwa neun Jahre zur Verfügung haben, um die Erwerbsarbeit zu unterbrechen oder zu reduzieren, aber finanziell abgesichert sind. Sechs Jahre sind für Sorgearbeit, zwei Jahre für Weiterbildungen und ein Jahr für Selbstsorge gedacht.

Vom Deutschen Juristinnenbund (djb) kam bereits 2015 der Vorstoß für ein Wahlarbeitszeitgesetz: Arbeitgeber und Beschäftigte erstellen gemeinsam mit Betriebsräten und Gewerkschaften Arbeitszeitkonzepte und bringen so persönliche und betriebliche Interessen zusammen. Die Idee dahinter ist, dass eine selbstbestimmte Erwerbsbiografie mehr Gleichberechtigung ermöglicht.

Mehr Teilzeit in Westdeutschland

Neben neuen Arbeitszeitmodellen sind finanzielle Anreize möglich, um Lohn- und Sorgearbeit gerechter zu verteilen. Die Sachverständigenkommission für den 9. Familienbericht empfahl eine veränderte Aufteilung der Elternzeitmonate und eine Dynamisierung des Elterngeldes: Teilten sich beide Elternteile die Elternzeit gleichmäßig auf, erhielten sie über die gesamte Zeit 80 Prozent Einkommensersatz.

In ähnliche Richtungen denkt das zivilgesellschaftliche Bündnis „Sorgearbeit fair teilen“. Vor der Bundestagswahl 2021 veröffentlichte es sechs Forderungen, darunter: eine Entgeltersatzleistung für Pflegende, zehn Tage Freistellung für Väter beziehungsweise des zweiten Elternteils in der Zeit rund um die Geburt mit vollem Lohnersatz, die Abschaffung der Lohnsteuerklasse V und Einführung der Individualbesteuerung sowie die öffentliche Förderung haushaltsnaher Dienstleistungen.

Wie stark eine faire Aufteilung der Sorgearbeit derweil weiter mit dem Angebot der Kinderbetreuung zu tun hat, zeigten 2020 veröffentlichte Zahlen des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung. Demnach lag die Teilzeitquote der Frauen in Westdeutschland mit 48,6 Prozent deutlich über der in Ostdeutschland mit 34,7 Prozent. Zeitgleich wurden in den östlichen Bundesländern 41,4 Prozent der Kinder, die jünger als drei Jahre sind, und 74,8 Prozent der Drei- bis Sechsjährigen ganztags nicht zu Hause betreut. Im Westen waren es nur 14,3 beziehungsweise 40,5 Prozent.