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Arbeitszeiterfassung in der Wissenschaft

11 Antworten auf 11 populäre Vorbehalte

Gegenüber der Pflicht zur Arbeitszeiterfassung in der Wissenschaft gibt es viel Skepsis. Die GEW antwortet auf bestehende Vorbehalte und plädiert dafür, Zeiterfassung als Instrument des Arbeits- und Gesundheitsschutzes aktiv mitzugestalten.

Die GEW legt die Argumentationshilfe „Arbeitszeiterfassung in der Wissenschaft“ vor. (Foto: Pixabay / CC0)

Laut DGB-Hochschulreport arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die vertraglich festgelegt 20 Stunden pro Woche arbeiten, im Durchschnitt 31,3 Stunden wöchentlich – machen also 11,3 Überstunden. Wer vertraglich zwischen 25 und 30 Stunden pro Woche – also durchschnittlich 28,2 Stunden – arbeiten muss, kommt auf 37,3 tatsächliche Arbeitsstunden. Dennoch gibt es viele Vorbehalte gegen die vom Bundesarbeitsgericht (BAG) 2022 beschlossene Pflicht zur Arbeitszeiterfassung in der Wissenschaft. Die GEW hat daher eine Argumentationshilfe veröffentlicht und plädiert dafür, Zeiterfassung als Instrument des Arbeits- und Gesundheitsschutzes aktiv mitzugestalten.

 „Die Beschäftigten in Hochschulen und Forschungseinrichtungen haben sich in hohem Maße an Selbstausbeutung und nicht bezahlte Mehrarbeit gewöhnt.“ (Andreas Keller)

Andreas Keller, GEW-Vorstandsmitglied Hochschule und Forschung, betonte: „Die Beschäftigten in Hochschulen und Forschungseinrichtungen haben sich in hohem Maße an Selbstausbeutung und nicht bezahlte Mehrarbeit gewöhnt. Dies gilt in besonderem Maße für die vielen Teilzeitbeschäftigten in der Wissenschaft. Die GEW kämpft gegen solcherart Gehaltskürzungen auf kaltem Wege.“

Vorbehalte entkräften

Susanne Gnädig, Vorsitzende des Personalrates für das wissenschaftliche Personal an der Universität Potsdam, berichtete: „Viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fürchten einen Verlust an Autonomie, mehr Bürokratie, mehr Leistungskontrolle oder sagen, eine Stechuhr passe nun einmal nicht zur Wissenschaft. Für die Personalräte kommt es auf zwei Dinge an: Zum einen müssen wir den vielen reflexartig vorgetragenen Vorbehalten überzeugend entgegentreten. Zum anderen müssen wir gemeinsam nach angemessenen und flexiblen Arbeitszeitreglungen für die wissenschaftliche Arbeit suchen.“

„Arbeitszeiterfassung bringt Sichtbarkeit und Fairness zwischen den Beschäftigten mit und ohne Sorgeverantwortung.“ (Simone Claar)

Für Simone Claar, Postdoc an der Universität Kassel, ist ein Aspekt besonders wichtig: „Arbeitszeiterfassung bringt Sichtbarkeit und Fairness zwischen den Beschäftigten mit und ohne Sorgeverantwortung. Oft muss ich mir anhören, ein*e Wissenschaftler*in sei immer im Dienst. Doch diese männlich geprägte Arbeitskultur ist Teil von täglich gelebter Diskriminierung. Auch Beschäftigte an den Hochschulen haben das Recht, vor solch einem entgrenzten Arbeitsleben geschützt zu werden.“

Das BAG hatte am 13. September 2022 klargestellt (1 ABR 22/21), dass Arbeitgeber verpflichtet seien, die Arbeitszeiten ihrer Beschäftigten systematisch und vollständig zu erfassen, und zwar ab sofort, nicht erst nach der angekündigten, aber noch ausstehenden Änderung des Arbeitszeitgesetzes. Das gelte auch in der Wissenschaft. Unter dem Motto „Erfassung ja – Stechuhr nein“ begrüßte die GEW den Beschluss.

11 populäre Vorbehalte gegen die Arbeitszeiterfassung in der Wissenschaft - 11 Antworten

Vertrauensarbeitszeit ist ein hohes Gut, das es Beschäftigten erlaubt, selbst zu entscheiden, wann und wo sie am effektivsten, kreativsten und im Einklang mit ihren sonstigen Verpflichtungen arbeiten. Mit diesem Aspekt wissenschaftlicher Arbeit sind die meisten hoch zufrieden. Es gilt also, diese Autonomie zu verteidigen. Die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung hätte zur Folge, dass die mit der Vertrauensarbeitszeit verbundene Autonomie verloren ginge.

Antwort GEW

Wenn „Vertrauensarbeitszeit“ heißt, dass auf die Aufzeichnung der tatsächlich geleisteten Arbeitszeit verzichtet wird, werden wirksamer Gesundheitsschutz und die Einhaltung von tarifvertraglich geschütztem Lohn verhindert. Denn ohne die Aufzeichnung der Arbeitszeit hat der Arbeitgeber keine Möglichkeit zu prüfen, ob der tatsächliche Workload zu der zur Verfügung stehenden und bezahlten Arbeitszeit passt. Und auf der anderen Seite haben auch die Beschäftigten keine Möglichkeit, Entlastung und Ausgleich von Überstunden zu verlangen und wirksam durchzusetzen.

Das BAG hält in seinem Urteil vom 13. September 2022 (1 ABR 22/21) zuvorderst fest, dass Arbeitgeber nur durch die Aufzeichnung der Arbeitszeit ihrer Pflicht zum Schutz vor Überlastung nachkommen können. Es sagt jedoch nicht, dass Arbeitnehmer*innen nicht souverän über ihre Arbeitszeit – unter Einhaltung der gesetzlichen Arbeitszeitgrenzen – bestimmen dürfen. Anders als bis heute in der Wissenschaft üblich, ist nun (lediglich) geklärt, dass Arbeitnehmer*innen auch im Rahmen der Vertrauensarbeitszeit zur Erfassung ihrer Arbeitszeit verpflichtet sind.

Wie in allen anderen Branchen verhindert natürlich auch in der Wissenschaft die Arbeitszeiterfassung keinesfalls eine Arbeitsort- und Zeitflexibilität. Arbeitszeiterfassung und mobiles Arbeiten schließen sich nicht aus. Es gilt daher, proaktiv Vorschläge zu entwickeln, wie unter den dringend notwendigen Maßnahmen des Gesundheitsschutzes die Flexibilität nicht leidet. Die GEW legt dafür einen Vorschlag für eine Muster-Dienstvereinbarung bzw. Betriebsvereinbarung vor.

Von der Arbeitszeiterfassung zur Leistungskontrolle ist es nicht weit. Durch die Arbeitszeiterfassung werden Beschäftigte zusätzlich unter Druck gesetzt, denn sie erlaubt einen Rückschluss darauf, wie effektiv sie arbeiten. Das erhöht den Konkurrenzdruck einmal mehr und zerstört Vertrauen. Die Arbeitszeiterfassung stellt eine Form der Leistungskontrolle dar, die nicht zur Wissenschaft passt und die ohnehin bestehenden Abhängigkeitsverhältnisse – insbesondere befristetet Beschäftigter – weiter verschärft.

Antwort GEW

Arbeitszeiterfassung bedeutet Erfassung von Arbeitszeit und nicht Erfassung von Arbeitsinhalten sowie -aufgaben bzw. deren Erfüllung (siehe auch Vorbehalt 5). Damit dies keine unerwünschte Nebenfolge der Arbeitszeiterfassung werden kann, müssen Personal- und Betriebsräte darauf achten, dass ein Monitoring der Arbeitszeit nicht durch die unmittelbaren Vorgesetzten der Beschäftigten erfolgt. Sie sollten darauf hinwirken, dass unabhängige Personen, sog. Arbeitszeitbeauftragte, damit betraut werden. Diese greifen nur ein, wenn deutlich zu wenig oder zu viel gearbeitet wird; Gespräche zum Thema Arbeitszeit finden dann unter Beteiligung dieser Personen statt. So ist es auch weiterhin möglich, die Verantwortung für die Einhaltung der Arbeits- und Pausenzeiten im Sinne einer Selbstkontrolle bzw. Vertrauensarbeitszeit den Beschäftigten zu überlassen.

Ich gehöre zu dem Schlag Wissenschaftler, für die Zeit keine Rolle spielt. Eine klare Trennung von Freizeit und wissenschaftlicher Arbeit ist weder möglich noch erstrebenswert. Wissenschaftliche Arbeit ist schließlich nicht zu vergleichen mit Verwaltungs- oder Sekretariatstätigkeiten.

Antwort GEW

Tag und Nacht für die Wissenschaft zu brennen, deutet auf eine hohe Zufriedenheit mit den Inhalten der Arbeit hin. Das ist ein unbestreitbar hohes Gut. Doch diese heroische Haltung („Der Wissenschaftler ist immer im Dienst“) zu übernehmen und in arbeitsrechtliche Kategorien zu übersetzen, bedeutet den Verzicht auf alle Arbeitsschutzregeln, für die Generationen vor uns gekämpft haben. Es ist die Bereitschaft, auszubrennen und sich dabei maximal ausbeuten zu lassen. Denn: Selbstverständlich haben auch Wissenschaftler*innen Schutzbedürfnisse. Selbstverständlich müssen sie sich zwischen den Arbeitszeiten regenerieren und soziale Beziehungen über die Arbeit hinaus pflegen. Ohne eine verbindliche Regulierung der Arbeitszeit geben wir diesen Schutz auf und insbesondere Menschen mit Sorgeverantwortung haben das Nachsehen.

Das würde die mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts fortschreiben, weil Frauen noch immer mehr Care-Arbeit übernehmen. Selbstverständlich bemisst sich das Gehalt auch bei Wissenschaftler*innen an der vereinbarten Arbeitszeit. Mit der selbsterklärten Bereitschaft, 24/7 zu arbeiten, egal, was im Arbeitsvertrag steht, verzichten wir auf den eigenen Anspruch auf angemessenen Lohn. Zu guter Letzt: Eine Abgrenzung gegenüber Sekretär*innen und anderen, die nicht explizit wissenschaftlich beschäftigt sind, ist wenig hilfreich. Erstens denken nicht nur Wissenschaftler*innen nach Dienstschluss über das eine oder andere Problem nach, das mit der Arbeit zu tun hat. Zweitens gilt es, bestehende Modelle der Arbeitszeiterfassung nicht als einzig mögliche für die Wissenschaft zu kopieren, sondern hier klug modifizierte Modelle zu entwickeln. Die GEW leistet hierbei Unterstützung.

Projektlogik, notwendige Labor- und Feldforschungsarbeiten, der Rhythmus von Vorlesungs- und vorlesungsfreier Zeit sprengen das Korsett eines geregelten Zeitrahmens. Wissenschaftler*innen, die sich qualifizieren oder eine Projektdeadline einhalten müssen, haben in dieser Zeit keine Chance, „Überstunden“ abzufeiern, weil ihre Uhr – die Höchstbefristungsdauer – tickt oder weil von der Einhaltung der Deadline potenziell die Erfolgschance des nächsten Projektantrags abhängt.

Antwort GEW

Projektlogik sowie unterschiedliche Arbeitszeitrhythmen im Laufe des Jahres prägen das wissenschaftliche Arbeiten und verlaufen oft nicht Nine-to-five, Montag bis Freitag. Doch dies ist kein Alleinstellungsmerkmal der Wissenschaft, dasselbe gilt für projektorientiertes Arbeiten in allen Branchen. Entsprechend gibt es angemessene Modelle, die Arbeitszeit zu regeln und zu erfassen, von denen auch die Wissenschaft lernen kann. Der Leistungsdruck, der aus dem Qualifizierungsanspruch erwächst, ist vor allem der Befristung geschuldet. Gerade darum gilt es, die Arbeitszeit zu erfassen, damit Wissenschaftler*innen in der Qualifizierungsphase in die Lage versetzt werden, sachfremde Mehrarbeit abzuwehren und die ihnen nach § 53 Abs. 2 Hochschulrahmengesetz oder ggf. nach dem geltenden Landeshochschulgesetz vertraglich zustehende Zeit für die eigene Qualifizierung entsprechend durchzusetzen – und zwar mit Unterstützung der betrieblichen Interessenvertretung. Nur die Erfassung der Arbeitszeit öffnet hierfür die Tür. Ohne sie bleibt nur das Vertrauen auf die Fürsorge des Vorgesetzten – und dieses Vertrauen wurde zu oft und zu nachhaltig enttäuscht.

Eine vollständige Erfassung aller Tätigkeiten wissenschaftlich Beschäftigter ist unrealistisch. Gerade Forschung und Qualifizierung gehen vielfach ineinander über und sind nicht quantifizierbar. Nur die gebundene Arbeitszeit kann systematisch erfasst werden, u. a. Lehre, Sitzungszeiten, Sprechstunden.

Antwort GEW

Arbeitszeiterfassung bedeutet für Beschäftigte die Aufzeichnung ihrer Arbeitszeit, nicht jedoch die während dieser getätigten Arbeitsaufgaben. Eine Verpflichtung zur differenzierten Erfassung der Tätigkeiten folgt aus geltendem Recht nicht. Freiwillig kann eine Erfassung entlang der großen Tätigkeitsbereiche Lehre, Forschung, Selbstverwaltung/Service und Qualifizierung erfolgen. So kann die Zeiterfassung eine Chance sein, zu einer realistischen Bemessung der Tätigkeiten wissenschaftlicher Beschäftigter zu gelangen, an deren empirischer Grundlage es bisher weitgehend mangelt. Insbesondere dort, wo die Hochschulgesetze einen verlässlichen Zeitanteil zur Qualifizierung für akademische Beschäftigte festschreiben, lohnt es sich zumindest, diesen Bereich gesondert auszuweisen. Schließlich ist hinlänglich bekannt, dass die Qualifizierung zu oft zulasten von Lehrstuhl-/Bereichsaufgaben nachrangig oder eben in der Freizeit bearbeitet wird.

Aber auch wenn einige Hochschulgesetze diesen Zeitanteil für die Qualifizierung nicht regeln, sind Qualifizierungsbefristungen nach dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz nur dann zulässig, wenn die Stelle auch zur Qualifizierung geeignet ist – und dann gilt § 53 Abs. 2 Hochschulrahmengesetz. So könnte die Zeiterfassung indirekt die Chance bieten, die Qualifizierungsbedingungen zu verbessern.

Bei der Arbeit an Forschungsthemen und Qualifizierung gibt es ein individuell sehr unterschiedliches Arbeitszeitaufkommen. Zu befürchten ist, dass es zu Ungerechtigkeit bei der Erfassung zwischen effizient und ineffizient arbeitenden Wissenschaftler*innen kommen wird. Langsame bummeln Mehrarbeit ab, Effiziente sammeln keine zusätzlichen Stunden an.

Antwort GEW

Die vertraglich vereinbarten Tätigkeiten müssen innerhalb der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit zu erledigen sein. Weil Qualifikation und Forschungsaufgaben zu den Arbeitsaufgaben gehören, gilt das auch für sie. Die Wissenschaft ist kein Ausnahmebereich, wenn es um die Frage geht, wie viel Zeit individuell für Arbeit aufgewendet wird und wie zufriedenstellend die Ergebnisse sind. Zu Führungsaufgaben von Vorgesetzten gehören die fachliche Betreuung und die Fürsorgepflicht. Erst durch die Erfassung der Arbeitszeit ergibt sich die Möglichkeit für Beschäftigte, Missstände zu dokumentieren. Es gehört in den Bereich der Führungsaufgaben, auftretende Ungerechtigkeiten zu beheben.

Ich gehöre zu dem Schlag Wissenschaftler*innen, für die Zeit keine Rolle spielt. Und von denen gibt es halt viele. Wissenschaftler*innen sollten selbst entscheiden können, ob sie Zeiterfassung wollen oder nicht.

Antwort GEW

Für eine/n alleinerziehende/n Doktoranden/in mit einem 50-Prozent-Vertrag spielt Zeit durchaus eine Rolle. Verbindliche Regelungen zur Arbeitszeiterfassung haben eine kollektive Schutzfunktion, die durch individuelle „Übererfüller*innen“ unterwandert zu werden droht. Es ist die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers, die Rahmenbedingungen der Arbeit so zu schaffen, dass die Arbeitsaufgaben zur Arbeitszeit passen und nicht nur von Beschäftigten erfüllt werden können, für die Zeit „keine Rolle“ spielt, vielleicht weil sie keine gesundheitlichen Einschränkungen, sozialen oder familiären Pflichten oder über die Arbeit hinausgehenden Interessen haben. Nur mit einem funktionierenden System der Arbeitszeiterfassung können Betriebs- und Personalräte kontrollieren, ob entsprechende Bedingungen geschaffen und eingehalten werden. Arbeitszeiterfassung kann seine Schutzfunktion nur wirksam für diejenigen entfalten, die geschützt werden wollen und müssen, wenn sie für alle gilt.

Um neben hoher Lehrverpflichtung, anfallenden Korrekturen sowie Vor- und Nachbereitungen Zeit für die Familie, vor allem für die Kinder zu haben, wird Arbeit regelmäßig in den frühen Morgen- und späten Abendstunden oder auch am Wochenende erledigt. Diese Randzeiten und Sonntagsarbeit dürfen nicht erfasst werden. Das ist nicht familienfreundlich.

Antwort GEW

Flexible Arbeitszeitregelungen schaffen Zeitautonomie. Die Arbeitszeiterfassung schafft diese Autonomie nicht ab. Eine klug durchdachte Dienstvereinbarung steckt im Gegenteil einen möglichst großen Zeitraum ab, innerhalb dessen flexibel gearbeitet und die Arbeit vollständig erfasst und so sichtbar gemacht werden kann. Die GEW erarbeitet hierzu eine Musterdienst- bzw. Betriebsvereinbarung. Ihr Leitgedanke ist: Die Beschäftigten sollen im Rahmen der bestehenden Gesetze und geltenden Tarifverträge so viel Autonomie wie möglich haben, ihre vertragliche Arbeitszeit zu erbringen.

Die Einhaltung der Mindestruhezeit von elf Stunden zwischen Arbeitsende und Arbeitsanfang, die Berücksichtigung von Mindestpausen sowie das Arbeitsverbot an Sonn- und Feiertagen bleibt davon grundsätzlich – von unaufschiebbaren Tätigkeiten (§ 10 ArbZG) abgesehen – unberührt. Dies aus guten Gründen, zu denen unter anderen die Familienfreundlichkeit zählt. Gewerkschaften haben lange gekämpft, um diese Schutzräume als soziale und gesundheitliche Regenerationsräume zu sichern. Siehe auch Antwort zu Vorbehalt 7.

Zeiterfassung ist zum Beispiel durch das Nachtragen von Zeiten während einer Dienstreise sehr zeitaufwändig. Das regelmäßige Beantragen von Überstunden für Arbeit am Wochenende ist bürokratisch und kompliziert.

Antwort GEW

Zeiterfassung sollte durch die betrieblichen Regelungen unbürokratisch und unkompliziert sein und ohne nennenswerten Zeitaufwand erfolgen können. Das EuGH-Urteil regelt lediglich, dass ein objektives, verlässliches und zugängliches System geschaffen werden soll. Wie die Zeiterfassung konkret erfolgt, ob Start und Ende der Arbeitszeit zum Beispiel in einer Excel-Tabelle, durch die Start- und Stopp-Taste einer App oder mit einem Stift auf einen Zettel dokumentiert werden, ist in jeder Hochschule und in jeder Forschungseinrichtung unter Wahrung der Mitbestimmungsrechte der Personal- und Betriebsräte festzulegen. Wenn sich die Zeiterfassung nicht von der Verwaltungslogik leiten lässt, sondern ein System ausgearbeitet wird, das zu den sehr unterschiedlichen Tätigkeitsbereichen und Bedürfnisse von wissenschaftlich Beschäftigten passt, kann die Zeiterfassung sehr viele Vorteile bringen. Deshalb ist es wichtig, dass die Personalräte sich aktiv in die Ausgestaltung der Arbeitszeiterfassung einbringen.

Arbeitszeiterfassung ist eine bürokratische Gängelung meiner freien Zeitgestaltung, zwingt mir Pausenzeiten auf bzw. zieht mir automatisch Pausenzeiten ab, auch wenn ich gar keine Pausen mache. Sie engt mich in der Freiheit ein zu forschen, wann ich will bzw. dann zu arbeiten, wenn ich die produktivste Phase habe. Arbeitszeiten am Abend und am Wochenende können nicht vollständig erfasst werden, das sind aber ggf. produktive (und auch familiengerechte) Arbeitszeiten. Die Mitbestimmungspflicht des Personal- oder Betriebsrates bei Überstunden macht alles noch umständlicher.

Antwort GEW

Grundsätzlich gilt die Einhaltung von gesetzlichen Vorgaben (u. a. Sonn- und Feiertagsarbeit, Pausenzeiten, Ruhezeiten) ganz unabhängig von der Erfassung der Arbeitszeit. Das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) und das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) dienen dem Gesundheitsschutz in einem Vertragsverhältnis, das von einem ungleichen Machtverhältnis geprägt ist. Die Arbeitszeiterfassung ist dabei lediglich ein Instrument. Auf deren Bedeutung hat das Bundesarbeitsgericht in seinem Grundsatzurteil am 13. September 2022 ausdrücklich hingewiesen. Der Arbeitgeber muss präventiv dafür Sorge tragen, dass die Beschäftigten nicht überlastet und Pausen (mindestens 30 Minuten nach sechs Arbeitsstunden, mindestens elf Stunden zwischen Arbeitsende und Arbeitsanfang am Folgetag) eingehalten werden.

Auch Wissenschaftler*innen haben diese menschlichen Regenerationsansprüche und -bedürfnisse. Auch sie können nicht 24/7 produktiv arbeiten, geschweige denn dabei langfristig gesund bleiben. Es ist die edle Pflicht der Betriebs- und Personalräte darauf zu achten, dass die Arbeitgeber den Arbeitsumfang so justieren, dass er in der vertraglichen Arbeitszeit auch bewältigt werden kann. Deshalb sind sie in der Mitbestimmung bei der Vereinbarung von Überstunden zu involvieren. Dass demokratisch legitimierte Personal- und Betriebsräte den Betriebsablauf stören oder umständlich machen, war schon immer ein schlechtes Arbeitgeberargument!

Arbeitszeiterfassung läuft in der Wissenschaft, gerade in der Qualifizierungsphase, sowieso ins Leere, weil sie leicht umgangen werden kann, indem Mehrarbeit einfach nicht erfasst wird. Die erfasste Arbeitszeit wird auf dem Papier beendet und man arbeitet in der „Freizeit“ weiter. Die Zeiterfassung verändert nichts, sie schafft nur überflüssigen und unnützen bürokratischen Aufwand.

Antwort GEW

Es gehört zu den skandalösen Realitäten an Hochschulen und Forschungseinrichtungen, dass ein Großteil der wissenschaftlichen Qualifizierung aufgrund von fehlender Grundfinanzierung und dubiosen DFG-Vorgaben zur Teilzeitbeschäftigung oder auch einfach nur aus schlechter Tradition in der Tat nicht bezahlt wird. Und das, obwohl genau diese Qualifikation der Grund dafür ist, dass diese Beschäftigungsverhältnisse in der Regel befristet sind. Doch diese skandalöse Praxis ist kein Naturgesetz! Die GEW fordert deshalb grundsätzlich 100-Prozent-Stellen in der Wissenschaft – auch in der Qualifizierungsphase bei ausreichendem Zeitanteil für die eigene Qualifizierung (mindestens 50 Prozent der regelmäßigen Arbeitszeit).

Wenn Wissenschaftler*innen ihre tatsächliche Arbeitszeit erfassen, können sie – gerade auf Teilzeit­stellen! –sichtbar machen, dass die vertraglichen Rahmenbedingungen nicht zum Arbeitsumfang passen. Die Arbeitszeiterfassung, die dieses Missverhältnis sichtbar machen kann, abzulehnen oder selbst gegen eigenes Interesse zu umgehen, bestätigt und perpetuiert die schlechte Praxis, in der wir sozialisiert wurden und an die wir uns alle schon so sehr gewöhnt haben, dass wir uns gar nicht mehr vorstellen können, dass es auch anders sein könnte.

Stoppt die Dauerbefristung in der Wissenschaft

An: Bundesministerin Bettina Stark-Watzinger, Kai Gehring und Dr. Petra Sitte (für den Bundestagsausschuss für Bildung und Forschung) & weitere Mitglieder des Deutschen Bundestags

Gestartet von: Bündnis zum WissZeitVG 

Wir sind auf eine starke Wissenschaft angewiesen, zum Beispiel um die sozialen und technologischen Herausforderungen von Klimakrise oder Digitalisierung zu meistern. Das geht nur mit fairen Arbeitsbedingungen – doch viele Wissenschaftler*innen an Hochschulen und öffentlichen Forschungseinrichtungen arbeiten in prekären Verhältnissen. Fast neun von zehn wissenschaftlichen Angestellten an Universitäten sind befristet beschäftigt, 42 Prozent der Arbeitsverträge haben eine Laufzeit von unter einem Jahr. Planbarkeit für Lebenswege oder anspruchsvolle Projekte gibt es so nicht. Das muss sich ändern.

Der vorliegende Entwurf zur Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes bleibt weit hinter den eigenen Versprechen der Ampel-Koalition zurück. Frau Ministerin Stark-Watzinger, die prekären Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft lassen sich so nicht bekämpfen. Wir fordern jetzt vom zuständigen Bundestagsausschuss für Bildung und Forschung: Überarbeiten Sie den Entwurf grundlegend und bringen Sie eine echte Reform auf den Weg!

Im Einzelnen fordern wir

  1. Verträge für Promovierende, die den tatsächlichen Promotionszeiten entsprechen – also sechs, mindestens jedoch vier Jahre Regellaufzeit
  2. Dauerstellen für Daueraufgaben in Lehre und Forschung: Zeitverträge sind nur für die Qualifizierungsphase gerechtfertigt - diese ist mit der Promotion abgeschlossen
  3. nach der Promotion entweder unbefristete Beschäftigung oder eine verbindliche Zusage zur Entfristung bei Erfüllung festgelegter Kriterien
  4. die Streichung der Tarifsperre ohne Wenn und Aber: Gewerkschaften und Arbeitgeber müssen Verbesserungen für die Beschäftigten aushandeln dürfen – so wie in anderen Branchen auch
  5. einen verbindlichen Nachteilsausgleich bei Kinderbetreuung, Pflege von Angehörigen, Behinderung und chronischer Erkrankung sowie bei Nachteilen aus der Coronapandemie
  6. eine Regelvertragslaufzeit von mindestens zwei Jahren für studentische Beschäftigte

Warum ist das wichtig?

Immer mehr Wissenschaftler*innen wechseln wegen der Dauerbefristung in andere Branchen oder ins Ausland. Das wollen wir stoppen. Der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung vorgelegte Entwurf ist hierfür nicht geeignet, insbesondere für promovierte Wissenschaftler*innen drohen sogar Verschlechterungen. Deshalb brauchen wir mehr öffentlichen Druck.

Was ist das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG)?

Mit dem WissZeitVG haben Hochschulen und Forschungseinrichtungen eine sehr weitgehende rechtliche Grundlage, Wissenschaftler*innen nur befristet einzustellen. Es stellt damit ein Sonderbefristungsrecht dar, das deutlich mehr befristete Arbeitsverträge ermöglicht als das allgemeine Arbeitsrecht. 

Wie kann eine Reform des WissZeitVG für bessere Jobs in der Wissenschaft sorgen?

Wenn ein reformiertes WissZeitVG die Befristungsmöglichkeiten begrenzt, müssen die Arbeitgeber ihre Praxis ändern – und faire Arbeitsbedingungen schaffen.

Gibt es sachliche Gründe für die hohen Befristungsquoten in der Wissenschaft?

Auf dem gesamten deutschen Arbeitsmarkt sind 7,4 Prozent der Beschäftigten befristet. In der Wissenschaft sind es fast 70 Prozent. Das ist extrem viel und nur teilweise durch die Promovierenden zu erklären, deren befristete Einstellung für die Dauer ihrer Qualifizierung nachvollziehbar ist. Auch Postdocs und Wissenschaftler*innen, die Daueraufgaben erfüllen, sind überwiegend befristet beschäftigt. Das muss nicht sein. In Frankreich oder England sind nur knapp 25 Prozent der Wissenschaftler*innen befristet.

Warum ist die wissenschaftliche Qualifizierung mit der Promotion abgeschlossen?

Die Promotion ist die höchste Qualifizierungsstufe sowohl im Europäischen als auch im Deutschen Qualifikationsrahmen. Nach der Promotion ist eine berufliche Fort- und Weiterbildung möglich. Diese rechtfertigt aber keine Befristung der Postdocs. Ob im weiteren Berufsweg Aufstiege erfolgen, für die zusätzliche Erfahrungen und Kompetenzen nötig sind, ist – wie in anderen Branchen – unabhängig von der Befristung der Arbeitsverträge zu betrachten.

Warum brauchen wir neue Regelungen zum Nachteilsausgleich?

Die familien- und behindertenpolitische Komponente im WissZeitVG beruht bisher auf einer freiwilligen Anwendung durch die Arbeitgeber. Planbarkeit für die Beschäftigten schaffen wir nur mit einem verbindlichen Rechtsanspruch.