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„Wirtschaftsmärchen“

Profitabel nur für die private Wirtschaft

Neoliberale Mythen über Wirtschaft, Arbeit und Sozialstaat dominieren den politischen und medialen Diskurs. Patrick Schreiner und Kai Eicker-Wolf haben sich in ihrem Buch „Wirtschaftsmärchen“ kritisch mit diesen Narrativen auseinandergesetzt.

Cartoon: Freimut Woessner

E&W veröffentlicht in einer vierteiligen Serie ausgewählte Kapitel. Dritter Teil: „Öffentlich-Private Partnerschaften können das Finanzierungsproblem der deutschen Infrastruktur lösen.“

Es war einmal ein Vorstandsmitglied eines großen deutschen Baukonzerns. Sein Name: Nikolaus Graf von Matuschka. Im Dezember 2014 sagte er: „Öffentlich-Private Partnerschaften können das Finanzierungsproblem der deutschen Infrastruktur lösen und helfen, den Modernisierungsstau abzubauen. Sonst steuern wir unweigerlich auf einen Verkehrsinfarkt zu.“

Öffentlich-Private Partnerschaften (ÖPP) sind eine Form der Privatisierung. Dabei geht eine staatliche Stelle einen längerfristigen, zeitlich begrenzten Vertrag mit einem privaten „Partner“ ein. Dieser übernimmt umfassend die Errichtung oder Sanierung sowie die damit zusammenhängende Planung, den Betrieb und meist auch die Finanzierung einer Infrastruktur. Dafür erhält der Private reichlich Geld. Die öffentliche Seite wiederum ist zu entsprechenden Zahlungen verpflichtet. ÖPP-Projekte stellen damit faktisch eine Form der Verschuldung dar, sie werden aber statistisch und politisch oft gar nicht als Schulden gewertet. Mit ihnen lässt sich daher elegant die Aufnahme von Krediten verstecken. Solche Modelle seien geeignet, den Staat bei den erforderlichen Investitionen in die öffentliche Infrastruktur wieder handlungsfähig zu machen – behaupten jedenfalls viele Neoliberale.

Ihnen spielt dabei ein reales Problem in die Hand: Die Haushaltspolitik der zurückliegenden Jahre und Jahrzehnte hat die Handlungsfähigkeit des Staates drastisch reduziert. Ausgabenkürzungen haben einen enormen Investitionsstau herbeigeführt. Ausgeglichene öffentliche Haushalte gelten seit Jahrzehnten als anzustrebendes politisches Ziel – und Verschuldungsregeln wie die deutsche „Schuldenbremse“ setzen den öffentlichen Ausgaben engste Grenzen. Neue Kredite aufzunehmen, gilt als schmutziges Geschäft; höhere Steuern zu erheben als unmoralisch oder ökonomisch unklug. In der Folge zerfallen Schul- und Verwaltungsgebäude, Straßen, Brücken und Schienen, weil nur noch unzureichend investiert wird.

Teuer, manipulationsanfällig, undemokratisch, intransparent

In gewisser Weise sind Öffentlich-Private Partnerschaften vor diesem Hintergrund durchaus folgerichtig. Und sie sind attraktiv: für Bauindustrie und Finanzwirtschaft, weil sich mit ÖPP gutes Geld verdienen lässt. Für die Gesellschaft, weil sie auf eine intakte Infrastruktur angewiesen ist. Für die politische Elite, weil es ohne ÖPP weniger Flatterbänder zum Durchschneiden gäbe.

Sind ÖPP deshalb aber tatsächlich Lösungen für das „Finanzierungsproblem der deutschen Infrastruktur“? Mit Sicherheit nicht. Sie sind zu teuer, weil sie Renditebedürfnisse der Privaten bedienen und hohe Zinskosten erwirtschaften müssen. Sie sind manipulationsanfällig, weil sie für alle Beteiligten falsche Anreize setzen. Sie sind undemokratisch, weil sie kaum mehr rückgängig gemacht werden können, also Bindungswirkung für viele Jahrzehnte (oder für immer) entfalten. Und nicht zuletzt sind sie intransparent, weil die entsprechenden Verträge stets geheim gehalten werden.

Die mangelnde Handlungsfähigkeit des Staates ist politisch gemacht. Sie ist eine Konsequenz neoliberaler Politik.

Was ÖPP-Freundinnen und -Freunde zudem gerne übersehen: Die mangelnde Handlungsfähigkeit des Staates ist politisch gemacht. Sie ist eine Konsequenz neoliberaler Politik. Es waren bewusste (Fehl-)Entscheidungen, die Verschuldungsmöglichkeiten der öffentlichen Haushalte fast auf null zu reduzieren. Und es waren bewusste (Fehl-)Entscheidungen, die finanzielle Misere durch Steuergeschenke zusätzlich zu verschärfen. Falsche politische Weichenstellungen lassen sich aber auch wieder umkehren. Das ist allemal klüger, als immer findigere, immer teurere und immer undemokratischere Modelle zu entwickeln, um die Fehlentscheidungen zu umgehen.

Übrigens: Graf von Matuschkas Unternehmen verdient sein Geld unter anderem mit ÖPP. Dass er seine Aussage in einem Interview mit dem Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft gemacht hat, ist daher kein Zufall. Denn die Finanzindustrie gehört zu den wichtigsten Befürwortern Öffentlich-Privater Partnerschaften, hofft sie doch auf profitable Anlagemöglichkeiten. 

Kai Eicker-Wolf ist Referent für finanzpolitische Fragen der GEW Hessen, Patrick Schreiner Mitarbeiter in der ver.di-Bundesverwaltung, Abteilung Wirtschaftspolitik. Das Buch der beiden geht in Teilen zurück auf die Kolumne „Märchen des Neoliberalismus“, die die Autoren in den Publikationen Lunapark21 und OXI veröffentlichten. Patrick Schreiner, Kai Eicker-Wolf: Wirtschaftsmärchen. Hundertundeine Legende über Ökonomie, Arbeit und Soziales, PapyRossa-Verlag 2023. Aus Platzgründen wurde dieses Kapitel für die Veröffentlichung in der E&W leicht gekürzt.