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Strategie des „Institut für Staatspolitik“

Geistiges Rüstzeug für die AfD

Der Journalist und Rechtsextremismusexperte Andreas Speit erklärt im Interview, wie das „Institut für Staatspolitik“ (IfS) als rechtsextreme Kaderschmiede den Aufstieg der AfD begünstigt hat.

Andreas Speit ist freier Journalist und Publizist. In der taz-Nord veröffentlicht er seit 2005 die Kolumne „Der Rechte Rand“. (Foto: Andreas Speit)

Wer nach Gründen für die gegenwärtige Konjunktur rechten Gedankenguts in Deutschland sucht, wird früher oder später auch auf das „Institut für Staatspolitik“ (IfS) in Schnellroda stoßen, einem kleinen Dorf in Sachsen-Anhalt. E&W hat den Journalisten und Rechtsextremismusexperten Andreas Speit gefragt, welche ideologischen, strategischen und pädagogischen Ziele der Gründer und Leiter Götz Kubitschek verfolgt und welche Rolle seine rechtsextreme Kaderschmiede beim Aufstieg der AfD gespielt hat. Speit gehört zu den Autorinnen und Autoren eines Sammelbands, den die antifaschistische Fachzeitschrift „Der Rechte Rand“ zum 20-jährigen Bestehen des rechtsextremen „Instituts für Staatspolitik“ vorgelegt hat.

  • E&W: „Institut für Staatspolitik“ – das klingt so seriös wie hochtrabend. Was verbirgt sich dahinter?

Andreas Speit: Der Gründung im Jahr 2000 lag die Idee zugrunde, ein Institut zu etablieren, das Debatten in der Mitte der Gesellschaft von rechts lancieren und mitbestimmen könnte. Inspiriert wurden die Gründer um Götz Kubitschek durch den diskursiven Erfolg, den das Hamburger Institut für Sozialforschung von Jan Philipp Reemtsma mit der Wehrmachtsausstellung damals gerade hatte. Die Ausstellung hatte dazu geführt, dass in der gesamten Bundesrepublik über die Verbrechen der Wehrmacht diskutiert wurde. Solchen Einfluss wollten die Gründer des IfS kopieren. Sie begannen, eine vermeintlich wissenschaftliche Reihe zu veröffentlichen, Tagungen und Akademien auszurichten. In den vergangenen 20 Jahren sind diese Aktivitäten stetig gewachsen. Aber selbst Götz Kubitschek, Mitgründer und dominierende Figur des Instituts, räumt ein: Den großen Erfolg, dass rechte Argumente heute mehr wahrgenommen werden, hätten sie nicht erreicht ohne Akteurinnen und Akteure aus der Mitte der Gesellschaft – wie Thilo Sarrazin, dessen Buch „Deutschland schafft sich ab“, so Kubitschek, ein Rammbock gewesen sei. Es habe Ressentiments so populär werden lassen, dass sie mit ihren Ressentiments nachrücken konnten.

  • E&W: Ein Reemtsma-Institut von rechts: Kann das „Institut für Staatspolitik“ diesem Anspruch gerecht werden?

Speit: De facto hat das IfS weder das Renommee noch die wissenschaftliche Kompetenz des Hamburger Instituts für Sozialforschung. Für das rechte akademische Milieu ist das IfS aber eine Größe, und es zelebriert gerne die Selbstinszenierung. Diese Inszenierung zu brechen, gerade zum Jubiläum, war eine Intention des Buchs. Der Historiker Volker Weiß, der darin auch mit einem Beitrag vertreten ist, betont immer wieder, dass das IfS nur recycelt. Recyceln, was rechte Theoretiker der 1920er-Jahre wie Ernst Jünger, Carl Schmitt oder Oswald Spengler schon gedacht haben.

  • E&W: Der völkische AfD-Rechtsaußen Björn Höcke hat das Institut „eine Oase der geistigen Regeneration“ genannt. Auch die AfD-Politikerinnen und Politiker Alexander Gauland, Jörg Meuthen und Alice Weidel sind dort bereits aufgetreten. Welche Bedeutung hat das IfS für die AfD?

Speit: Mit der Etablierung des völkisch-nationalistischen „Flügels“ in der AfD engagierte sich das IfS stärker in der Parteipolitik. Das IfS hat an der ideologischen Ausrichtung des – mittlerweile offiziell aufgelösten – „Flügels“ um Björn Höcke mitgearbeitet und dessen Macht in der Partei mit ausgebaut. Und das so erfolgreich, dass nach und nach alle Parteigranden entweder beim „Flügel“ aufgetreten sind oder beim „Institut für Staatspolitik“ selbst. Man könnte sagen: AfD und IfS haben sich gegenseitig hochgearbeitet. Das Institut lieferte der Partei das geistige Rüstzeug und einen Teil des Personals, und je mehr das Wirkung zeigte, desto wichtiger wurde das IfS für das gesamte rechte Milieu, auch jenseits der AfD. Aktuell sind allerdings leichte Absetzbewegungen zu sehen, weil das Institut seit dem Frühjahr vom Verfassungsschutz als rechtsextremer Verdachtsfall geführt wird und ja auch die AfD die Sorge hat, als Gesamtpartei vom Verfassungsschutz beobachtet zu werden.

  • E&W: Institutschef Götz Kubitschek wird auch medial häufig als Rechtsintellektueller gehandelt, als Vordenker der „Neuen Rechten“. Wie passend ist dieses Etikett?

Speit: So inszeniert er sich, ja. Dabei ist es nicht so, dass er irgendwelche neuen gesellschaftlichen Konzepte von rechts entworfen hätte. Er ist vielmehr ein guter Bewegungsmanager, der weiß, wie man Personen vernetzt oder Themen setzt. Das IfS folgt Ideen und Strategien der „Neuen Rechten“, die es seit mehr als 50 Jahren gibt. Die „Neue Rechte“ versucht, aus dem Schatten des Nationalsozialismus herauszutreten, und bezieht sich deshalb auf Denker der 1920er-Jahre (die allerdings oft nur vermeintlich unbelastet sind). Statt von „Rassen“ wird von „Ethnien“ geredet. Jede Ethnie sei etwas Besonderes, habe einen angestammten Lebensraum und eine Kultur, die zu bewahren sei, weswegen es keine Vermengung geben dürfe. Letztlich bedeutet das nichts anders als das alte „Ausländer raus“, es klingt nur moderner und ist anschlussfähiger für die Mitte der Gesellschaft. Diese ethnopluralistischen Argumente sind in der rechten Szene längst so allgemein etabliert, dass selbst die NPD damit hantiert.

  • E&W: Die vielbeschworene „Neue Rechte“ ist also gar nicht so neu?

Speit: Der Begriff, auch das thematisiert der Sammelband, wird in der Tat inflationär verwendet. Man hat manchmal den Eindruck, dass alles, was irgendjemandem in Medien oder Politik zum ersten Mal auffällt im rechten Milieu, gleich als „neu-rechts“ gilt. Dabei gab es oft nur eine eigene Erkenntnislücke. Diese Überraschtheit drückt meines Erachtens aus, wie wenig wir uns in Medien und Politik mit rechter Ideologie auseinandergesetzt haben. Das ist einer der Gründe, warum die AfD so durchstarten konnte: Auf Strategien, Rhetorik und Personen, die nicht dem Klischee vom ewiggestrigen Rechtsextremismus entsprechen, waren wir nicht vorbereitet.

  • E&W: Das Buch zeigt: „Der Rechte Rand“ hat das IfS schon genau beobachtet, als sich eine größere mediale Öffentlichkeit noch lange nicht dafür interessierte – und staatliche Behörden erst recht nicht. Der Sammelband enthält neben einigen neuen Beiträgen vor allem Texte, die in den vergangenen gut 20 Jahren in der Zeitschrift erschienen sind. Warum lohnt sich dieser Blick zurück?

Speit: Die Texte sind so ausgewählt, dass sie die Entwicklung des Instituts aufzeigen. Und sie zeigen, dass es dabei immer drei Stoßrichtungen gab, die heute eben auch die AfD kennzeichnen. Zum ersten eine radikale Kritik am Liberalismus, der als Urphänomen des Niedergangs der Welt und der Völker ausgemacht wird. Zum zweiten eine massive Kritik an der Achtundsechziger-Bewegung und schließlich zum dritten ein radikaler Antifeminismus. Aus diesen Grundlagen lässt sich herleiten, wieso bestimmte Themen aktuell so forciert werden. Beispielsweise hat das Thema Familie und Frauen gerade einen hohen Stellenwert in der „Neuen Rechten“, einhergehend mit der Frage nach der richtigen Erziehung und den richtigen pädagogischen Maßnahmen.

  • E&W: Wie wird denn Pädagogik von rechtsaußen diskutiert?

Speit: Vor allem soll sie Elitenförderung sein. Man ist gegen Inklusion und gegen ein vermeintliches Abitur für alle. Die „Besten der Besten“ sollen diesen Staat führen, es wird eine Auslese gefordert. Und sie selbst verstehen sich als die Elite, die alleine Volk und Vaterland retten könnte. Sie sehen überall Dekadenz und den Niedergang von Wissen und damit einhergehend von Identität. Als Gegenmittel setzen sie auf einen Lehrplan mit dem Ziel der Aussortierung und auf eine ganz andere Geschichts- und Erinnerungspolitik. Von einer Autorin aus dem IfS kam außerdem die Anregung, dass Waldorfschulen immer noch interessant sein könnten – denn Rudolf Steiners Grundgedanken seien, so die Autorin, „ziemlich deckungsgleich mit dem, was Identitäre ‚Ethnopluralismus' nennen, mit dem, was die bewusste Verwurzelung in der Tradition, im Volk, in Europa ausmacht, mit christlichem Selbstverständnis und auch einem bewahrenden Naturverständnis“. Im Bund der Waldorfschulen hat das durchaus heftige Diskussionen ausgelös

Buch: Der Rechte Rand (Hrsg.): Das IfS. Faschist*innen des 21. Jahrhunderts. Einblicke in 20 Jahre „Institut für Staatspolitik“. VSA Verlag, Hamburg 2020. 184 Seiten. 12,80 Euro.