Der Lichthof der Ludwig-Maximilians-Universität München im Oktober 2018: Wo 75 Jahre zuvor die Widerstandskämpferinnen und -kämpfer der „Weißen Rose“ Flugblätter gegen den Nationalsozialismus regnen ließen, verteilt die AfD-Nachwuchsorganisation „Junge Alternative“ Flyer mit Zitaten von Sophie Scholl und der Botschaft „Gegen das Unrecht-Regime!“. Gemeint ist die Bundesrepublik.
Es ist nicht die erste Provokation, mit der die erstarkte Rechte in Deutschland ihr neues Selbstbewusstsein an den Hochschulen demonstriert. An der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf sorgte die AfD-Hochschulgruppe „Campus Alternative“ bereits 2016 für medialen Wirbel, als sie der Statue des Hochschulpatrons eine Burka und das Schild „Bildungsbombe“ umhängte. An der Frankfurter Goethe-Universität tauchten Flugblätter der örtlichen Jungalternativen auf, die zur Denunziation linker Lehrender aufriefen. In Greifswald versuchten Aktivisten der vom Verfassungsschutz beobachteten „Identitären Bewegung“, eine Vorlesung zu stören. Und in Halle an der Saale sollen antifaschistisch engagierte Studierende sogar von bewaffneten Rechtsextremen in der Mensa bedroht worden sein.
Die Liste ließe sich fortsetzen. Im Gefolge des Aufstiegs der AfD haben die Rechtsaußen auch die Hochschulen als Kampffeld entdeckt. Glaubt man den Selbstdarstellungen, sind die Rechten in diesem Kampf außerordentlich erfolgreich. „Wir waren Vorreiter, jetzt folgt ganz Deutschland“, verkündete die Düsseldorfer „Campus Alternative“ im Herbst 2017 via Facebook. „Die AfD erobert unsere Universitäten.“
„Es wird groß die Trommel gerührt und versucht, sich als die andere Jugendbewegung zu inszenieren. Das spiegelt sich aber nicht in einer hochschulpolitischen Verankerung.“ (Alexander Häusler)
In der Realität ist es mit dieser Eroberung allerdings nicht gar so weit her. Von einer „Riesenlücke zwischen Schein und Sein“ spricht der Düsseldorfer Rechtsextremismusforscher Alexander Häusler. „Es wird groß die Trommel gerührt und versucht, sich als die andere Jugendbewegung zu inszenieren“, sagt der Sozialwissenschaftler. „Das spiegelt sich aber nicht in einer hochschulpolitischen Verankerung.“ Zwischenzeitlich hatten sich zwar an rund 30 Orten AfD-Hochschulgruppen zu Wort gemeldet und insbesondere gegen linke Studierendenvertretungen, gegen Feminismus und Genderforschung agitiert. Zumeist geschah das aber lediglich im virtuellen Raum der sozialen Medien. Heute ist selbst davon kaum noch etwas übrig: Aktuell gepflegte Facebook-Auftritte fanden sich Anfang März nur noch in Berlin und Halle – mit bescheidenen 76 und 215 Likes.
In die Studierendenparlamente von Düsseldorf, Kiel und Kassel wurde vorübergehend je ein Jungalternativer gewählt, gerade einmal rund 100 Stimmen reichten wegen der traditionell geringen Wahlbeteiligung dafür aus. Derzeit sitzen noch zwei AfDler aus Süddeutschland im Studierendenparlament der Fernuni Hagen, und seit Oktober 2018 ist die „Campus Alternative“ an der Universität Halle-Wittenberg mit einem Sitz im Studierendenrat (StuRa) vertreten. Das war’s.
Nach Halle lohnt ein genauerer Blick. Direkt gegenüber dem geisteswissenschaftlichen Campus der Martin-Luther-Universität hat die „Identitäre Bewegung“ vor knapp zwei Jahren ihr erstes – und bundesweit nach wie vor einziges – Zentrum eröffnet. Auch hier wurde zur Eroberung der Hochschule geblasen, auch hier folgte der großsprecherischen Ankündigung kaum etwas. „Sie haben das Haus nicht genutzt, um auf die Uni einzuwirken“, sagt StuRa-Vorsitzender Lukas Wanke. Wichtiger als die Präsenz in der realen Welt ist den modern auftretenden Rechtsaußen-Aktivisten – innerhalb wie außerhalb der Hochschulen – jedoch ohnehin die Selbstinszenierung, die Produktion von Aufmerksamkeit und Aufregung in den rechtsextremen Filterblasen der sozialen Medien.
Dazu passt, dass die Abgeordnete der „Campus Alternative“ im Hallenser StuRa bislang keinen einzigen Antrag gestellt, für kein Amt kandidiert, ja nicht einmal einen Diskussionsbeitrag geliefert habe, wie Wanke berichtet. Was ihre Gruppierung jedoch nicht hindert, anschließend bei Facebook über die Beschlüsse des Studierendenrats herzuziehen. „Sie versuchen, mit den klassischen Inszenierungstricks der ‚Identitären Bewegung‘ eine Hochschulgruppe aufzubauen“, sagt der StuRa-Vorsitzende, für den außer Frage steht, dass die „Campus Alternative“ an seiner Uni ein Projekt der Identitären ist.
„Die DB-Burschenschaften besetzen die Schnittstelle zwischen der AfD und Gruppierungen, die noch weiter rechts stehen.“ (Alexandra Kurth)
Obwohl es beim AfD-Nachwuchs wie bei der Mutterpartei einen Unvereinbarkeitsbeschluss mit Blick auf die „Identitäre Bewegung“ gibt, sind solche Verbindungen vielerorts belegt. Die personellen und ideologischen Überschneidungen trugen auch dazu bei, dass die „Junge Alternative“ vom Bundesverfassungsschutz kürzlich offiziell unter den Verdacht der Verfassungsfeindlichkeit gestellt wurde. Und sie sind kein Zufall: Vordenker der Szene predigen das Konzept der „Mosaik-Rechten“, verstanden als ein Netzwerk, das von der AfD über Thinktanks, etwa das „Institut für Staatspolitik“ (IfS) des extrem rechten Verlegers und Publizisten Götz Kubitschek, bis zu den Aktivisten der „Identitären Bewegung“ reicht.
Eine wichtige Rolle spielt dabei die „Deutsche Burschenschaft“ (DB). Der Dachverband von derzeit noch 44 schlagenden Studentenverbindungen in Deutschland pflegt seit jeher eine völkisch-nationalistische Rhetorik. Doch seit etliche der noch etwas gemäßigteren Bünde den Verband im Streit um eine als „Ariernachweis“ kritisierte Aufnahmeregelung verlassen haben, hat sich der verbliebene harte Kern weiter radikalisiert.
„Die DB-Burschenschaften besetzen die Schnittstelle zwischen der AfD und Gruppierungen, die noch weiter rechts stehen“, erklärt die Gießener Politikwissenschaftlerin Alexandra Kurth, die sich seit langem mit dem Korporationswesen beschäftigt. Burschenschaften haben sich zum Tummelplatz für Junge Alternative, Identitäre und Neonazis entwickelt. Sie sind zugleich beliebtes Rekrutierungsfeld für AfD-Abgeordnete, die Personal für ihre Bundestagsbüros suchen. Der Pressesprecher der DB leitet zugleich das Sammlungsprojekt „Ein Prozent für unser Land“ um Götz Kubitschek.
„An den Hochschulen werden Menschen ausgebildet, die später in Schlüsselpositionen arbeiten, werden Themen erforscht, die für unsere Gesellschaft wichtig sind.“ (Andreas Keller)
„Diese zunehmende Symbiose von Rechtsextremen und Nationalkonservativen vergrößert den Resonanzraum“, sagt Sozialwissenschaftler Häusler. Und was sich gesamtgesellschaftlich durch verschobene Grenzen des Sagbaren bemerkbar macht, durch ausgrenzende Positionen, die plötzlich als diskussionswürdig gelten, geht auch an den Hochschulen nicht spurlos vorbei – der schwachen organisatorischen Verankerung der Rechten zum Trotz.
Die GEW erfüllt das mit Besorgnis. „An den Hochschulen werden Menschen ausgebildet, die später in Schlüsselpositionen arbeiten, werden Themen erforscht, die für unsere Gesellschaft wichtig sind“, sagt der stellvertretende Vorsitzende und Hochschulexperte Andreas Keller. Es sei „wichtig, den Anfängen zu wehren und gegen die Bedrohung von rechts die Stimme für die Verteidigung von Grundwerten, Wissenschaftsfreiheit, Menschenrechten und Demokratie zu erheben“. Ende März – nach Redaktionsschluss dieser E&W-Ausgabe – veranstaltete die GEW deshalb in Halle ein Studierendenseminar, um den Austausch über „Strategien gegen rechts“ voranzubringen.
Was tun, wenn AfD-Politiker in Hörsälen auftreten wollen? Wie reagieren, wenn akademische Veranstaltungen von rechtsextremen Aktivisten gestört werden? Nicht nur Studierende und Lehrende suchen noch nach dem richtigen Umgang, auch die meisten Hochschulverwaltungen tun sich schwer. Zwar tragen, einem Aufruf der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) aus 2015 folgend, zahlreiche Universitäten den Claim „Weltoffene Hochschulen – Gegen Fremdenfeindlichkeit“. Konkrete Handlungsstrategien stehen aber nur selten dahinter. Zu den raren Ausnahmen gehört die Goethe-Universität Frankfurt: Hier beschloss der Senat im Februar, ein „umfassendes Konzept gegen Menschenfeindlichkeit und extreme Rechte am Campus“ zu entwickeln, bestehend unter anderem aus regelmäßigen Informationsveranstaltungen, einem Handlungsleitfaden und einer Meldestelle für rechtsextreme Vorfälle. Die Initiative war von den studentischen Senatsmitgliedern ausgegangen.