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Mitte-Studie

Mehr als distanziert

Die aktuelle Mitte-Studie bringt erschreckende Erkenntnisse: 8 Prozent der Menschen in Deutschland haben demnach ein manifestes rechtsextremes Weltbild, fast ebenso viele wünschen sich einen „starken Führer“.

Rückt die Republik immer weiter nach rechts? (Foto: Shutterstock/GEW)

Die alle zwei Jahre im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) erstellte Mitte-Studie enthält viel Erschreckendes über die „distanzierte Mitte“, so der Titel der Untersuchung. Der Anstieg der Zahl der Menschen mit „manifest rechtsextremem Weltbild“ ist die beunruhigendste Erkenntnis: Auf 8 Prozent ist ihr Anteil in den zurückliegenden Jahren hochgeschnellt – in den Vorgängerstudien lag der Anteil bei 2 bis 3 Prozent. Im Graubereich befinden sich rund 20 Prozent der Befragten; etwa 70 Prozent lehnen rechtsextreme Einstellungen klar ab. Rund 6 Prozent in Deutschland unterscheiden zwischen „wertem“ und „unwertem“ Leben, ebenso viele befürworten eine Diktatur mit einer einzigen Partei und wünschen sich einen „starken Führer“. Erhoben wurden die Daten von einem Team um den Bielefelder Sozialpsychologen Prof. Andreas Zick Anfang 2023 in einer repräsentativen Umfrage.

„Drastischer Anstieg“ in der jüngsten Befragtengruppe

In der Gruppe der 18- bis 34-Jährigen haben sogar 12,3 Prozent ein rechtsextremes Weltbild. Im Verhältnis zu den Älteren sind bei den Jüngeren die Verharmlosung des Nationalsozialismus, Antisemitismus und Sozialdarwinismus sowie die Befürwortung einer Diktatur besonders stark ausgeprägt. Der „drastische Anstieg“ in der jüngsten Befragtengruppe erschrecke sie am meisten, erklärt die Mitautorin der Studie, die Sozialpsychologin Prof. Beate Küpper; in den Vorjahren seien eher die Älteren bei dieser Antwort überrepräsentiert gewesen: „Was ist da in den zurückliegenden Jahren passiert?“

Covid-19-Pandemie als Extremismus-Beschleuniger?

Eine mögliche Antwort auf diese Frage, so Küpper, sei die Covid-19-Pandemie. Laut der Wissenschaftlerin stiegen während der Pandemie und den damit verbundenen Einschränkungen zwar Solidarität und Rücksichtnahme messbar an. Doch der Rückzug aus dem öffentlichen Raum sorgte offenbar auch für ein Abgleiten in Verschwörungsmythen, denen mit 38 Prozent mehr als jede und jeder Dritte anhängt. Diese Menschen glauben, Politiker seien „Marionetten“ (38 Prozent) und die Regierung betrüge das Volk (32 Prozent). Das ist ein Anstieg um rund ein Drittel im Vergleich zu 2021. Gleichgeblieben ist, dass antidemokratische Einstellungen in den ostdeutschen Ländern verbreiteter sind als im Westen.

Eine neue Erkenntnis, die teils ebenfalls Pandemie-verknüpft sein könnte: Wer sich einsam und isoliert fühlt, neigt eher zu menschenfeindlichen und antidemokratischen Einstellungen – und hat weniger Vertrauen in die Demokratie. Die Zustimmung zu letzterer ist auf einem historischen Tiefpunkt: Nur noch 57 Prozent der Menschen sind davon überzeugt, dass die Demokratie „im Großen und Ganzen ganz gut“ funktioniere. 20 Prozent teilen die Aussage, Deutschland gleiche „mehr einer Diktatur als einer Demokratie“. 21 Prozent halten den Klimaschutz für „Ökoterrorismus gegen die eigene Bevölkerung“.

Neoliberaler Leistungsethos, Unsicherheit und Kontrollverlust 

Eine weitere Erkenntnis: Viele Menschen identifizieren sich mit neoliberalen Ideen der Leistungsbereitschaft und Erfolgsorientierung – und erleben zugleich Unsicherheit und Kontrollverlust. „Entsicherte Marktförmigkeit“ nennen die Sozialforscherinnen und -forscher diesen Zustand. Sie stellen fest: Wer eine marktförmige Orientierung teilt und ein Gefühl der Entsicherung erlebt, neigt besonders zu gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und rechtsextremen Einstellungen.

Die Autorinnen und Autoren der Studie fordern daher mehr politische Bildung und eine Demokratisierung von Schule, Arbeit und Ausbildung. Sie weisen zudem auf die Schattenseiten der „neoliberalen Leistungsgesellschaft“ hin: Diese fördere unter jenen, die ihr nicht entsprechen, „Hass und Demokratiedistanz“. Das „Infragestellen dieser Strukturen“ sei notwendig, wenn die sozial-ökologische Transformation gelingen soll.